Ausgabe 1 / 2012

Eliport – Lesetipps

3 x europäische Migration


Die Venus im Fenster
Ihre Schwester hat Alina zehn Jahre nicht gesehen. Mit ihr warten die LeserInnen in der Tristesse des Ostberliner Bahnhofs auf Irma und begleiten Alina in Erinnerungen
an die von Umbrüchen geprägte Vergangenheit. Ist die Großmutter 1945 aus Donauschwaben nach Sibirien deportiert worden, um am Schwarzen Meer zu stranden, so wandert die Familie Anfang der achtziger Jahre nach Dresden aus, in das ersehnte Land. Im DDR-Sozialismus angekommen, wünscht sich der Vater in die Bundesrepublik, doch die Oma will nie wieder umsiedeln und neu anfangen. So bringt erst die Wende die Freiheit, in der jede/r eigene Wege geht.
Auch die 1970 geborene Autorin ist als Zwölfjährige aus Kasachstan in die DDR immigriert. Immer leise, mal melancholisch, mal humorvoll lässt sie die Figur Alina von ihrer Familie und eigenen Befindlichkeiten erzählen. Etwas anspruchsvollere LeserInnen gewinnen mit diesem angenehm lesbaren, zuweilen zart klingenden, nie dramatisierenden Roman Einblick in eine Aussiedler-Familiengeschichte.
Kathrin Vogel

Eleonora Hummel:
Die Venus im Fenster, Göttingen (Steidl) 2009
ISBN 978-3-86521-878-0, gebunden: 18,00 Ä

Träume für Verrückte
Die Ich-Erzählerin, die 24-jährige Ahlèm, hat ihre Kindheit in Algerien verbracht, in der archaischen Welt ihres Dorfes. Nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter ist sie ihrem Vater in das triste Milieu eines Pariser Vorstadtghettos gefolgt. Hier lebt sie nun als Ausländerin mit begrenzter Aufenthaltserlaubnis. Sie bekommt nur schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs und muss sich um ihren geistig verwirrten Vater und um ihren kleinen Bruder kümmern, der in Gefahr ist, auf die schiefe Bahn zu geraten. Die junge Frau hat mit der rigorosen, islamischen Tradition gebrochen,
ist fast ein perfektes Beispiel für Integration in ein Land, das sie voller Kälte und Feindseligkeit empfindet. Ein Leben zum Verrücktwerden, in dem es aber auch Träume gibt.
Das Buch berichtet realistisch, wenn auch wenig differenziert, vom Leben in Algerien und Frankreich, von Tradition und Moderne. Unterschiedliche Zeitebenen durchdringen einander. Ältere Leser werden sich vielleicht an der authentischen, drastischen Umgangssprache stören. Ein nachdenkliches Buch für Jugendliche und Erwachsene, die an gesellschaftspolitischen Fragen interessiert sind.
Dieter Jeanrond

Faíza Guène: Träume für Verrückte.
Dt. von Anja Nattefort. Hamburg (Carlsen) 2008
ISBN 978-3-551-58186-0, kt.: 12,00 Ä

Bilal
Der Chefreporter bei „Espresso“ reist auf den Routen illegaler Einwanderer vom Senegal über Mali und Niger nach Libyen. Zudem recherchiert er in den Küstenstädten Tunesiens und Libyens und betritt getarnt das Flüchtlingslager auf der Mittelmeerinsel Lampedusa. Überall begegnet er verzweifelten Afrikanern, die trotz guter Bildung dem wirtschaftlichen Niedergang und der politischen Unterdrückung in ihren Heimatländern entfliehen wollen. Doch sie treffen auf brutale und korrupte Angehörige des Militärs und der Polizei, die die Not der Flüchtlinge erbarmungslos ausnützen.
Die ausführliche Reportage mit vielen Hintergrundinformationen wirft einen genauen Blick auf die Ausgeschlossenen, die an die für sie weitgehend verschlossenen Tore der Festung Europa klopfen. Der Bericht ist ein spannendes Sachbuch, aber auch eine gute Grundlage für Gespräche über die gegenwärtige Flüchtlingspolitik.
Peter Bräunlein

Fabrizio Gatti: Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa. Dt. von Friederike Hausmann und Rita Seuß.
München (Kunstmann) 2010
ISBN 978-3-88897-587-5, geb.: 24,90 Ä

Lesetipps: Eliport – Evangelisches Literaturportal e.V. ist der Dachverband der evangelischen öffentlichen Büchereien in Kirchengemeinden und Krankenhäusern in Deutschland. Bücher lesen, beurteilen und sie anderen LeserInnen empfehlen – das ist das Kernstück evangelischer Büchereiarbeit und die zentrale Aufgabe des Evangelischen Literaturportals.
Mehr unter www.eliport.de 

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