Ausgabe 1 / 2013 Artikel von Anne Rieck

Erwachsen glauben lernen

Missionarischer Standortvorteil: Fernstudium Feministische Theologie

Von Anne Rieck

„Das Fernstudium ist das Beste, was uns im Frauenwerk in den letzten Jahren passiert ist“, sagte die Kollegin in der Auswertung unserer Angebotspalette für die Frauenarbeit in unserer Landeskirche.

Mit großem persönlichem Einsatz hat gerade diese Referentin die Fernstudentinnen ihrer Region begleitet und als Tutorin aktiv in diesem innovativen Studienprogramm mitgearbeitet. Inzwischen erntet sie vielfältige Früchte: Vor dem Hintergrund der Auflösung traditioneller Strukturen der Frauenarbeit ergeben sich plötzlich neue Netzwerke und flexible Organisationsstrukturen, in denen Frauen sich je nach Lebenssituation, Interesse und Zeitbudget einsetzen. Projektbezogen engagieren sie sich in ihren Regionen – zeitweise auch landeskirchenweit – in unterschiedlichen kirchlichen Feldern wie Frauenarbeit, Gottesdienst, Erwachsenenbildung oder Gemeinwesenarbeit. Noch ist nicht klar, ob und wie diese neuen Aufbrüche systematisch und gezielt ins große Ganze eingebunden werden können. Aber
sie haben begeisternde und das heißt „missionarische“(1) Effekte, an denen wir uns freuen und in die wir einbezogen sind.

Das Fernstudium Theologie feministisch(2) ist kein theologisches Bildungsprogramm wie andere. Es will nicht Inhalte kognitiv vermitteln oder gar indoktrinieren und erlernen lassen, was theologisch richtigerweise zu denken ist.
Vielmehr bietet es Möglichkeiten, über die eigenen existentiellen Fragen und Erfahrungen so ins Gespräch zu kommen, dass deren theologische Dimension und Bedeutung sichtbar wird. Erst in der Beschäftigung mit den unterschiedlichen Zugängen, Fragerichtungen und Antwortversuchen feministischer Theologien weltweit scheint dann ein offener systematisch-theologischer Horizont auf, vor dem Frauen sich selbstbewusst bewegen und positionieren können.

„Dass ich hier nicht abgestraft werde, wenn ich nicht die Mehrheitsmeinung vertrete, hat mich begeistert. Ich kann hier sogar eine patriarchale Position vertreten, ohne an den Rand gedrängt zu werden.“ So oder ähnlich beschreiben Teilnehmerinnen oft in der Reflexion ihres „Lernweges“ ihre Ausgangssituation. Regelmäßig benennen sie dabei ihre anfänglichen Vorurteile und Befürchtungen. Denn während „feministisch“ – verbunden mit Theologie – für viele in den Leitungsteams ein Qualitätsmerkmal ist, ist es für viele der Teilnehmerinnen des Fernstudiums ein Adjektiv, das mit negativen Assoziationen und einem kolonialistisch eingefärbten Missionsbegriff verbunden ist: Soll ich hier „missioniert“, ideologisch eingenordet werden? Wenn wir „feministisch-theologisch“ übersetzen als „Theologie vor dem Hintergrund weiblicher Lebenserfahrungen“, ist das zwar für die Fachfrauen ein Tort, für viele Interessentinnen aber ein Türöffner, jedenfalls in unserer Landeskirche.

Gesprächsimpuls: Woran denken Sie, was fühlen Sie, wenn Sie „feministische Theologie“ hören? – Austausch zu zweit oder dritt

Glaube und Alltag im eigenen Leben verbinden

Dass es die eine feministische Theologie nicht gibt, überrascht viele Teilnehmerinnen des Fernstudiums in unserer Landeskirche ebenso wie die Entdeckung, dass meine gesellschaftliche, ökonomische, geschlechtsspezifische, familiäre Situation, mein Alltag eine Rolle spielt für meinen Glauben und darum einbezogen werden darf und muss in mein theologisches Fragen und Nachdenken.

Für viele Frauen ist es neu, als Theologinnen ihres eigenen Lebens angesprochen, herausgefordert, gestärkt und ermutigt zu werden. Die Erfahrung, dass die Tiefe der eigenen Lebenserfahrung ein theologisches Werkzeug sein kann, das formaler Bildung und Intellektualität mindestens gleichrangig ist, stärkt in fast allen Teilnehmerinnen die Bereitschaft, sich mit ihren Fragen und Zweifeln auf den gemeinsamen Prozess einzulassen. Dabei erleben sie es als entlastend und irritierend zugleich, dass auch wir als Leitende uns als theologisch Suchende und Fragende, mindestens aber als solche zu erkennen geben, die mit auf dem Weg sind.(3)

„Gibt es denn mehrere Wahrheiten?“ – immer wieder eine irritierte Frage auf diesem Weg. Und oft fällt es schwer, die Theologiehaltigkeit des eigenen Lebens (für) wahr zu nehmen und wert zu schätzen. Dabei taucht manchmal der Eindruck auf, das sei doch alles ein bisschen „zu wenig“. Und hin und wieder auch die Sorge, alle Gotteserfahrung würde „innerweltlich“ aufgelöst werden. Oft dauert es Monate bis zu der Einsicht, dass das Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung gerade darin besteht, dass Gott im Alltag meines Lebens erfahrbar wird, aber nicht darin aufgeht. Denn das, was mich trägt, befreit, tröstet, aufrichtet, ist wohl alltäglich/erfahrungsmäßig vermittelt – und dennoch kann ich es nicht machen und herstellen, ist es Glück und Geschenk, Gnade, die mir von jenseits meiner selbst entgegen kommt.

Besonders deutlich kann dies am Verständnis der Auferstehung werden. Zunächst erleichtert es viele Teilnehmerinnen zu erfahren, dass Auferstehung in der Bibel an ganz alltägliche Erfahrungen anknüpft, mit ihnen verbunden ist. Die Entdeckung, dass die biblischen AutorInnen sich häufig einer Bildersprache bedienen, um von Rettungs- und Heilungserfahrungen zu sprechen, die Menschen in den Krisen und Katastrophen ihres Lebens gemacht haben, schafft erstmals Zugänge zur lange verschlossenen Sprachwelt des Glaubens. Den Tod mit der Bibel als umfassende Beziehungslosigkeit zu begreifen, ermöglicht Anknüpfungen an eigene Todeserfahrungen und deren Aufhebung mitten im Leben.

Die sozialgeschichtlichen Einbettungen, die Kenntnisse über die Lebensbedingungen der Menschen, deren Glaubenszeugnisse uns überliefert sind, ermöglichen trotz des historischen Abstands eine Übertragung in ganz andere, aber doch auch bedrückende und das Leben einengende, individuelle und globale Zusammenhänge. So wird etwa die Auferstehungserfahrung der Maria aus Magdala in Joh 20 mit eigenen Trauerwegen ebenso wie mit der Klage über weltweite Todesstrukturen und dem Aufstehen für Gerechtigkeit in den Befreiungstheologien weltweit verbunden. Die Sehnsucht, gesehen und wertgeschätzt zu werden, die in dieser Geschichte zum Ausdruck kommt, kann ebenfalls individuell, aber auch im globalen Horizont einer neoliberalen Wirtschaftsideologie gelesen werden, die Menschen zur Profitmaximierung verzweckt und damit massiv und mit verheerenden Folgen entwertet. Dass diese Anknüpfungspunkte in den eigenen Hoffnungen und Ängsten, in den persönlichen wie den allgemeinen Unterdrückungs- und Befreiungserfahrungen gefunden werden, ist entscheidend für das Verstehen, Annehmen und Weitergeben des (eigenen) Glaubens.

Gesprächsimpuls: Wann erleben Sie sich selbst als „lebendig“, wann als „tot“? Welche Erfahrungen stärken Ihre Lebenskräfte (Glaubenskräfte) und welche mindern sie?

Auf dem Weg zu einem erwachsenen Glauben

Dekonstruktion und Neukonstruktion traditioneller Gottes- und Glaubensvorstellungen haben sich insbesondere die neueren feministischen Theologien auf die Fahnen geschrieben; damit einher geht die in der feministischen Theorie selbstverständlich gewordene Dekonstruktion der Kategorie „Geschlecht“.
Das löst zunächst bei vielen Teilnehmerinnen Verunsicherung, Unverständnis und auch Abwehr und Ärger aus. Je nach religiöser Prägung entsteht das Gefühl, den festen Boden unter den Füßen zu verlieren und zu „schwimmen“. Die radikale Infragestellung aller Sprachformen des Glaubens hilft aber zu der Erkenntnis, dass wir von Gott immer nur in Bildern und Analogien sprechen können, die relativ sind und bleiben, weil sie unserer jeweils spezifisch geprägten Erfahrungswelt entstammen. Es verwundert nicht, dass diese Einsicht als erschütternd und befreiend zugleich erlebt wird. Denn sie lässt die Schwierigkeiten und Zweifel, die sich für fast alle Teilnehmerinnen an bestimmten kindlichen oder patriarchal geprägten Gottesbildern festmachen lassen, als das erkennen, was sie sind: vorläufige Vorstellungen, die fast immer zerbrochen werden müssen auf dem Weg zu einem erwachsenen, tragfähigen und selbst verantworteten Glauben.

Dieses Zerbrechen auszuhalten und einzubetten in das Gottvertrauen unserer Mütter und Väter im Glauben, gehört für uns als Leitende zu den Herausforderungen des Fernstudiums. Wir versuchen das auf mehreren Ebenen: durch empathisch-seelsorgliche Begleitung in regionalen Studiengruppen (mit fünf bis maximal acht Teilnehmerinnen und einer Tutorin) und während der sieben Direktkurs-Wochenenden an geistlich geprägten Orten unserer Landeskirche und durch einen liturgisch-geistlichen Rahmen, der die gemeinsame Arbeit strukturiert. So beginnen wir jeden (Arbeits-) Tag mit einem Morgengebet, beschließen ihn mit einem Abendgebet und feiern zum Ende jedes Direktkurses einen gemeinsam gestalteten Abendmahlsgottesdienst. Die Fernstudentinnen bringen sich je nach Bedürfnis und Vermögen in diese geistliche Gestaltung ein – mit Texten und Formen, die den Studieninhalten entspringen, aber auch mit vertrauten, lieb gewonnenen Traditionsstücken. So können sie sich – für den Moment – in den Glaubens-erfahrungen unserer Mütter und Väter bergen und sich von der eigenen momentanen Verunsicherung ein Stück distanzieren und diese so auch relativieren. Dabei gewinnen sie eine liturgische Kompetenz, die bei mancher den Wunsch weckt, sich nach dem Studium an der Gestaltung und Erneuerung des gottesdienstlichen Lebens zu beteiligen.

Gesprächsimpuls: Was hilft mir Glaubenszweifel zu bewältigen? Gibt es Lieder, (Bibel-) Texte, Gebete, liturgische Formen, die mir in Zeiten geistlicher „Leere“ gut tun?

Für die Arbeit in der Gruppe

Der Text des Beitrags kann für alle kopiert und gemeinsam gelesen werden. – Kopiervorlage (auch für den folgenden Vorschlag) für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

alternativ oder ergänzend:
Die Leiterin weist auf die Vielfalt der biblischen Sprachbilder von Gott hin, die sich gegenseitig ins Wort fallen und so eine Festlegung auf ein einziges Bild verhindern (und damit dem Bilderverbot entsprechen). Gleichwohl werden in Zeiten erlebter Ohnmacht oft Bilder des Allmächtigen aufgerufen. Denn Gotteserfahrungen, die aus solcher Situation herausführen, können gar nicht anders, als dies Geschehen als machtvoll und ermächtigend zu beschreiben. Trost, der in Trauersituationen erfahren wird, wird dagegen eher mit sanfteren, weicheren Bildern beschrieben. Immer aber sind die Sprachbilder, mit denen wir versuchen, etwas von unseren Gotteserfahrungen mitzuteilen, begrenzt. Kein einziges kann die Wirklichkeit Gottes an sich erfassen, sondern immer nur das, was sich in unserem Leben davon abschattet. So steht unsere Weise von Gott zu sprechen im Zusammenhang zu unserer Lebenssituation. So wie diese sich wandelt, wandelt sich auch die Weise, in der wir Gottes befreiendes Handeln erfahren und davon zu sprechen versuchen. Das lässt sich auch an dem Werkstück ablesen, mit dem eine Teilnehmerin des Fernstudiums eine wichtige Erfahrung aus diesem Studienprogramm für sich festgehalten hat.

Werkstück „Regenbogen“ von Roswitha Gnadt s. S. 42 – Kopien des Bildes einschl. Bildunterschrift 1 Kön 19,7 (möglichst in Farbe) und der beiden Texte (S. 43; siehe auch S. 44!)

– Bild anschauen und unter Einbeziehung der Texte interpretieren. Welche lebensgeschichtliche Erfahrung könnte hinter dem Bild stehen?
– Kleingruppen: Kenne ich ähnliche Glaubensprozesse aus meinem eigenen Leben? Sind mir vertraute Bilder und Texte fremd geworden oder bin ich ihnen entwachsen? Wodurch?
– Welche Sprachbilder von Gott, welche Glaubensvorstellungen tragen mich in Zeiten der Krise? Warum?

Anne Rieck, geb. 1957, ist Pastorin und arbeitet als Theologische Referentin im Frauenwerk im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Sie arbeitet mit in der Projektgruppe Revision Fernstudium Theologie feministisch.

Anmerkungen:
1 Deutlich möchte ich mich an dieser Stelle von jedem kolonialen Missionsbegriff abgrenzen. Auch der in den letzten Jahrzehnten in den Missionswissenschaften zunehmend differenzierte Begriff der „Inkulturation“ scheint mir an dieser Stelle nur bedingt tauglich. Ich verwende „missionarisch“ hier als Synonym für begeisternd und schließe mich damit an einen Satz von Fulbert Steffensky an, der sinngemäß sagt: Mission geschieht, wenn ich (absichtslos) von dem erzähle, was ich liebe. So verstanden wird deutlich: Mission ist nicht machbar, kann daher auch kein primäres Ziel sein, sondern ist als Wirkweise der Heiligen Geistkraft für menschliches Handeln unverfügbar. Aber: Wenn ich von dem erzähle, was mich tröstet, trägt und begeistert, kann ich eventuell dazu beitragen, dass der „Funke überspringt“ oder, theologisch gesprochen: die heilige Geistkraft Gottes gegenwärtig wird.
2 In der Neuauflage des Fernstudiums Feministische Theologie, die im Moment entsteht, lautet der Titel: Fernstudium Theologie feministisch. Damit soll deutlich werden, dass feministische Theologien kein Teilbereich von Theologie sind, sondern eine unter vielen spezifischen Weisen theologisch zu fragen und zu denken.
3 Die katholische Theologin Sandra Lassak definiert Mission als „solidarisches Unterwegssein“ und als herrschaftsfreien weltweiten Gesprächszusammenhang der Verschiedenen und je füreinander „Fremden“. Mission sei nicht eine „Strategie zur Mitgliederrekrutierung“, sondern gebe durch gerechte, geschwisterliche Beziehungen Zeugnis von Gottes Gegenwart. Missionarisches Handeln, so Lassak, beinhalte die prophetische Kritik an bestehenden Unrechtsverhältnissen und den Einsatz für Gerechtigkeit. Und sie weist darauf hin, dass dies seit der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968 ausdrücklich von allen dort vertretenen Kirchen bejaht wird. – Vgl. dazu im Einzelnen Sandra Lassak, Solidarisch miteinander unterwegs. Feministisch-theologische Überlegungen zum Verständnis von Mission, in: mitteilungen aus der EFiD 446, Dezember 2010, S. 14-18. Legt frau diesen Missionsbegriff zugrunde, sind feministische Theologien in herausragender Weise als „missionarisch“ zu bezeichnen. Die Erfahrungen mit dem Fernstudium Feministische Theologie bestätigen dies mindestens für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers in einem hohen Maße, aber auch in anderen Landeskirchen der EKD und darüber hinaus dürften ähnliche Erfahrungen gemacht werden.

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