Alle Ausgaben / 1997 Frauen in Bewegung von Torsten Moritz

Elisabeth Adler

Eine spirituelle Mutter in der Ökumene

Von Torsten Moritz

Vorbemerkung der Redaktion
Das Frauenporträt in dieser Ausgabe der Arbeitshilfe zum Weitergeben ist ungewöhnlich. Elisabeth Adler ist am 15. Januar diesen Jahres in Berlin gestorben. Für Heft 2/1997 hatte sie uns noch einen Beitrag zugesagt, den sie nicht mehr schreiben konnte.
Viele haben sie als ihre geistige oder – wie der Autor des folgenden Textes formuliert – spirituelle Mutter empfunden. Dies war der Anlass, ihr das Frauenporträt in diesem Heft zu widmen.
Das „Porträt“ ist eine Ansprache bei einer Gedenkfeier für Elisabeth Adler am 28. Januar, ergänzt um einige Hinweise zu ihrem Lebenslauf.


Unser Zusammenkommen hier ruft in mir Erinnerungen an die Feier von Elisabeths 70. Geburtstag im August wach. Wir haben damals mit allen Anwesenden einen großen gemalten Baum, der die siebzig Jahre in Elisabeths Leben symbolisierte, mit kleinen Zetteln beklebt. Alle Anwesenden haben einen Zettel beschriftet und erzählt, wann und wie sie Elisabeth kennen gelernt haben. So entstand ein buntes, lebendiges Bild von Elisabeths Leben. Bei allen, die ihre Geschichte mit Elisabeth erzählten, kam sehr deutlich durch, wie wichtig Elisabeth als Freundin war. Als eine Freundin, die zuhörte, unterstütze, aber mit Kritik auch nicht hinterm Berg hielt, gleichzeitig aber auch immer wieder ermutigte, Neues anging und mitriss. Wir alle werden lernen müssen, ohne diese Energie und Kraft auszukommen.

An diesem Augustnachmittag war es so – und es wird wohl auch heute so sein, dass ich einer derjenigen bin, die Elisabeth am kürzesten kannten. Umso dankbarer bin ich für diese beiden sehr intensiv erlebten Jahre, in denen ich sie begleiten durfte.

Ich habe Elisabeth im Februar 1995 kennen gelernt. Ich war von der Evangelischen Studentinnengemeinde angefragt worden, ob ich den Job als Konferenzsekretär für das Altfreundetreffen des Christlichen Studentenbundes annehmen wollte. Beiden – der ESG und dem WSCF – war ich schon seit einigen Jahren verpflilchtet, aber der entscheidende Grund zuzusagen war doch wohl die Aussicht, mit der Elisabeth Adler zusammenarbeiten zu können. Gelesen und gehört hatte ich schon viel von ihr, was für ein Mensch mich erwarten würde, war mir unklar.

Streng genommen war sie damals also meine Chefin. In unserer Beziehung zueinander hat dies von Anfang an keine Rolle gespielt. Sich durch ein solches Hierarchie-Verhältnis Respekt zu verschaffen, hatte sie nicht nötig. Den Respekt verschaffte sie sich dadurch, dass sie sie selbst war. Klar in der Sache, manchmal etwas ungeduldig, doch meist freundlich im Ton, herzlich im persönlichen Umgang und bei alledem offen für Anregungen und Kritik – so habe ich sie von Anfang an erlebt.

Beeindruckt hat mich ihre Neugier, ihre Bereitschaft, sich auf Ungewohntes einzulassen, und ihr Interesse. So bei jenem ersten Mal, als sie bei mir zuhause vorbeikam und sich dort alles ganz genau erklären ließ: Wie es denn nun alles funktioniere in der Hausgemeinschaft, in der ich lebe. Was denn meine Mitbewohner so treiben. Wie wir es denn geschafft hätten, unsere Hausfassade auch noch im vierten Stock so schön bunt anzumalen, und was der Spruch gegen Wohnraumspekulation, der im Hausflur hing, so genau zu bedeuten hätte. Es war auch dieses Interesse, diese Neugier, weshalb ich sofort anfing, sie zu mögen.

Ich vermag nicht zu sagen, wie unermesslich viel ich persönlich in diesen beiden Jahren von ihr gelernt habe. Mit größter Bereitwilligkeit hat sie mich teilhaben lassen an dem, was sie wusste, was sie erlebt hatte und was sie dachte. Ich habe sie oft um Rat gefragt und sie dann irgendwann scherzhaft – in Analogie zu den Spirituellen Vätern, die die orthodoxe Kirche kennt – zu meiner spirituellen Mutter ernannt. An dem Scherz war ein ganzes Stück Wahrheit.
Es war schön, zu erleben, wie sich das, was als eine Arbeitsbeziehung begonnen hatte, schnelle zu einer echten Freundschaft entwickelte. Irgendwann war klar, dass wir keinen dienstlichen Anlass mehr brauchten, um uns zu treffen, sondern das Persönliche in den Vordergrund stellen konnten. Ich habe die Gespräche mit ihr sehr genossen, Gespräche, die wir wirklich oft über „Gott und die Welt“ führten.

Elisabeth ist mir allerdings auch weiterhin in Fragen des WSFC und der Ökumene allgemein wichtig geblieben. Waren es unsere gemeinsamen Diskussionen auf der WSCF-Generalversammlung in Yammoussoukro, die Probleme, mit der wir als heutige Generation des WSCF zu kämpfen hatten, oder Kontakte zum Ökumenischen Rat der Kirchen – Elisabeth blieb auch hier eine wichtige Ratgeberin. Schön war auch, dass sie immer wieder wissen wollte, was ich so zu dem dachte, was sie tat oder tun wolle.

Ich habe es dann als sehr schwierig für Elisabeth empfunden, dass es ab dem Sommer gesundheitlich zunehmend schlechter um sie bestellt war. Gern hätte ich es gesehen, wenn sie geduldiger und behutsamer mit sich selbst gewesen wäre, aber einen Gang zurückschalten, das widersprach dann wohl doch ihrem Stil.

Ich bin dankbar, dass auch unsere letzte Begegnung sehr intensiv war und wir über viele Dinge gesprochen haben die sonst oft in Hektik und Betriebsamkeit untergingen. Es scheint mir insgesamt jedoch unglaublich viel noch unerledigt, soviel nicht gesagt, nicht gefragt oder soviel nicht zusammen erlebt.

Was mir bleibt, ist die Dankbarkeit für zwei intensive Jahre, ist die Kraft daraus, Elisabeth gekannt zu haben, ist der Wunsch, das von ihr Gelebte fortzusetzen.


Elisabeth Adler ist am 2. August 1926 in Magdeburg geboren. Sie studierte gleich nach dem Krieg Germanistik und Geschichte in Halle und Berlin. Dort kam sie zur Studentengemeinde, deren Reisesekretärin sie in den Jahren 1951 bis 1956 war. Wichtig war ihr schon früh die ökumenische Zusammenarbeit, für die sie dann hauptamtlich als leitende Mitarbeiterin des Christlichen Studenten-Weltbundes in Genf verantwortlich war. 1965 kehrte sie in die DDR zurück und war – wie schon 1956 bis 1959 – bei der Evangelischen Akademie in Berlin-Brandenburg tätig, die sie von 1967 bis 1987 leitete. Der Ökumene blieb sie aber weiterhin verbunden und wurde von Ökumenischen Rat der Kirchen mit dem Auswertungsbericht über die ersten fünf Jahre des Programms zur Bekämpfung des Rassismus betraut. Er erschien 1974 unter dem Titel „A Small Beginning“. Umgekehrt fanden die Impulse aus Genf starke Unterstützung in der Akademiearbeit. Hier sind neben dem Programm zur Bekämpfung des Rassismus besonders die „Ökumenischen Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ und der Konziliare Prozess zu nennen, der in der DDR eine so wichtige Rolle spielte. In ihrem (Un)-Ruhestand war Elisabeth Adler als eine von wenigen bereit, ihre Person, ihr Wissen und ihre breitgefächerten Kontakte im Osten auch in westdeutsch geprägte Gruppen einzubringen. So nahm sie bald eine zentrale Rolle ein im Ernst-Lange-Institut, beim Plädoyer für eine Ökumenische Zukunft und auch in der Jungen Kirche.

aus: Junge Kirche. Heft 2, Februar 1997

 

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