Ausgabe 1 / 2016 Frauen in Bewegung von Christine Müller

Einmischen heißt die Devise

Der Deutsche LandFrauenverband

Von Christine Müller

Der Landfrauenverband gleicht einer Institution in ländlichen Gegenden. Wie der traditionsreiche Verband be­reits heute das Landleben prägt und wie er in Zukunft neue Zielgruppen wie Flüchtlingsfrauen erreichen will.

Der Tag beginnt für Irmgard Lang früh. Um vier Uhr klingelt der Wecker, um fünf Uhr geht sie zu ihrer Arbeit. Seit sie nicht mehr auf ihrem Bauernhof arbeitet, ist sie als Reinigungskraft in einer Bank tätig. So hat sie sich die Möglichkeit geschaffen, weiterhin „angemeldet zu sein“, wie sie sagt, also Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen, die ihr auch einmal die Rente sichern sollen.

Wie sich Frauen auf dem Land finanziell absichern können, damit beschäftigt sich auch Brigitte Scherb. Sie ist Präsidentin des Landfrauenverbandes. Mit rund 500.000 Mitgliedern ist der Verband die größte Vereinigung von Frauen auf dem Land in Deutschland. Bis heute haftet ihm das Klischee an, vor allem Kaffeekränzchen für Bäuerinnen zu organisieren. Dabei ist die Palette des Engagements sehr viel bunter und relevanter: „Wir beschäftigen uns mit allem, was Frauenleben in Deutschland ausmacht. Dabei geht es um gesellschaftspolitische und soziale Seiten, aber auch um Berufsfragen von Frauen. Diese begleiten wir mit unseren Bildungsangeboten und unserer Öffentlichkeitsarbeit. Wir betrachten natürlich auch Ernährung und Lebensführung als unsere Aufgabe. Dazu haben wir Pilotprojekte wie etwa den ‚Ernährungsführerschein'. Jeder Landesverband hat seine eigenen Programme. Darüber hinaus sind wir auch immer noch die berufsständische Vertretung der Bäuerinnen, also der Frauen auf den Höfen“, so Scherb, die bereits seit 2007 als Präsidentin die Interessen der 22 Landes-, 430 Kreis- und 12.000 Ortsvereine auf Bundesebene vertritt.

Auch Irmgard Lang ist bei den Landfrauen organisiert. Wann sie eingetreten ist, weiß sie nicht mehr genau. Aber sie vermutet, dass das nach ihrer Hochzeit war. Zunächst hatte Lang eine Lehre als Einzelhandelskauffrau absolviert, aber nach der Heirat war es für sie selbstverständlich, dass sie auf dem Hof ihres Mannes mitarbeiten würde. Sie selbst stammt auch von einem Bauernhof. Was ihr bei der Landarbeit am besten gefällt? „Natürlich das Traktorfahren“, sagt Lang und lacht. Sie bedauert, dass sie nach der Hochzeit eher für Haus und Hof zuständig war. Zu den Landfrauen ging sie, um andere Frauen kennenzulernen. „Obwohl ich gerne hier lebe, ist es manchmal schon ein bisschen einsam“, sagt die Mutter von drei Kindern. Kein Wunder, besteht ihr mittelfränkischer Weiler doch gerade einmal aus acht Häusern, der nächstgrößere Ortsteil hat rund 180 EinwohnerInnen. Wobei es in letzterem noch um die zehn größere landwirtschaftliche Betriebe gibt.

Alle, die auf dem Land aufgewachsen sind, dürften den Landfrauenverband kennen, gleicht sein Status auf dem Land doch dem einer Institution. Was dagegen viele nicht wissen, ist, dass es nicht ausschließlich Landwirtinnen sind, die sich bei den Landfrauen organisieren. „Es kann die Landärztin dort genauso Mitglied sein, wie eine Landwirtin oder eine Künstlerin, die erst kürzlich aufs Land gezogen ist“, so Ina Krauß, die für den Landfrauenverband auf Bundesebene in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist. Aber selbst ein Verein mit der regionalen Verwurzelung der Landfrauen hat mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass wirtschaftliches Arbeiten für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland immer schwieriger wird und es damit weniger Bäuerinnen gibt, diese jedoch gehörten zur klassischen Stammklientel.

Auch Irmgard Lang und ihr Mann verabschiedeten sich größtenteils von der Landwirtschaft: „Wir hatten 13 Milch­kühe und insgesamt rund 45 Tiere. Nachdem mein Schwiegervater nicht mehr mitarbeiten konnte, machte ich die Stallarbeit größtenteils alleine. Das war zu viel. Sowohl mein Mann als auch unsere drei Kinder haben einen eigenen Beruf. Die Kinder wollten den Hof nicht hauptberuflich weiterführen. Und wir hatten auch kein Interesse daran, dass sich unsere Kinder so verausgaben müssen, wie wir das mussten. Deshalb haben wir 2011 die Milchwirtschaft aufgegeben. Heute haben wir noch rund 18 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, davon sind vier Hektar Wald, 10 Hektar Wiesen und vier Hektar Acker. Mein Mann und mein Sohn bewirtschaften diese Flächen. Ein Teil wird an Biogasanlagen verkauft, ein anderer als Futtermittel an einen größeren Landwirt.“

Für Brigitte Scherb liegt der Mitgliederschwund bei den Landfrauen aber nicht ausschließlich in der Tatsache des Hofsterbens begründet. Die Präsidentin gibt unumwunden zu, dass so manche Jungbäuerin nicht mehr zu den Landfrauen geht, da sie deren Angebote nur noch als „Wohlfühlveranstaltungen“ wahrnimmt. Scherb sieht diese Entwicklung auch in der Geschichte des Verbandes verwurzelt. So habe es in den 1950er und 1960er Jahren geradezu einen Boom an Eintritten gegeben. Fachveranstaltungen hätten im Mittelpunkt gestanden, nach dem Motto „Wie mache ich aus nichts noch etwas“. Als in den 1970er Jahren dann neue Maschinen zu einer Erleichterung etwa in der Mähtechnik geführt hätten, Bäder und Heizungen installiert waren, seien für die Bäuerinnen teilweise Freiräume entstanden, sich „mit den schönen Seiten des Lebens zu beschäftigen. Und plötzlich hingen in allen Fenstern Makrameeblumenampeln“, sagt Scherb und lacht. Eine Aussage, die man negativ auslegen könnte, wenn man aber direkt mit Scherb spricht, ist zu merken, wie nahe sie ihrem Verband steht. Schon ihre Mutter war Landfrau, Scherb ist zwar Geschäftsführerin, bewirtschaftete aber bis vor kurzem gemeinsam mit ihrem Mann den eigenen Hof. Sie signalisiert mit ihrer Aussage auch, dass sie für eine Öffnung der Landfrauen stehen will, um langfristig für neue Mitglieder attraktiv zu sein. Dabei setzt sie auf die Vereine vor Ort, die die jeweiligen Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen und auch offen für die Bedürfnisse von neuen Frauen zu sein sollen, anstatt einfach ein Standardprogramm abzuspulen.

Einmischen heißt für Scherb die Devise: Anstatt darauf zu warten, dass die Presse über einen Vortrag zu Zierpflanzen berichtet, will sie ihre Vereinsmitglieder ermutigen zu schauen, welche Themen gerade im Dorf virulent sind. „Ihr werdet als Landfrauen Gehör finden, wenn ihr euch dagegen wehrt, dass die letzte Kita geschlossen wird, die Hebammen abgezogen werden oder eine Autobahn durch euer Dorf gehen soll. Das ist ein etwas anderes Modell als wir es bislang aus unseren Vereinen kennen, aber es wird hier und da schon gelebt. Und in diese Richtung müssen wir weiterdenken und handeln“, so Scherb, die versucht, den traditionsreichen Verband für die Zukunft fit zu machen. Dabei ist ihr auch „das soziale Element der Verbandsarbeit und das Miteinander vor Ort“ wichtig.

Klar ist, dass gehandelt werden muss. „Denn heute gehört die Mehrzahl unserer Mitglieder der Generation der über 65-Jährigen an. Wir sind sehr froh über unsere Mitglieder, die schon lange bei uns organisiert sind. Heute haben wir in Landesverbänden wie dem in Niedersachsen Hannover mit rund 70.000 Mitgliedern einen jährlichen Zuwachs von rund 2.500 Mitgliedern, von denen die meistens im Ruhestand zu uns kommen. Gleichzeitig steht dem aber ein Mitgliederschwund gegenüber, den wir damit nicht ausgleichen können“, so Scherb, die zwölf Jahre dem niedersächsischen Landesverband Hannover vorstand. Immerhin, vermerkt sie, seien 2015 mehr junge Frauen hinzugekommen, so dass der Altersdurchschnitt um vier Prozent gesunken sei.

Irmgard Lang gehört zu denjenigen, die sich für die Landfrauen engagieren. Seit 2006 organisiert sie als sogenannten „Ortsbäuerin“ die Treffen der Landfrauen. In Bayern, wo sie wohnt, ist die Mitgliedschaft bei den Landfrauen über den Bauernverband geregelt. Eigentlich hatte sie nicht vor, ein Ehrenamt zu übernehmen, denn „ich dachte, dass andere besser organisieren oder kommunizieren können“. Aber sie wurde vorgeschlagen und lies sich schließlich dazu überreden. „Zu den Treffen kommen ungefähr 20 bis 30 Frauen. Wir reden über Berufliches sowie Privates und laden immer noch Referentinnen zu unseren Treffen ein. Es können Gesundheits- oder Finanzthemen sein, kürzlich hatten wir eine Referentin zum Thema Energiesparen da“, so Lang. In ihrer ­Gemeinde ist es also noch das klassische Veranstaltungskonzept, das greift. „Lange Zeit war ich die jüngste Teilnehmerin bei diesen Treffen, langsam ändert sich das. Es gibt in unserem Ortsteil, in den wir eingemeindet sind eine Neubausiedlung, in die nun mehrere junge Familien gezogen sind. Und auch da kommen die Frauen zu unseren Treffen, obwohl sie nicht aus der Landwirtschaft kommen. Die Jüngeren suchen da auch den Kontakt zu den Älteren“, sagt die heute 50-Jährige.

Von Handykurs bis Bildungsreise

Für Brigitte Scherb ist es „ein sehr hoher gesellschaftlicher Wert, dass der Landfrauenverband Treffpunkte auf dem Land schafft“. Und die Zahlen können sich sehen lassen: Rund 130.000 Bildungsveranstaltungen finden pro Jahr bei den Landfrauen statt und sie erreichen damit etwa 2,7 Millionen Teilnehmerinnen. Das Programm reicht von Handy- über Sportkurse bis hin zu Reiseangeboten. „Viele unserer Frauen nehmen daran teil, weil sie im vertrauten Rahmen unseres Vereines stattfinden und sie sonst oft keinen Zugang zu vergleichbaren Angeboten hätten. Wir sind auf Vereins­ebene der größte Bildungsträger im ländlichen Raum“, so Scherb weiter. Im Zuge der Modernisierung des Verbandes wünscht sich Scherb zukünftig auch neue Zielgruppen mit einzubeziehen. So etwa Migrantinnen. Wieder verweist sie auf die 1950er Jahre, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen: „Für viele von ihnen wurde Deutschland über die Landfrauenvereine zur neuen Heimat. Wir möchten das ins Bewusstsein rufen. Hier und da gibt es schon sehr schöne Beispiele, wie eine neue Öffnung funktionieren kann. Oftmals ist es das gemeinsame Kochen und Essen, was zu wunderbaren Kontakten führt, die weitergepflegt werden. Ich sehe da vielversprechende Ansätze“, so Scherb, die nicht nur intern neue Wege gehen will.

Lobbyarbeit für Landfrauen

Auf der Agenda ihrer Forderungen an die Politik steht derzeit, dass die Krankenversicherungsbeiträge für selbstständige Frauen einkommensabhängig ermittelt werden sollen. Denn die derzeitige Beitragsbemessungsgrenze sei so hoch, dass Kleinunternehmerinnen, die aus der Familienversicherung herausfallen, plötzlich zu hohe Versicherungsbeträge bezahlen müssten. „Da sind die Gewinne dann ganz schnell wieder weg, aber gerade auf dem Land fehlt es an Arbeitsplätzen, so dass es zunehmend wichtiger wird, dass sich Frauen selbständig machen“, erläutert Scherb.

Ein weiteres Anliegen: Die Sozialwahlen, die 2017 in Deutschland wieder stattfinden. Scherb setzt sich dafür ein, dass die Listenplätze paritätisch vergeben werden. Für die Durchsetzung ihrer Forderungen ist sie auch mit der zuständigen Staatssekretärin im Arbeitsministerium im Gespräch: „Sie hat mir in die Hand versprochen, dass der Gesetzentwurf bis Ende des Jahres 2014 kommt. Er ist bis heute nicht da. Wir sind aber weiter im Gespräch, und es hapert wohl an den Koalitionären, die sich nicht einigen können“, verrät die Präsidentin. Sie selbst trifft sich regelmäßig mit hochrangigen PolitikerInnen, sei es mit Bildungsministerin Wanka, mit der sie über die Einführung eines Schulfaches „Alltagskompetenzen“ spricht, oder mit Vizekanzler Gabriel, dem gegenüber sie ihre Bedenken in Sachen Handelsabkommen TTIP äußert. Beide kennt sie noch aus ihrer Zeit als Landesvorsitzende der Landfrauen in Niedersachsen. „Da gibt es immer wieder die Gelegenheit zu Gesprächen auch jenseits des Protokolls“, so die Netzwerkerin Scherb.

Was die Präsidentin Brigitte Scherb und die Ortsbäuerin Irmgard Lang übrigens verbindet, ist nicht nur, dass beide drei erwachsene Kinder haben und als Landwirtinnen tätig waren, sondern auch, dass sie nach dieser Amtsperiode nicht mehr antreten werden. Scherb wurde gerade für vier Jahre wiedergewählt, Lang wiederum hat noch ein Jahr als Ortsbäuerin vor sich. Danach hofft sie auf etwas mehr Zeit für sich selbst und das Landleben. Im Gegensatz zu ihrer Tochter, die bald in eine Stadt ziehen will, sagt Lang bis heute: „Ich genieße das Draußensein und die Ruhe sehr.“

Christine Müller arbeitet als Print- und Radio­journalistin in Berlin – unter anderem für die Online-Redaktion des Deutschen Frauenrats, in dem auch der Landfrauenverband und die Evangelischen Frauen in Deutschland Mitglied sind. – mehr unter www.cmuellerberlin.de 

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