„In der Nacht zum 1. Januar 2014 werden 7.202.951.000 Menschen auf der Erde leben.“ Damit, so die FAZ am 27. Dezember 2013 weiter, sei die Weltbevölkerung im vergangenen Jahr um „einmal Deutschland“ gewachsen.
Nicht von ungefähr ist die Bekämpfung von Armut und Hunger das erste von acht Entwicklungszielen, die sich die Vereinten Nationen zu Beginn dieses Jahrtausends in ihrer Millenniumserklärung setzten; im Jahr 2015 sollte es erreicht sein.1 Dass die weltweite Landwirtschaft bis zu zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte, ändert aber nichts daran, dass immer noch 842 Millionen Menschen an Nahrungsmangel und chronischer Unterernährung leiden: ein Achtel der Weltbevölkerung.2
Die genauen Zahlen mögen überraschen – an sich weiß man/frau das aber. Längst haben wir uns an das Leben in einer globalisierten Welt gewöhnt. Wer nicht Augen und Ohren bewusst vor den frei Haus gelieferten Informationen verschließt, weiß um die kleinen und die großen Probleme weltweit. Weiß, dass die meisten davon nicht an den Grenzen von Kontinenten oder gar Ländern halt machen. Dass zum Beispiel der Hunger in Teilen Afrikas ursächlich mit den Ernährungsgewohnheiten in den industrialisierten Regionen zusammenhängt. Dass regionale Katastrophen globale Auswirkungen haben. Hunger und Kriege treiben Millionen Flüchtlinge auf der Suche nach Lebensmöglichkeiten vor sich her. Radioaktive Niederschläge nach Reaktorunfällen bedrohen ebenso den gesamten Globus wie die Veränderung des Klimas oder ein Börsencrash in New York.
Das alles lässt uns Menschen nicht kalt. Wir schätzen und brauchen die Gemeinschaft. Lebenserfahrung und Vernunft lehren uns, dass wir selbst vor Krisen und Katastrophen nicht gefeit sind und es deshalb Sinn macht, sich gegenseitig zu helfen. Die meisten Menschen verfügen auch über Empathie, praktizieren menschliches Miteinander und sind für Ideale empfänglich, die die Welt verändern können. Und natürlich wollen sie nicht, dass die Welt mit ihnen untergeht. Der Wunsch, global vernünftig zu handeln, lässt internationale Organisationen und Abkommen zum Wohl der Menschen entstehen, die von der Mehrheit der Nationen wie von zahllosen einzelnen mitgetragen werden.
Es leuchtet unmittelbar ein: Globale Fehlentwicklungen, Krisen und Katastrophen brauchen globale Antworten. Nicht „nur“ Initiativen einzelner Menschen, Organisationen oder Länder, sondern globale Projekte. Wie kommen die zustande? Zunächst muss „die Zeit reif sein“, braucht es zur Geburt eines wirklich großen Projekts – zur Sicherung des Friedens, zum Schutz des Klimas, zur Entwicklung gerechter wirtschaftlicher Strukturen – einen „Zeitgeist“, der von vielen empfunden wird. Der von PolitikerInnen aufgenommen und umgesetzt wird – unterstützt durch die Aufmerksamkeit und die kritische Begleitung der Medien und der Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt braucht es Fachleute und WissenschaftlerInnen, die komplexe Zusammenhänge allgemein verständlich vermitteln. Aussicht auf (Schritte zum) Erfolg haben solche Menschheitsprojekte dann, wenn ihnen ein weltweit einverständlicher Wertekodex zugrunde liegt – oft formuliert in unmittelbarer Reaktion auf gemeinsam erfahrene Katastrophen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 ist dafür ein gutes Beispiel: Weil „die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“, verkündet die Generalversammlung „diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal …“. Und erklärt in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“3
Warum verlieren die großen Menschheitsprojekte irgendwann an Schwung und „Power“? Ein wesentlicher Grund ist: Menschen versuchen zu überleben – nicht gern, aber im Zweifel doch auf Kosten anderer, Schwächerer. Menschlicher Egoismus zieht „kleinkariertes“ Denken und unsolidarisches Handeln nach sich. Niemand „will“ immer größere Waffenexporte,4 alle wissen, dass Waffen aus Deutschland sehr wohl in Kriegs- und Krisengebieten landen, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.5 Aber die Arbeitsplätze …6
Hinzu kommt: Große, Generationen übergreifende Verträge leben von Kompromissen – entsprechend mager sind oft ihre Resultate. Beim Klimaabkommen 2013 etwa einigten sich die beteiligten 194 Staaten nur mühsam. Zu Papier gebracht und damit rechtskräftig wird das Abkommen erst 2015 in Paris, um 2020 in Kraft zu treten. Der lange Vorlauf hat viele enttäuscht. Denn Menschen verlieren leicht das Interesse, wenn Erfolge zu lange ausbleiben. Engagement läuft sich irgendwann tot, jahrzehntelanges Warten ermüdet auch die Engagiertesten. Und auch das inhaltliche Ergebnis gibt keinen Anlass zum Jubeln. Zu stark sind die Interessenunterschiede, prallen die Positionen von Industrie-, Schwellen- und armen Ländern aufeinander.
Nicht zu unterschätzen ist auch hier der „Faktor Mensch“. Politische Macht ist in der Demokratie immer zeitlich begrenzt – das Denken und Handeln von PolitikerInnen (auch) durch die nächste Wahl bestimmt. Allzu leicht finden populistische Parolen Gehör und WählerInnenstimmen. Auf die Gefolgschaft des Wahlvolkes bei der Umsetzung von Menschheitsprojekten ist wenig Verlass: Durch die Politik der Abschottung vor Flüchtlingen, die das Ertrinken Schutzsuchender vor Europas Küsten in Kauf nimmt, laden wir EuropäerInnen heute eine große, beschämende Schuld auf uns – und nehmen sie doch schweigend hin.
Die Frage ist nicht von der Hand zu weisen: Sind wir als Menschheit letztlich überhaupt fähig, in globalem Maßstab zu handeln? Ist dies nicht doch nur herausragenden, dem Wohl ihrer Mitmenschen verpflichteten, weitsichtigen Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und Nelson Mandela möglich? Können wir also tatsächlich von der „einen Welt“ sprechen – oder bleibt dies ein „frommer Wunsch“?
Ich meine: Nein. Denn es gibt auch die Beispiele für Erfolge. Etwa 1993 die Ausarbeitung einer „Erklärung zum Weltethos“ im „Parlament der Religionen“, wo VertreterInnen von über 100 Religionen sich auf einen Basiskonsens einigten und sich auf eine „Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben“ verpflichteten.7 Zum Beispiel die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes, der 2002 in Den Haag seine Arbeit aufnahm und Delikte wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen aufklärt und strafrechtlich verfolgt. Oder die im Jahr 2013 erfolgreiche europäische BürgerInneninitiative „Wasser ist Menschenrecht“; in 13 europäischen Ländern knapp zwei Millionen zusammengetragene Unterschriften sorgten dafür, dass Pläne der EU zur Privatisierung der Wasserwirtschaft gestoppt werden konnten.
Solche Erfolge sind möglich, wenn starke zivilgesellschaftliche Gruppen Lobbyarbeit über nationale Grenzen hinaus machen. Das setzt Bündnisse und internationale Vernetzung voraus – und zukunftsweisendes, verantwortliches Handeln im eigenen Umfeld. Private Mülltrennung im eigenen Haushalt war die Voraussetzung für die Einführung des Pfands auf Plastikflaschen auf nationaler Ebene, die ein wichtiger Schritt ist, um der weltweiten Verschmutzung der Meere entgegen zu wirken.
Ein spannendes Bildungsprojekt, das genau hier ansetzt, hat das katholische Hilfswerk MISEREOR gemeinsam mit der Stiftung „Zukunft der Arbeit und der sozialen Sicherung“ der KAB und der Katholischen BAG für Erwachsenenbildung entwickelt.8 Es greift wichtige Themen und Aufgaben in der Welt von heute und morgen auf, spricht nicht nur den Verstand, sondern alle Sinne an und will möglichst viele mitnehmen und zu AkteurInnen machen für die Verwirklichung des Traums von einer Welt, in der alle würdig leben können. Es setzt auf die Begeisterung für eine gerechte Sache, die AnhängerInnen braucht und für die sich Menschen gerne zusammenfinden, um die Politik zu beeinflussen.
Besonders einladend an diesem „Projekt gegen alle Versuchung zu Resignation“ ist, dass die Menschen nicht ausschließlich durch Text-Informationen angesprochen werden, sondern der Zugang über Kunst geschieht: Ein wesentlicher Bestandteil des Projektmaterials sind Bilder von Künstlerinnen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden, die sich zum Verein dreieck.triangle.driehoek zusammengeschlossen haben. Über Kunst „gehen“ auch die MultiplikatorInnen des Projekts, darin geschult, sich ihren Themen durch Malerei, Gestaltkunst, Theaterspiel und Fotographie zu nähern. Die Überlebenskunst Theatergruppe zum Beispiel wählte das Thema: „Wem gehört das Wasser?“ Es ging ihr um den freien Zugang zu Trinkwasser für alle Menschen. Methodisch arbeitete die Gruppe mit einem lustigen Sketch an mehreren Brunnen der Aachener Innenstadt an einem sonnigen verkaufsoffenen Samstagnachmittag. Vorbeilaufende Menschen blieben stehen und schauten dem Treiben interessiert zu. Väter und Mütter erklärten den Inhalt ihren neugierig fragenden Kindern.
Eine andere Gruppe malt mit Flüchtlingen, die in einem Dorfgasthof nahe Würzburg untergebracht sind. Eine Theatergruppe aus der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Würzburg führt zusammen mit deutschen Student/innen ein Schattenspiel über „Flucht und Festung Europa“ auf. Denn wo sprachliche Verständigung versagt, sind Kommunikation und Ausdruck, vielleicht sogar Verarbeitung von schlimmen Erlebnissen, über kreative Methoden möglich.
Dr. Bärbel Krumme, geb. 1943, ist Ärztin.
Sie war lange in Afrika und Asien tätig, zuletzt vier Jahre mit dem EED in Zimbabwe. Zurzeit arbeitet sie ehrenamtlich als Multiplikatorin im Projekt ÜberLebensKunst mit. – Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Margot Papenheim, Redakteurin der ahzw.
Anmerkungen
1) Vgl. www.oxfam.de/informieren/millenniumsziele
2) Vgl. Bericht der FAO (Welternährungsorganisation) von 2013. Informationen z.B. auf www.welthunger-hilfe.de und www.fian.de
3) zitiert nach: www.un.org/depts/german/grunddok/-ar217a3
4) „In recent years, global military expenditure has increased again and is now comparable to Cold War levels. Recent data shows global spending at over $1.7 trillion. 2012 saw the first dip in spending – only slightly – since 1998, in an otherwise rising trend.“ Aus: www.globalissues.org/print/issue/66/arms-control und www.globalissues.org/issue/73/arms-trade-a-major-cause-of-suffering
5) Vgl. www.zeit.de/2013/51/deutsche-waffen-exporte-schnellfeuergewehr-g36
6) Laut Wirtschaftsforschungsinstitut WiFOR arbeiteten 2011 in Deutschland ca. 98.000 Menschen direkt in der „Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“; indirekt bringt dies weitere 218.640 Beschäftigungsverhältnisse hervor. 70% der Produkte gehen in den Export. Quelle: www.ndr.de/info/programm/-sendungen/-streitkraefte_und_strategien/streitkraefte217
7) Vgl. www.weltethos.de
8) Informationen und Projektmaterial unter www.projekt-ueberlebenskunst.de
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