Am 25. Januar 1881 kam Eleonore Anna Justine Knapp zur Welt. Welche Chancen sie einmal beruflich und gesellschaftlich haben würde, dafür war der familiäre Hintergrund seinerzeit entscheidend. An Mädchenschulen gab es noch kein Abitur, eine Berufsausbildung für Mädchen war nicht üblich, ein Studium unmöglich.
Eleonore, später kurz Elly genannt, war die zweite Tochter eines Professors für Nationalökonomie an der Universität Straßburg und dessen Frau Lydia, einer Georgierin, die kurz nach der Geburt des Kindes schwer erkrankte. Mit vier Monaten wurde Elly zu den Großeltern gegeben, als Zweijährige wieder zurück in den Haushalt des Vaters geholt. Später besuchten beide Töchter der Familie Knapp bis zu ihrem 15. Lebensjahr eine Mädchenschule und wurden darüber hinaus vom Vater unterrichtet. Durch die Stellung des Vaters gehörte die Familie zum gehobenen Bildungsbürgertum. Professorenkollegen und andere wichtige Personen des öffentlichen Lebens, wie auch der Straßburger Bürgermeister, trafen sich im Hause Knapp. Die Anregungen und Diskussionen im Elternhaus und die Zeitschrift Hilfe, die Elly abonniert hatte, prägten früh ihr soziales Bewusstsein. Der Herausgeber der Hilfe, Pfarrer Friedrich Naumann, beschrieb die brennenden sozialen Prob¬leme der Zeit und vertrat die Ansicht, dass nur eine bessere Volksbildung Abhilfe schaffen könne. Elly entschied sich für eine Lehrerinnenausbildung, legte mit 18 Jahren das Examen ab. Und nun begann eine, wie ich finde, sehr ungewöhnliche (Berufs-) Biografie. (1)
- Im Jahr 1900, mit 19 Jahren, richtete Elly eine eigene Grundschule ein und begann zu unterrichten.
- 1901 überzeugte sie den Straßburger Bürgermeister: „Alle Mädchen sollen und müssen berufstätig sein – dazu braucht es eine Fortbildungsschule“. Zum ersten Kurs meldeten sich 80 Teilnehmerinnen und Elly begann auch hier zu unterrichten. Die Kurse können als Vorform der späteren Handelsschulen gelten.
- 1905 unterbrach Elly Knapp ihre Unterrichtstätigkeit und wurde Gast¬ hörerin, zuerst an der Universität Freiburg, dann in Berlin.
- 1906 eröffnete in Berlin die Heimarbeitsausstellung, die Elly mit vorbereitet hatte. Danach kehrte sie nach Straßburg zurück, nahm ihre Lehrtätigkeit wieder auf, hielt Vorträge über Heimarbeiterinnen und wurde zur gefragten „Wanderrednerin“.
- 1907 verlobte sie sich mit Dr. Theodor Heuss, den sie im folgenden Jahr heiratete und dem sie nach Berlin folgte.
- 1908 begann die junge Ehefrau in Berlin wieder zu unterrichten, wurde im gleichen Jahr in die Prüfungskommission für Gewerbelehrerinnen berufen und begann ein Lehrbuch zu schreiben, weil es bisher kein entsprechendes Lehr- und Lernmaterial gab.
- 1910 erschien: Bürgerkunde und Volkswirtschaft für Frauen – Leitfaden für Frauenschulen, Handelsschulen, Gewerbeseminare und verwandte Anstalten, von Elly Heuss-Knapp. Ein Buch, das zum Standardwerk wurde. Am 5. August wurde dann das einzige Kind der Familie Heuss, Sohn Ernst Ludwig geboren. Nach einer normalen Schwangerschaft hatten dramatische Geburtskomplikationen der Gesundheit von Elly Heuss-Knapp so zugesetzt, dass sie in den ersten Monaten nach der Geburt ausschließlich auf Haushalt und Kind beschränkt war.
- 1911 setzte die jetzt 30-jährige Prioritäten: Haushalt und Kinderbetreuung so viel wie nötig – Erwerbstätigkeit und soziales Engagement so intensiv wie möglich. Sie nahm Unterricht und Vorträge wieder auf und bereitete zusammen mit Frauen aus der Frauenbewegung die nächste Ausstellung vor. Ihren Tagesablauf beschrieb sie so: „Ich hab viel zu tun. Morgens schreib ich drei bis vier Briefe in Sachen der Ausstellung Die Frau in Haus und Beruf, telefoniere eine Stunde lang, von neun bis zehn, dann kommt der Ludwig, der gebadet sein will um zehn Uhr, dann Haushalt und eventuell (Unterrichts)
Stunden, nachmittags Vorbereitung für Stunden, Spaziergang mit Ludwig, und abends oft noch etwas. Meine neue Arbeit in der sozialen Frauenschule macht mir viel Freude“. - 1912, im Februar, eröffnete in Berlin die Ausstellung Die Frau in Haus und Beruf, deren Idee es war, Frauenaktivitäten in den Lebenssphären Haus und Beruf gleichberechtigt vorzustellen. Drei Monate später musste Elly Heuss-Knapp mit ihrer Familie nach Heilbronn umziehen, die berufliche Karriere von Ehemann Theodor Heuss stand im Vordergrund. Die Umstellung fiel ihr nicht leicht, doch sie versuchte es als Mutter positiv zu sehen und beschrieb „… wie viel freier wächst ein Kind hier auf … aber die andere Hälfte, der Beruf fehlte und der anregende Kreis in Berlin“.
- 1914 war sie beruflich wieder voll ausgelastet, arbeitete als Redakteurin des politisch-literarischen Wochenblatts März, hielt Vorträge. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs bekam das Leben von Elly Heuss-Knapp eine ganz neue Richtung: Sie gründete mit den Mitgliedern des Heilbronner Frauenvereins eine Arbeitsbeschaffungsstelle, d.h. sie organisierte Startkapital für Rohstoffe und Arbeitsmaterialien und sorgte für den Absatz der produzierten Waren. Bis zu 900 Frauen waren als Heimarbeiterinnen für die Arbeitsbeschaffungsstelle tätig, hatten ein eigenes Einkommen und waren so nicht auf die öffentliche Fürsorge angewiesen.
- 1918 kehrte die Familie Heuss nach Berlin zurück. Die Einführung des Wahlrechts für Frauen wurde diskutiert und dann am 30.11.1918 überraschend schnell beschlossen. Elly Heuss-Knapp war jetzt 37 Jahre alt, sie ließ sich als Kandidatin für die Deutsche Demokratische Partei aufstellen und organisierte gemeinsam mit Frauen aus allen bürgerlichen Parteien den Wahlkampf, um möglichst viele Frauen für die Wahl zu mobilisieren.
- 1920 wurde gewählt, die Wahlbeteiligung der Frauen war mit 78% sehr hoch, 37 Parlamentarierinnen kamen in die Nationalversammlung. Elly Heuss-Knapp verfehlte ihr Mandat knapp. Sie beendete ihr parteipolitisches Engagement, begann ein intensives Bibelstudium. Ihre bislang sozialkritischen Vorträge veränderten sich hin zu beschaulichen Themen.
- Ab 1926 lebte der 15jährige Sohn in einem Internat, später wird er Jura studieren und promovieren. Elly Heuss-Knapp unterrichtete ab da im neu gegründeten Seminar für kirch¬ liche Frauenarbeit.
- 1929 begann sie mit einer Sendereihe im Berliner Rundfunk ihre Rundfunkarbeit.
- 1930 wurde sie Mitglied im Programmbeirat und Rundfunkkritikerin einer Zeitung.
- 1933 büßten Elly und Theodor Heuss ihre wirtschaftliche Basis ein, verloren alle bisherigen Aufträge, Anstellungen und die Möglichkeiten für Veröffentlichungen. Noch im Frühjahr d. J. bot sich Elly Heuss-Knapp, jetzt 52jährig, eine neue Chance: Sie sollte im Auftrag eines Vetters Rundfunkwerbung für Hustenpillen machen, nahm den Auftrag an und startete eine ganz neue Karriere: Zuerst machte sie Radiowerbung, 1938 produzierte sie ihren ersten Werbefilm für das Kino, immer wieder entwickelte sie erfolgreiche Kampagnen für verschiene Firmen, kreierte Markennamen. Sie verdiente bis etwa zum Jahr 1941 so viel, dass sie die Familie ernährte, das Studium des Sohnes finanzierte und es schaffte, das Haus zu kaufen, in dem sie seit 1930 wohnten. Und das, obwohl sie im Herbst 1933 den ersten schweren Herzanfall bekommen hatte, und sie danach nie mehr ganz gesund wurde. Nach 1941 gab es kaum mehr Reklameaufträge.
- 1945 folgte Elly Heuss-Knapp wieder ihrem Mann, diesmal ins Württembergische, wo er Kultusminister und Mitherausgeber der Rhein-Neckarzeitung wurde. Sie begann wieder im Rundfunk zu arbeiten, veröffentlichte und hielt Vorträge.
- 1946 kandidierten Elly und Theodor Heuss für den Landtag und wurden beide gewählt. Elly Heuss-Knapp eröffnete als Alterspräsidentin die Sitzung, wurde Berichterstatterin des sozialpolitischen Ausschusses.
- 1949 wählte das Parlament der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten. Noch einmal folgte Elly Heuss-Knapp ihrem Mann, diesmal als erste First Lady. Sie setzte sich trotz schwerer Krankheit für die Idee der Müttererholung ein. Im Januar 1950 gelang ihr mit der Gründung des Müttergenesungswerks in kürzester Zeit etwas durchaus Ungewöhnliches: Alle fünf Wohlfahrtsverbände vereinbarten, sich hier gemeinsam für die Gesundheit der Mütter einzusetzen.
- Elly Heuss-Knapp starb am 19. Juli 1952.
Rosel Tews ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Evangelische Frauen in Hessen und Nassau e.V.