Elizabeth Cady Stanton wäre sicher sehr erstaunt, sich in einem Buch über „Gotteslehrerinnen“ vorzufinden, und ob sie als die liberale Bürgerin, die sie war, sich mit Dorothee Sölle verständigen könnte (und diese mit ihr), ist ebenfalls fraglich. Aber trotz dieser und mancher anderer Fragezeichen meine ich, dass sie und ihr letztes (und vielleicht liebstes) Werk, die Womans's Bible, so wie das Schicksal dieses Buches durchaus in diesen Rahmen passen.
So heißt es in dem Buch „Gotteslehrerinnen“, in dem Marga Bührig über E. C. Stanton schreibt.
Elizabeth Cady Stanton wurde am 12. November 1815 in Johnstown, im Staate New York geboren. Sie stammte aus dem gehobenen Bürgertum, wuchs mit vier Schwes-tern und einem Bruder auf und lebte das übliche Leben einer wohlhabenden Fa-milie mit drei farbigen Bediensteten.
Ihre Eltern, Mary und Daniel Livingston Cady wünschten sich Söhne und machten Elizabeth gegenüber keinen Hehl daraus. Sie erinnert sich an die Enttäuschung der Eltern, als ihre jüngere Schwester geboren wurde. Und als der Bruder mit elf Jahren stirbt, er war die Hoffnung der Eltern gewesen, hört sie den Vater am Totenbett seufzen: „Ach Elizabeth, wenn du doch ein Junge wärst.“ So versucht die heranwachsende junge Frau, die „akademische Laufbahn ihres Bruders zu kopieren“, um diesem Wunsch gerecht zu werden. Sie besucht die Schule in Johnstown und lernt als einziges Mädchen mit den Jungen alte Sprachen. Sie lernt Reiten und äußerst geschickt mit Pferden umgehen. Doch die volle Anerkennung ihres Vaters erlangt sie nicht. Trotz ihrer Vielseitigkeit und ausgezeichneter Leistungen seufzt er nur: „Wie schade, dass du kein Junge bist!“
Nach ihrer Graduierung 1830 überzeugt sie ihren Vater, auf der ersten Frauen-akademie mit einem anerkannten gleichwertigen Studienabschluß, dem „Troy Fe-male Semenary“ in New York, weiter studieren zu dürfen. Dort belegt sie u.a. die Fächer Philosophie und Medizin und zeigt großes Interesse für die Rechts-wissenschaften.
Stanton's Vater war Richter. Nach ihrem Studium 1833 beschäftigt sie sich in der Kanzlei ihres Vaters eingehend mit dem Gesetz und beobachtet mit wachem Blick die zu verhandelnden „Fälle“. So erfährt sie aus erster Hand, welche Diskriminierungen Frauen „legal“ zu erleiden haben. Sie beschließt, diese Gesetze zu ändern. Außerdem bekommt sie in dieser Zeit Kontakt zur Antisklaverei-Bewegung.
1940 heiratet Elizabeth gegen den Willen ihres Vaters den Journalisten Henry Stanton. Auf der Hochzeitsreise, sie führt das junge Paar nach England, nehmen sie gemeinsam am „Welt-Antisklaverei-Konkreß“ teil; Elizabeth – zu ihrem Entsetzen – allerdings ohne Stimmrecht. Hier lernt sie auch die ersten Feministinnen kennen. Diese Frauen setzten sich bewusst für die fehlenden Rechte von Frauen ein.
Elizabeth schreibt dazu: „Es waren die ersten Frauen, die ich je getroffen hatte, die an die Gleichberechtigung der Geschlechter und nicht mehr an die populäre orthodoxe Religion glaubten.“
In diesem Satz spricht sie ihr Lebensthema aus und legt Wurzeln für die Ent-stehung der „Woman's Bible“. Stanton ging es nicht nur um Recht und Stellung der Frau, nicht nur um das Stimmrecht. Ihre Fragen entzündeten sich an der staatlichen Diskriminierung von Frauen und der Rolle der Kirche, die sie bei all diesen Auseinandersetzungen und Entscheidungen inne hatte. Um Elizabeth's Engagement und Kampf für die Gleichberechtigung besser zu verstehen, will ich einige frühe religiöse Erlebnisse aus ihrer eigenen Biographie anführen:
Darin schreibt sie etwa folgendes:
„Mit meinem starken Streben nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit stieß ich mich schon als Kind an dieser Gesellschaft, in der so viel verboten war. Viele Verhaltensregeln begannen mit den Worten: ‚Du darfst nicht …'. Meistens waren es gerade die Dinge, die Spaß machten. Ich habe eine unklare Erinnerung daran, daß ich oft für Dinge bestraft wurde, die man damals ‚tantrums' (ärgerlichen Unsinn) nannte. Ich vermute aber, daß es sich dabei um eine durchaus legitime Rebellion gegen die Tyrannei von Autoritätspersonen handelte“.
Weiter erzählt sie von ihren Ängsten vor dem Teufel, den stundenlangen Predigten in einer kalten Kirche über Prädestination, Rechtfertigung aus dem Glauben und ewige Verdammnis. Unter dem Einfluss eines Erweckungspredigers gerät sie „über ihre menschliche Verlorenheit und Sünde“ in tiefe Verzweiflung. Trotzdem entwickelt sie eine gesunde Kritik gegenüber den Verhaltensforderungen ihres „Lehrers“.
Im Rückblick auf ihr Leben schreibt sie: „Nach der Erfahrung von mehr als 70 Jahren kann ich ehrlich sagen, daß alle Sorgen und Ängste, Prüfungen und Ent-täuschungen meines späteren Lebens leicht waren im Vergleich mit diesen Leiden in meiner Kindheit und Jugend, leiden unter kirchlichen Dogmen, an die ich ehrlich glaubte, und unter der Düsternis, die alles, was Religion, Kirche, Pfarrhaus, Friedhof betraf (…).“
Befreiung von dieser Bedrückung erlebt sie durch die Begegnung mit jungen Menschen, zu denen auch ihr Mann gehörte. Sie befürworteten eine liberale Theologie, traten für Gewissensfreiheit ein und widmeten sich sozialen Aufga-ben.
Die Auslegung der Bibel, wie sie in ihrer Kirche praktiziert wurde, bleibt für sie das größte Hindernis auf ihrem Weg in die Befreiung. Sie schreibt dazu: „Ich hatte schon lange so widersprüchliche Meinungen über die Bibel gehört – einige sagten, sie lehre die Emanzipation der Frau, andere behaupteten, nein, sondern ihre Unterdrückung -, daß mir der Gedanke kam, es wäre gut, jede biblische Erwähnung von Frauen (…) zusammenzustellen und zu sehen, auf welche Seite die Waage zeigt.“
Elizabeth Cady Stanton gelingt es, ein „Revising Committee“ (Überarbeitungs-komitee) zusammenzubringen. Es besteht aus zwanzig Amerikanerinnen und fünf Europäerinnen. Drei von ihnen sind ordinierte Theologinnen. Im kleinen vertrauten Kreis lesen sie die Bibel diagonal und streichen an, was ihnen auffällt. Die hebräische Bibel (Altes Testament) nimmt dabei mehr Raum ein als das Neue Testament. In zwei Bänden stellen die Frauen ihre Erkenntnisse zusammen. 1895 veröffentlichen sie die Arbeit über die fünf Bücher Mose; 1898 erscheint die Fortsetzung mit dem Untertitel, „von Josua bis zur Offenbarung“. Es sind Abschnitte aus dem Buch der Richter, den Königsbüchern, Texte von Propheten und Aposteln. Die verschiedenartigen Kommentare der mitarbeitenden Frauen stehen, mit Initialen gezeichnet, nebeneinander. Für das Selbstbewusstsein von Elizabeth Cady Stanton spricht, dass die Texte mit E.C.S. jeweils den Anfang bilden. Dieses Werk, die Woman's Bible, ist doch ihr „Kind“.
E.Cady Stanton hat mit dieser Arbeit versucht, aus den Erfahrungen und der Sicht von Frauen Bibel zu lesen. Sie wollte der Erfahrung von Frauen, dass die Bibel als Instrument der Unterdrückung gebraucht wurde, entgegenwirken und der Stellung der Frau ihre Würde zurückgeben.
Mit der Veröffentlichung der „Woman's Bible“ setzt sich Elizabeth zwischen alle Stühle. Frauenrechtlerinnen halten ihre Arbeit für unnütz. Die „National-American Woman Suffrage Association“ weist die „Woman's Bible“ offiziell als politischen Fehler zurück, sie wird sogar als Teufelswerk angegriffen. Die „Woman's Bible“ verschwindet sehr schnell aus der öffentlichen Diskussion.
1902 stirbt Elizabeth Cady Stanton. Ihre Pionierarbeit für die Rechte und die von Gott gesetzte Würde auch für die Frau reicht hinein in unsere Arbeit heute und kann uns ermutigen, unsere Wirklichkeit kritisch zu sehen und wenn nötig, zu verändern.
Ingeborg Rothe, Hannover
Verwendete Literatur:
Marga Bührig: Die unsichtbare Frau und der Gott der Väter, Kreuz Verlag, Stuttgart 1987
Luise Schottroff, Johannes Thiele: Gotteslehrerinnen, Kreuz Verlag, Stuttgart 1989
Bibel und Kirche, 52. Jg. 4/1995, S. 198-202
Ausdruck Internet: Important People Elizabeth Cady Stanton
Anstöße für die Weiterarbeit:
In der Gruppe ließe sich die Vorgehensweise von E.C. Stanton an einem biblischen Buch/Text praktizieren.
Die Teilnehmerinnen tauschen ihre Gedanken bzgl. der unterstrichenen Stellen aus und versuchen gemeinsam, Antworten auf offene Fragen – Unklarheiten zu finden, bzw. diese bei einem weiteren Treffen mit einer Theologin zu besprechen.
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