Ausgabe 1 / 2017 Andacht von Anne-Kathrin Koppetsch

Erwählt? Erwählt!

Andacht zu Joh 15,16

Von Anne-Kathrin Koppetsch

Einstimmung:
Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

In der „Blauen Stunde“
kommen sie mir in den Sinn
spiegeln mir, wer ich jetzt bin
die ich wählte, die mich wählten.
Lebenspartner, Lebenspartnerin
Kinder oder Kindeskinder
Freund und Freundin
Bruder, Flüchtling, Schülerin.

Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,
Krisen, Krankheit, Tod und Glück
auf so vieles blicke ich zurück
doch eines weiß ich sehr genau
ich bin erwählt
für mich hast du dich entschieden
Gott und Tochter, Tier und Frau
ich bin gemeint, ich bin erwählt
das ist es, was für mich jetzt zählt

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte

Lied: Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht. Christus meine Zuversicht, auf dich vertrau ich verlass mich nicht, auf dich vertrau ich, verlass mich nicht!

GLÜCKWUNSCH, Sie haben gewonnen!

Da liegt eine bunte Karte im Briefkasten, die Gewinne verspricht. Fast täglich erreichen mich E-Mails, die mir suggerieren, ich hätte den Hauptgewinn gezogen.
Inzwischen weiß ich: Ich bin nur eine unter Vielen, unter Tausenden, die diese Post oder elektronische Post erhalten hat.
Nicht wirklich ein Gewinn; die Wahl ist nicht exklusiv auf mich gefallen.
„Sie haben gewonnen!“, verspricht auch der Medizinkabarettist Eckart von Hirschhausen in seinem Buch „Glück kommt selten allein …“: Die Chance, geboren zu werden, sei sehr viel geringer als ein Sechser im Lotto. „Sie wurden sorgfältig durch die Eizelle aus einem Pool von 300 Millionen Mitbewerberbern ausgewählt.“
Also: Das Leben an sich ist schon ein Hauptgewinn.
Ich bin gemeint: Ich bin auserwählt unter Millionen Möglichkeiten.

Jesus sagt in seiner Abschiedsrede im Johannesevangelium:

Johannes 15,16
(Bibel in gerechter Sprache):
„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht tragt und eure Frucht bleibt, so dass euch gegeben wird, um was ihr Gott in meinem Namen bitten werdet.“

Wir sind erwählt! Wir sind erwählt durch unsere Geburt, aber auch und besonders durch die Taufe. Sie ist das sichtbare und spürbare Zeichen, dass wir zur Gemeinde, zum besonderen Kreis der Menschen um Jesus gehören.
Getauft wurden die meisten von uns als Kind.
Mit der Konfirmation haben wir diese Wahl bestätigt: „Ja, ich möchte dazu gehören!“
Das alles ist Jahre, möglicherweise Jahrzehnte her.
Auf was blicken wir zurück seitdem?

– Welchen Beruf übe ich aus oder habe ich ausgeübt?
– Habe ich eine Familie gegründet?
– Was waren die großen Krisen? Krankheiten, Fehlgeburten, Tod …?
– Was waren besonders schöne Erlebnisse? Feiern, Zusammenkünfte in der Familie, Reisen, neue Eindrücke?
– Erwählt: Was bedeutet das? Habe ich an dieser Erwählung festgehalten? Woran merke ich, dass Gott an dieser Erwählung festgehalten hat?

ZWEIFEL

Manchmal mögen uns Zweifel kommen; Fragen wie die:
– Wie kann Gott das zulassen?
– Warum passiert mir dieses Leid?
– Warum scheint immer allen anderen so vieles besser zu gelingen als mir?
Fragen, die quälen können und die sich sicher die meisten von uns das ein oder andere Mal gestellt haben.
Von den Früchten ist in unserem Bibelvers die Rede:
„Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt“, heißt es.

Und so mag ich mich fragen:
– Was ist der Ertrag meines Lebens?
– Habe ich genug Frucht gebracht?
– Was ist gelungen?
– Womit bin ich gescheitert?
– Fällt die Ernte meines Lebens reichhaltig genug aus?
(An dieser Stelle kann eine Gesprächsrunde eröffnet werden)

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, heißt es an anderer Stelle, in der Bergpredigt bei Matthäus. Und wenn man diese Aussagen aus dem Zusammenhang reißt, kann es sehr schnell zu verhängnisvollen Interpretationen kommen.
Denn die Aussage Jesu lautet nicht: Ihr sollt gute Frucht bringen, sondern ihr werdet gute Frucht bringen, ich habe euch dazu bestimmt, wenn ihr in mir bleibt, wenn ihr mit mir verbunden bleibt.

Wir feiern seit dem 31. Oktober 2016 das Reformationsjubiläum. 2017 jährt sich der Thesenanschlag Martin Luthers zum 500. Mal.
„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Das mag heute nicht mehr die Frage der meisten Menschen sein. „Wie kann ich gut genug sein? Wie schaffe ich es, dazuzugehören?“ Diese Fragen treiben Menschen heute um. Präses Annette Kurschus äußerte die Befürchtung, dass viele ihren Wert von Erfolg und Anerkennung abhängig machen. „Dahinter steckt eine große Unfreiheit.“
Luthers große, befreiende Erkenntnis steht dem entgegen: Ich bin wertvoll und geliebt, unabhängig von Erfolg und Beliebtheit.

Aus dieser Freiheit heraus kann auch eine große Freiheit im Umgang mit anderen entstehen: Nicht ich bin diejenige, die über andere zu urteilen hat. „Mit deinem Urteil verurteilst du dich selbst!“, heißt es in Römer 2,1.
Ich bin erwählt.
Andere sind es auch!
Das schmälert nicht den Wert meiner Erwählung.

Liedstrophe:
Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen, und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.
ERWÄHLT bleibt erwählt?!

Luther sei ein großes Vorbild für ihn, sagt Dortmunds Ex-Trainer Jürgen Klopp,
einer der Reformationsbotschafter.
Aber war er wirklich in jeder Hinsicht ein Vorbild?
Im Bauernkrieg spielte er eine verhängnisvolle Rolle, die möglicherweise viele Menschen das Leben gekostet hat.
Seine hasserfüllten Worte gegen die Juden hatten schlimme Auswirkungen und machen uns bis heute zu schaffen.
Doch stellen diese Irrtümer seine Erwählung in Frage?

Noch schwieriger wird es, wenn wir nach der Rolle von Judas fragen.
Wir werden gleich miteinander das Abendmahl feiern und es mit den Worten einsetzen: „Jesus, in der Nacht, als er verraten wurde!“
Es gibt einen Verräter, einen, der verantwortlich für seine Auslieferung an die Gegner ist: Judas, einer seiner Freunde.
Vom „Judaskuss“ ist bis heute die Rede.
Und dennoch: Judas nahm am letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern teil. Er war nicht ausgegrenzt. Blieb er erwählt oder wurde er verworfen?

EINE FRAGE ZUM Diskutieren:
– „Niemand wird sie aus meiner Hand reißen“, heißt es in Johannes 10,26.
– Gilt das auch für den betreffenden Menschen selbst?
– Kann man die „Erwählung“ verspielen“?

WERDEN alle Gebete erhört?

… „so dass euch gegeben wird, worum ihr Gott in meinem Namen bitten werdet“, so endet unser Vers im Johannesevangelium.
Ich habe mich gefragt:
Gibt es falsche und richtige Bitten?
Gebete, die egoistisch sind, und deshalb nicht erhört werden?
Ich erinnere mich an das Gebet einer Mutter, deren erwachsenes Kind schwer erkrankt war. Trotz intensiver Bitten starb die junge Frau.
Allgemeine Weisheiten wie „Das Leben geht weiter!“ helfen hier nicht weiter.
Ich fürchtete um die Mutter, doch sie hielt umso fester an ihrem Glauben fest.
Dadurch habe ich gemerkt: Lebenswege sind etwas sehr Persönliches. Der Weg, den Gott mit jedem einzelnen Menschen geht, entzieht sich der Bewertung von außen.
Wir können nur um Gottes Segen für unseren Weg bitten, wie er auch ausfallen mag.

Liedstrophe:
Wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.

Alle: Vaterunser im Himmel …

Liedstrophe:
Wo Menschen sich verbünden, den Hass überwinden, und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.

Anne-Kathrin Koppetsch ist Pfarrerin in der evangelischen Miriam-Kirchengemeinde Dortmund. Außerdem hat sie mehrere Bücher publiziert, u.a. die Krimireihe um Martha Gerlach, eine der ersten Pastorinnen in den 1960er-Jahren. Mit herausgegeben hat sie ein Sachbuch über 40 Jahre Gleichberechtigung für Frauen im Pfarrdienst. Sie bezeichnet sich als „Gelegenheitspoetin“.
Mehr auf www.Anne-Kathrin-Koppetsch.de

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