Ausgabe 2 / 2002 Artikel von Hanna Strack

Eingrenzen und überwinden

Biblische Wege aus der Gewalt

Von Hanna Strack

(Auszug)

Unsere Frage gilt der Begrenzung und Überwindung von Gewalt. Welche Gesetze, Verbote, Regeln gibt es, die Gewalt begrenzen oder gar überwinden helfen wollen? Wir finden in der Bibel zwei Arten von Aufforderungen, richtig zu handeln. Da ist einmal das Gebot “Du sollst nicht töten!“ 2. Mose 20,13. Zur Gehorsams- und Gebotsethik gehören außer der bekannten Zehnerreihe, die mit dem Finger-Abzählen gelernt werden soll, auch die vielen Einzelfallgebote. Wir nennen sie Kasuistik, weil sie jeweils einen bestimmten Fall, lateinisch casus, im Blick haben: “Wenn jemand eine Jungfrau trifft, die nicht verlobt ist, und ergreift sie, und wohnt ihr bei und wird dabei getroffen, so soll, der ihr beigewohnt hat, ihrem Vater fünfzig Silberstücke geben und soll sie zur Frau haben, weil er ihr Gewalt angetan hat, er darf sie nicht entlassen, sein Leben lang.“ (5. Mose 22,28-29). Die andere Art, wie zum richtigen Handeln aufgefordert wird, ist die sogenannte Weisheitsethik. Wir finden sie in allen Teilen der Bibel, im Alten und Neuen Testament. “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (3. Mose 19,18) ist ein Gebot, das an die Einsicht appelliert, dass wir nämlich uns selbst lieben müssen, um andere lieben zu können.

Wie in der Bibel Gewalt eingrenzt wird

„Du sollst nicht töten!“(2. Mose 20,13) – dieses Gebot grenzt Gewalt ein: Es verbietet das unrechtmäßige Töten und müsste daher eigentlich besser übersetzt werden mit „Du sollst nicht morden!“. (Rechtmäßig war das Töten von Tieren für die Ernährung des Menschen, das Töten eines Verbrechers, meist durch Steinigen, selten durch Verbrennen, das Töten im Krieg.) „Auge um Auge und Zahn um Zahn!“ (2. Mose 21,24) wird oft als „Beweis“ für die „Grausamkeit“ des Alten Testaments herangezogen. Aber in Wirklichkeit regelt das Gebot die Blutrache, durch die ganze Sippen ausgerottet werden konnten. Es grenzt Gewalt ein: Ein Auge für ein Auge, einen Zahn für einen Zahn – und dann ist Schluss!

Gewalt begrenzend handelt auch die weise Frau von Abel-Bet-Maachal – ihr Name wird nicht genannt. Der vom Befehlshaber Davids verfolgte aufständische Schewa hat sich in der Stadt versteckt. Auf den Rat der weisen Frau hin wird er enthauptet und sein Kopf über die Mauer geworfen, die Stadt und ihre BewohnerInnen so bewahrt vor der Gewalt (2. Sam 20,13-22). Im Hebräischen wird die Frau “Chokma Ischa“ genannt – eine weise Frau, nicht wie die Lutherbibel übersetzt: eine kluge Frau. Sie lebt und handelt in der Tradition der Weisheit, die von sich sagt: Ich, die Weisheit, wohne bei der Klugheit, / und weiß guten Rat zu geben… / Mein ist beides, Rat und Tat, / ich habe Verstand und Macht. / Durch mich regieren die Könige / und setzen die Ratsherren das Recht. / Ich liebe, die mich lieben / und die mich suchen, finden mich. / Reichtum und Ehre ist bei mir, / bleibendes Gut und Gerechtigkeit. (Sprüche 8,12.14.15.17, vgl. auch die bekanntere Stelle Spr 8,22-31 und Spr 8,35+36)

Wie in der Bibel Gewalt überwunden wird

Während die weise Frau von Abel-Bet-Maacha die Gewalt – durchaus gewaltsam – begrenzt, haben wir in der weisen Frau von Tekoa (2. Sam 14) ein Beispiel und Vorbild, wie Gewalt überwunden werden kann. Sie – ihr Name wird ebenfalls nicht genannt – wendet eine List an, damit König David seinen abtrünnigen Sohn Absalom wieder annimmt. Sie verkleidet sich als Witwe, die dem König ihr Leid klagt: Einer ihrer Söhne habe den andern erschlagen und nun verlangten die Verwandten, dass sie den Brudermörder herausgebe, damit auch er getötet werde. Als David ihr seine Unterstützung anbietet, dreht sie den Spieß um und sagt ihm, dass er es sei, der seinen Sohn nicht vor Gewalt schütze. Wenn auch nicht direkt als weise Frau bezeichnet, so ist doch auch Abigail hier zu nennen, die durch ihre kluge Tat verhindert, dass Davids Söldner die Arbeiter im Weinberg ihres Mannes überfallen und töten. Wir alle kennen auch die beiden Hebammen Schifra und Pua, die mit List das Töten der neugeborenen Knaben des Volkes Israel verhindern.

Neben solchen konkreten Beispielen der Überwindung von Gewalt finden wir in der Bibel Visionen einer gewaltfreien Gesellschaft. So schildert der Prophet Jesaja das Friedensreich, das der Messias bringen wird: “Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern…“ (Jes 11,6+7). Oder die Verheißung der Überwindung von Gewalt durch den Gottesknecht (Jes 61,1+2), die Lukas (4,18f) aufnimmt, um die Verkündigung Jesu zu beschreiben. Die Überwindung von Gewalt beginnt im Bewusstsein durch ein Umdenken – und im Unterbewusstsein durch diese und andere innere Bilder.

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