Alle Ausgaben / 2001 Frauen in Bewegung von Regina Seifert

Erdmuth Dorothea Gräfin Reuss zu Plauen nachmalige Gräfin von Zinzendorf

Von Regina Seifert

Erdmuth Dorothea wurde am 7. November 1700 in Ebersdorf im Vogtland geboren. Ihr Vater Heinrich nahm eine weltoffene religiöse Haltung ein, im Gegensatz zur Mutter, deren Glaubensvorstellungen streng pietistisch geprägt waren. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1711 übernahm die Mutter allein die Erziehung der acht Kinder. Erdmuths Mutter, Gräfin Benigna, hatte neben der Verantwortung für die religiösen Aktivitäten und die Kindererziehung auch die Verwaltung ihres Gutes zu bewältigen. Sie soll eine umsichtige Gutsherrin gewesen sein, und Erdmuth lernte in wirtschaftlichen Fragen vieles von ihr, was sie später befähigte, „Hausmutter“ der Brüdergemeine zu sein. Nur eine Reise nach Dresden 1716 anlässlich einer orthopädischen Kur unterbrach das gleichförmige Leben ihrer Jugend am Ebersdorfer Hof. In Dresden lernte sie die „große Welt“ kennen, deren Unternehmungen bei Erdmuth aber deutliche Kritik und sogar Widerwillen hervorriefen.

Anlässlich eines Besuches auf Schloss Ebersdorf begegnete Erdmuth dem Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, einem Freund ihres Bruders Heinrich. Er führte bei dieser Gelegenheit Erdmuth in seine ungewöhnlichen Lebensvorstellungen ein. Obwohl sie sich gewiss nicht durch Liebe oder Leidenschaft zu ihm hingezogen fühlte, verband sie doch geistig viel mit ihm, und so nahm sie seine Bedingungen für eine sogenannte „Streiterehe“ für die Sache Jesu Christi an. Im August 1722 fand die Verlobung statt und wenige Wochen später, am 7. September, heiratete Erdmuth den Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Im Ehevertrag erhielt Erdmuth die Verantwortung für das Vermögen und die wirtschaftlichen Aktivitäten, während dem Grafen für seine Aufgaben im Dienst Jesu Christi alle Freiheit eingeräumt wurde.

In den ersten fünf Jahren ihrer Ehe hielten sich die Zinzendorfs in Dresden und in der Oberlausitz auf, bis sie sich 1727 endgültig in Herrnhut niederließen. Seit fünf Jahren hatten Flüchtlinge vor allem aus Böhmen und Mähren dort eine neue Siedlung und christliche Gemeinschaft aufgebaut. Zunächst verhielt sich die junge Gräfin zurückhaltend, dann aber ließ sie sich begeistern und übernahm das Amt einer „Vorsteherin“. Sie wurde die offizielle Ortsherrin und war verantwortlich für die Finanzverwaltung.

Obwohl Erdmuth und Ludwig ihre Ehe in erster Linie als eine Arbeitsgemeinschaft für die Sache Jesu Christi verstanden, spricht aus Briefen, die sie sich gegenseitig schrieben, ein Gefühl engster Zusammengehörigkeit. Zinzendorf achtete seine Frau als Schwester im Glauben und Freundin. Er stellte an sie allerdings auch Forderungen, wie sie sich zu verhalten, ja sogar, wie sie sich zu kleiden hätte. In Herrnhut wurde es üblich, sich als Demutsbeweis gegenseitig die Füße zu waschen. Der Graf erwartete diese Geste auch von seiner Frau, die sich aber zunächst weigerte. Etwa um 1731 begann jedoch Erdmuths Wandlung, und sie erfüllte nun vollkommen die Vorstellungen ihres Mannes von einer frommen Hausmutter der Gemeine. „Erdmuth hatte also nun, gewiß nach innerem Mit-sich-Ringen, jenen Standpunkt in Frömmigkeit und Leben erlangt, der Zinzendorfs Erwartungen entsprach. Indem er aber der ganzen inneren Struktur einer solch starken Frau wie Erdmuth Gräfin von Zinzendorf widersprach, war eine Gefährdung ihrer Persönlichkeit gegeben.“

Von 1724 bis 1740 schenkte Erdmuth zwölf Kindern das Leben, von denen acht
bereits im Kindesalter starben. Die sich ausbreitenden Beziehungen der Herrnhuter in alle Welt brachten auch eine Erweiterung von Erdmuths Aufgaben mit sich. Die ständigen Reisen des Grafen erforderten größere finanzielle Mittel als vorhanden waren. Man verschuldete sich. Wies Erdmuth den Grafen auf die Situation hin, bezichtigte er sie des Unglaubens. Durch Spenden und durch sparsames Wirtschaften gelang es ihr immer wieder, die Finanzverwaltung des Unternehmens Brüdergemeine in den Griff zu bekommen. Anfangs begleitete sie ihren Mann auf seinen Reisen, in späteren Jahren übernahm sie selbständig Reiseaufträge nach Dänemark, Livland und St. Petersburg.

Der Graf hatte sich indessen mit einem Kreis jüngerer VerehrerInnen umgeben, die ständig mit ihm reisten. Zu ihnen gehörte auch Anna Nitschmann, ein junges Mädchen, das in Erdmuths Haushalt aufgewachsen war. Sie zeigte für den Grafen große Bewunderung und Liebesneigungen, die von ihm auch erwidert wurden. Als der Graf 1743 von einer langen Amerikareise zurückkehrte, wurden die Aufgaben neu verteilt, Erdmuth hatte ihre Führungsrolle abzugeben. Sie hielt sich nun meist in Herrnhut auf und bemühte sich, dort ihren Aufgaben nachzukommen. Zinzendorf lebte während der letzten 15 Jahre ihrer Ehe mehr oder weniger getrennt von seiner Frau.

Durch die Vielzahl der Belastungen litt Erdmuths Gesundheit. Schwer zu schaffen machte ihr der Tod ihres Sohnes Christian Renatus im Mai 1752, der als einziger ihrer Söhne 25 Jahre alt wurde – alle anderen starben bereits im Kindesalter. In der Hoffnung, von ihm getröstet zu werden, fuhr sie zu ihrem Mann nach England. Doch Zinzendorf brachte ihr kein Verständnis entgegen. Nach seiner Auffassung ging es jedem Verstorbenen bei Christus besser. Erdmuth aber trauerte um ihren Sohn und der Schmerz ließ sie nicht mehr los.
Sie bemühte sich weiter darum, in Herrnhut gemeinsam mit ihrem langjährigen Freund und Glaubensbruder, Friedrich von Wattewille, vieles auf den Weg zu bringen. Sie ließen Alleen und Hecken anlegen und sorgten damit für eine Verschönerung des Ortes. Erdmuth schrieb Lieder und Gedichte und führte ein offenes Haus. Bis zuletzt stand sie den HerrnhuterInnen mit Rat und Tat zur Seite.

Nach einer Erkältung im Juni 1756, mit der ihr geschwächter Körper nicht mehr fertig wurde, entschlief sie in den Morgenstunden des 19. Juni 1756 im Beisein ihrer drei noch lebenden Töchter, Verwandten und Freunde. Am 25. Juni abends fand unter großer Anteilnahme der Herrnhuter Gemeine, aber ohne Graf Zinzendorf, die Beerdigung Erdmuths auf dem Hutberg statt.

Da der 300. Geburtstag von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf im Jahr 2000 in Herrnhut groß gefeiert wurde, der 300. Geburtstag seiner Frau aber keine Rolle spielte, hat sich die Kirchliche Frauenarbeit in Sachsen bemüht, das Andenken an diese große Frau der Kirche wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Literatur
Frauenkirchenkalender 2000, Strack-Verlag; Frauen in der Kirchengeschichte Sachsens, Ein Lesebuch.

Regina Seifert, geb. 1953, ist Theologin und Referentin bei der Kirchlichen Frauenarbeit in Sachsen. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe ARBEITSHILFE ZUM WEITERGEBEN.

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