„Jeder fünfte Haushalt ist ein Single-Haushalt“, las ich kürzlich wieder in einer Tageszeitung. Manchmal kommt es mir fast vor wie ein Wettstreit zwischen den großen Städten: Welche ist denn nun die Hauptstadt der Singles? Bremen oder München oder Berlin – oder doch Köln?
Deutlich scheint, dass die meisten Singles eher im städtischen Bereich leben. Denn die im ländlichen Umfeld haben es oft noch schwerer – „eigentlich“ ist man doch verheiratet, hat Familie, ein Haus und was sonst noch zur „Normalität“ gehört.
Aber was heißt eigentlich Single? Wer ist Single? Ist Single-Sein eine Lebensphase, die jede erst einmal durchmacht, bis sie dann in den „Hafen der Ehe“ einfährt? Aber längst sind es nicht mehr nur die Jungen, für die noch alles offen ist, die sich noch nicht festlegen wollen. Der Begriff Single hat an Breite gewonnen. Auch viele geschiedene oder verwitwete Menschen erleben sich als „Wieder-Singles“ und haben sich den Herausforderungen des „wieder allein“ zu stellen.
Manche wehren sich energisch gegen diese Bezeichnung. Sie ziehen es vor, sich als Alleinstehende oder Alleinlebende zu bezeichnen. Single, das hat für viele so einen „komischen Beigeschmack“. Darauf möchte man/frau sich nicht gern festlegen lassen. Gibt es doch verschiedene Bilder, die abschrecken. So möchte man nicht sein. Und frau schon gar nicht. „Egoistische Karrierefrau“, übrig gebliebenes „Mauerblümchen“ – das Spektrum reicht weit.
Ich überlasse es jeder und jedem selbst, ob er oder sie sich als Single definiert oder nicht. Klar ist, wie auch immer: Wir haben es mit einer ständig wachsenden Personengruppe in unserer Gesellschaft und damit ja auch in unseren Gemeinden zu tun. Der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes von 2005 definiert Singles als „ledige, verheiratet getrennt lebende, geschiedene und verwitwete Personen…, die ohne Lebenspartnerin beziehungsweise Lebenspartner und ohne Kinder in einem Ein- oder Mehrpersonenhaushalt leben.“1)
In einer Radioreportage höre ich: Es gibt 16 Millionen Singles in Deutschland. Davon sind sieben Millionen in Online-Partnerbörsen registriert. Sie sind auf der Suche und viele derjenigen, die es nicht online tun, suchen vermutlich auf anderen Wegen. Denn Single sein, das ist eine vielfache Herausforderung. Allein für alles zuständig zu sein, alle Entscheidungen allein treffen zu müssen wird von vielen Singles als das Schwierigste empfunden. Hier lauert Überforderung. Wo ist der Mann, der die Last von Entscheidungen mit trägt, das Für und Wider mit mir zusammen abwägt und von dem ich weiß: Selbst wenn es daneben geht – er steht zu mir? Wo ist die Frau, die fragt, wie es mir geht, die mir zuhört, sich mit mir freut, mich anfeuert? Und mit wem fahre ich in den Urlaub? Für viele Alleinstehende tut sich hier so manches Mal ein Abgrund auf. Besonders wehtun können die besonderen Zeiten des Jahres. Weihnachten wieder bei den Eltern? Oder allein?
Viele Singles sind überaus engagiert – im Beruf, in der Kirchengemeinde, im Ehrenamt. Sie sind überall dabei, sind die tragenden „Säulen des Vereins“, denen keine Last zu schwer ist. Scheinbar. In den vergangenen Jahren, in denen ich vor allem für und mit Singles im Dienst bin, sind mir viele, vor allem allein lebende Frauen, mit zum Teil dramatischen Burn-out-Erfahrungen begegnet. Nicht von ungefähr: Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass von dieser Überlastungserkrankung „besonders Menschen betroffen sind, die sich ihrem Beruf sehr verschrieben haben, ihre Ziele mit hohem Engagement verfolgen und hohen Ich-Idealen folgen“.2) In Gesprächen entdecken wir, dass viele Singles im „AES-Syndrom“ festhängen. Das Leben ist reduziert auf „Arbeiten-Essen-Schlafen“. Da fehlt das Andere, das Leichte, das Zweckfreie. In eines dieser Gespräche brachte jemand ein, dass es auch noch ein gefährliches Virus gebe: „AFES“ – Arbeiten. Fernsehen. Essen. Schlafen.
Arbeiten-Fernsehen-Essen-Schlafen, das reicht nicht zum Leben. Das ist nicht das Leben. Aber was tun, wenn alles selbst und allein entdeckt und durchdacht und entschieden und begonnen werden muss? Für mehr reicht dann oft die Kraft nicht. Man kann sich an alles gewöhnen, auch an Arbeiten-Essen-Schlafen. Und irgendwann ist plötzlich für nichts anderes mehr Zeit da, und auch keine Kraft und keine Lust. Wozu auch?
Und wie gehen die „Wieder-Singles“ mit den schmerzlichen Erfahrungen von Verlust durch Tod oder Trennung um? Was geschieht mit den Wunden der Seele? Es erschüttert mich immer wieder: Es ist völlig selbstverständlich, dass wir mit einem gebrochenen Bein zum Arzt gehen. Aber ein gebrochenes Herz? Wo bleiben wir damit? Wer kümmert sich darum? Wie viel körperliche Erschöpfung oder auch Erkrankung ist letztlich Ausdruck einer ermüdeten oder verwundeten Seele? Und wohin damit? Viele flüchten Hals über Kopf in eine neue Beziehung. Das nimmt erst einmal den Schmerz. Aber Vorsicht! Es kann auch gefährlich sein, den Schmerz zu betäuben – ist Schmerz doch auch ein wichtiges Signal, ein Hinweis:
„Da ist was nicht gut. Da braucht etwas Zuwendung. Schau mal hin!“
Singles spüren den Schmerz der Sehnsucht oft sehr existenziell. Sehnsucht nach Nähe, nach Zuwendung, Zärtlichkeit, Intimität. Als mein Vater starb, stand in mir die Frage auf: „Was ist, wenn meine Mutter einmal nicht mehr ist? Dann bin ich ja überall nur noch zu Besuch!“ Ich habe Geschwister, viele Freundinnen und Freunde. Ja, ein großes Beziehungsnetz umgibt mich. Aber trotzdem: Ich bin überall Gast – gern gesehener Gast, aber nicht zu Hause. Da stoße ich auf die tiefgreifende Frage. Wo gehöre ich dazu? Wo bin ich zu Hause? Und unausweichlich irgendwann die Frage: Mit wem werde ich alt?
Sehnsucht nach Zugehörigkeit, nach Geborgenheit, nach Heimat ist zutiefst menschlich. Es irritierte mich daher sehr, als ich vor Jahren in einem Brief einer geistlichen Begleiterin las: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Sehnsucht immer kräftig spüren und Menschen finden, mit denen Sie Ihre Sehnsucht feiern können.“ Sehnsucht feiern? Das kam mir doch überaus befremdlich vor. Sehnsucht kannte ich nur als Schmerz. Aber wie kann man Schmerz feiern? Ich machte mich auf den Weg. Es muss was anderes geben als ein heimatloses Leben in Einsamkeit. Was anderes als immerzu warten auf das große oder kleine Glück, das ein Mensch mir bringen könnte. Es muss was anderes geben als Sehnsucht zu betäuben oder zu bekämpfen.
Einer meiner Lieblingssätze in der Bibel ist das Wort Jesu: „Ich bin gekommen, dass ihr das Leben habt – und das in Fülle.“ (Joh 10,10, Gute Nachricht) Dieses Versprechen hat er nicht an einen Lebensstand gebunden, sondern einzig an sich. Das gibt mir Hoffnung für unzählig viele Singles. Es muss kein Leben zweiter Klasse sein, keine heimatlose Existenz mit dem bleibenden Schmerz „immer allein“. Um das zu erfahren, müssen wir allerdings aussteigen aus der falschen Alternative, die unsere westeuropäische Kultur weithin prägt: Entweder ich bin verheiratet oder ich bin einsam.
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (1. Mose 2,18a) – das gilt auch
für Singles. Menschen sind als Gemeinschaftswesen für Gemeinschaft geschaffen. In Gemeinschaft blüht das Leben auf und kommt zur Erfüllung. Die Kirchengeschichte ist voll von gemeinschaftlichen Lebensformen. Mir scheint, dass es in allen Epochen jeweils das passende Modell gegeben hat – klassische Klöster und Orden, Beginenhöfe, Diakonissenhäuser, neue Gemeinschaften und Kommunitäten. Und selbst wenn manche dieser Formen uns fremd oder veraltet vorkommen, ist die Kraft, die in ihnen steckt, nicht zu unterschätzen. Die alten Formen tragen nach wie vor Segen in sich.
Manches, wie zum Beispiel die Lebensform der Beginen, erlebt in diesen Tagen eine Renaissance. Aber Anderes, Neues muss hinzukommen. Die Vielfalt unserer gesellschaftlichen Situation in einer globalisierten Welt schreit geradezu nach einer Vielfalt gemeinschaftlicher Lebensformen. Nachdem ich vor einigen Jahren ein Buch für christliche Singles3) veröffentlicht hatte, haben wir, zunächst etwa 30 Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet, uns auf den Weg gemacht – als „Suchbewegung und Lerngemeinschaft“. Unsere Frage war: Wie kann „das Andere“ aussehen? Wie können wir es gestalten? Auf unserem Weg haben wir entdeckt: Gott schenkt uns Zugehörigkeit und wir können einander Zugehörigkeit schenken. Einander Zugehörigkeit zu schenken ist etwas, das uns anvertraut ist.
Regionale Interessengruppen entstanden, erste kleine gemeinschaftliche Lebenszellen, wo Singles, zum Teil auch mit Ehepaaren oder Familien, sich zusammengetan haben und Leben miteinander teilen. Es muss ja nicht gleich eine WG sein. Kreativität ist gefragt, um Räume zu schaffen, in denen Leben miteinander geteilt wird. Und das ist auch möglich, wenn der Alltag (noch) nicht geteilt werden kann. Verbindliche Vereinbarungen können auch über Entfernungen hinweg getroffen werden. Im Zeitalter von Telefon, Email und Handy ist vieles möglich. So können wir einander begleiten, Gemeinschaft einüben, Leben teilen. Und es kann
die Zeit kommen, wo wir auch räumlich zusammen rücken.
Gänzlich unrealistisch erscheint es, wenn Singles Zeit ihres Lebens allein leben und dann kurz vor 70 aufbrechen, um Gemeinschaft zu finden. „Früh übt sich…“ – das gilt wohl auch hier. Viele träumen von einem Leben mit anderen zusammen. Das fällt nicht „einfach so“ in den Schoß. Dahin führt ein Weg, vermutlich ein langer Weg. Doch jeder noch so lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
In der Vorbereitung sind Ihnen vielleicht schon Single-Frauen eingefallen, die in die Gestaltung des Treffens einbezogen werden können. Nehmen Sie vorab Kontakt mit ihnen auf und fragen Sie, ob sie einmal erzählen mögen, was ihre Situation besonders prägt. Gibt es besondere Nöte oder Freuden? Was wünschen sie sich von Gemeinde?
Einleitend führen Sie kurz in das Thema ein, vielleicht auch mit dem Hinweis, dass wir uns schon oft mit verschiedenen Lebensformen von Frauen beschäftigt haben – seien es Erwerbstätige oder Hausfrauen, junge Mütter, jung gebliebene Großmütter, Lesben, Geschiedene, Alleinerziehende. Nur allein lebende Frauen / Singles – die kommen merkwürdigerweise irgendwie „nicht vor“.
Zum Beginn der inhaltlichen Arbeit können Sie den ersten Teil des Artikels vorlesen, vielleicht angereichert mit Zahlen aus ihrem Ort oder Ihrer Kirchengemeinde: Wie hoch ist in Ihrer Stadt die Zahl der Singles? Wie sieht es in Ihrer Gemeinde aus? Wie viele Alleinlebende gibt es?
Gemeinsame Arbeit mit Moderationskärtchen: Was fällt den Teilnehmerinnen aufgrund des eben Gehörten und durch weiteres Nachdenken als Kennzeichen der Situation von Singles ein? – Stichworte auf den Kärtchen notieren, anschließend zusammentragen und sichtbar machen
Gespräch zu zweit über folgende Fragen: Wen kennen Sie als Single? Haben Sie mit ihr oder ihm über ihre/seine Situation schon einmal gesprochen? Was wurde dabei deutlich? Wenn nicht: Wie könnten Sie ein Gespräch darüber beginnen?
Für Frauen, die selbst als Single leben, könnten die Fragen heißen: Was prägt Ihre Situation als Singles in besonderer Weise? Was wünschen Sie sich am meisten?
Sind allein lebende Frauen als Gäste beteiligt, sollte an dieser Stelle das Gespräch geführt werden. Zunächst könnten die Gäste gebeten werden, das bisher Gesagte aus ihrer Sicht zu kommentieren – anschließend kann eine offene Gesprächsrunde stattfinden.
Im Plenum können Sie anschließend noch bedenken: Oft gibt es in den Gemeinden nach der Jugendarbeit einen Arbeitsbereich für (junge) Familien. Was ist mit den Singles? Welche Angebote gibt es in der Kirchengemeinde für Singles aller Art?
Zum Abschluss können Sie miteinander überlegen: Was könnten wir in der Gemeinde initiieren, um Singles ein Zeichen der Wertschätzung zu geben? Was wäre ein erster Schritt dahin? Gibt es einzelne, die jetzt schon wissen, was sie in der nächsten Woche tun wollen?
Lied: Einsam bist du klein (Kanon) oder Komm, Herr, segne uns (EG 170)
Anmerkungen
1 Diese und weitere ausführliche Daten unter
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2006/Mikrozensus/Mikrozensus_06.html
2 Darauf weist zum Beispiel die Psychologin Edith Rahner in einer Untersuchung zum Burnout-Syndrom bei Ärzten (2011) hin; siehe: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000010482/Burnout_Aerzte.pdf;jsessionid=4BD536D208A214996992A175161CFB6E?hosts=
3 Astrid Eichler: Es muss was Anderes geben. Lebensperspektiven für Singles, Witten (SCM R.Brockhaus) 2006
Astrid Eichler, Jahrgang 1958, hat zunächst eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht, bevor sie Theologie studierte. 1988 –2004 hat sie als Pfarrerin in kleinen Landgemeinden in der Prignitz (Brandenburg) gearbeitet, anschließend sechs Jahre als Gefängnisseelsorgerein in Berlin. Seit Januar 2011 ist sie Bundesreferentin für EmwAg e.V. – Es muss was Anderes geben. Lebensperspektiven für Singles. Aufbruch zur Gemeinschaft
mehr Informationen und Kontakt über
www.emwag.de, Email: emwag1@web.de,
Telefon: 03322 – 43 92 25
Zum Weiterlesen
Astrid Eichler: Es muss was Anderes geben. Lebensperspektiven für Singles, Witten (SCM R.Brockhaus) 2006
Astrid Eichler, Thomas und Irene Widmer-Huber: Es gibt was Anderes. Gemeinschaftliches Leben für Singles und Familien, Witten (SCM R.Brockhaus) 2010
Eva Jaeggi: Ich sag mir selber Guten Morgen. Single, eine moderne Lebensform, Piper Verlag
Sabine Müller, Inge Frantzen (Hg.): Sehnsucht und der ganze Rest.
Überlebensgeschichten für Singles, Moers (Brendow Verlag) 2010
Hildegard Aeplie: Single – und wie!? Erfülltes Leben mit unerfüllten Wünschen, Würzburg (Echter Verlag) 2012
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