Alle Ausgaben / 2008 Artikel von Erika Jehle

Eure Alten werden Träume träumen

Perspektive für lebenslanges Altern

Von Erika Jehle


Was ist das eigentlich – das Alter? In der ersten Grundschulklasse empfanden wir die Schülerinnen in der 8. Klasse als alt, in der Pubertät alles, was älter war als wir. Dann  lernten wir: „Trau keinem über 30!“ Von Eltern, Großeltern, Tanten ganz zu schweigen. Und waren sie damals, verglichen mit heute, nicht tatsächlich „uralt“?

Dass unser Gefühl für „Altsein“ sich geändert hat, ist aber nicht nur eine Frage des eignen Älterwerdens. Auch unsere gesellschaftliche Sicht von Alter hat sich in den letzten Jahrzehnten verschoben. Als ich mit 29 mein erstes Kind bekam, war ich eine „Spätgebärende“; meine Tochter liegt mit ihren ersten Kind mit 39 durchaus im Trend. Meine Mutter wurde mit 50 Jahren Witwe, und ihr Lebensinhalt war, für ihre Enkel eine wunderbare – aber auch aufopfernde – Großmutter zu sein. Als ich 50 wurde, fühlte ich mich kräftig, dynamisch und fit für den Beginn einer neuen Berufstätigkeit.

Auch, wenn ich es selbst noch nicht so recht fassen kann: Im nächsten Jahr werde ich 70 Jahre alt. Ich empfinde es durchaus als angenehm, wenn mir gesagt wird, das sei kaum zu glauben, ich sähe doch noch gar nicht „so alt“ aus. Und erwischen wir uns nicht selbst auch immer wieder – etwa bei Klassentreffen oder Jubiläen, bei denen wir Menschen treffen, die wir länger nicht gesehen haben – bei der Feststellung: „Die ist aber ganz schön alt geworden“?


Schrecklich alt?

Gemeinhin wird der Begriff „alt“ eher abwertend verwendet. Da schwingen Assoziationen wie „verbraucht“, „abgestanden“, „nicht mehr zeitgemäß“ mit. Alter, das erscheint gegenwärtig als eine Art Problemzone. Unworte wie „Altersschwemme“, „Überalterung“ und „Alterslast“ suggerieren die Überflüssigkeit der Alten. Auch Zerrbilder einer verantwortungslosen Generation von Alten, die – durch Rentenansprüche oder Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems – die Zukunft der Jüngeren ruinieren, sind in den aktuellen Zukunftsdebatten keine Seltenheit. Auch wenn die Werbung die „neuen Alten“ als interessanten Markt entdeckt hat, gilt Jugendlichkeit in unserer Gesellschaft doch immer noch als Maßstab für ein attraktives Erwachsenenleben. Dies führt, verstärkt durch die Angst vor der zunehmenden Alterung der Gesellschaft, dazu, dass die Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen des Alters nicht angemessen wahrgenommen werden.

Die Lebensphase „Ruhestand“ – das meint die Zeit nach der Erwerbstätigkeit – umfasst heute etwa ein Drittel der Lebenszeit. Diese „arbeitsfreie“ Lebenszeit im Alter dauert im Schnitt 20, manchmal bis zu 50 Jahre.

Menschen dieses Alters sind gesünder, geistig und körperlich fitter denn je. Sie wollen teilhaben an der Gesellschaft, in der sie leben, und diese mitgestalten. Und die Gesellschaft – und auch die Kirche! – kann nicht auf Dauer auf die Potenziale der Altersgenerationen verzichten, ohne Schaden zu nehmen. Mit der Diskussion um den „demographischen Wandel“ hat die Politik begonnen zu reagieren. „Bürgerschaftliches Engagement im Alter“, die Errichtung von Freiwilligenzentren und Mehrgenerationenhäusern werden in der Kommune, in der ich lebe, stark vorangetrieben, unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Alter schafft Neues“ heißt die Überschrift für eine gerade gestartete große Initiative des Ministeriums.(1)


Schöner altern!

In jedem Lebenslauf gibt es Wendepunkte. Wir haben solche Umbruch- und Veränderungszeiten erlebt, erlitten und gestaltet. Uns allen sind Wendezeiten wie Schuleintritt, Pubertät oder Berufswahl bekannt, wie jeder Mensch sie in unserer Kultur erlebt. Dann gibt es die, die unerwartet kommen und nicht von allen Menschen erlebt werden, etwa ein Unfall oder ein Verbrechen, eine unerwartete Erbschaft, der gewollte oder auch nicht gewollte Wechsel des Arbeitsplatzes, eine Trennung durch Tod oder Scheidung.

Besondere Wendezeiten gibt es im Leben von Frauen: die erste Menstruation, das Erwachen der weiblichen Sexualität und ihre Gestaltung, eventuell Schwangerschaft, Geburt und Muttersein, Wechseljahre, oft auch das Pflegen von Angehörigen, das eigene Altern. In Wendezeiten erleben Frauen, dass sie in eine sehr intensive Beziehung zu ihrem Körper kommen. Sie werden dem auf die Spur kommen, es bestätigt finden, wenn Sie Ihren Lebenslauf  einmal daraufhin anschauen, in welchem Verhältnis Zeiten der äußeren Veränderungen mit den körperlichen Veränderungen oder mit Krankheiten stehen.

Im Alter blicken wir auf diese Fülle von Leben zurück. Welche Erfahrungen nehmen wir in unser Alter hinein, was machen wir daraus, wie gestalten wir dieses Altern? Gibt es noch etwas Neues? Bei Bert Brecht lebt die „unwürdige Greisin“ noch einmal ein ganz neues Leben, ebenso Wiepe in „Der Kokon“ von Christine Brückner. Machen uns solche Geschichten Mut oder Angst? Welche Vorbilder gibt es, an denen wir uns orientieren können, und wo finden wir sie? Können uns Frauen aus der Bibel Vorbilder sein? Hanna? Ruth?

Auf einer Tagung evangelischer Frauen wurden 2005 Ansätze für eine „Feministische Theologie des Alterns“ entwickelt.(2) Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Altern nicht eine bestimmte Lebensphase ist, sondern ein Prozess, der unser Menschsein lebenslang, von der Geburt bis zum Sterben mitgestaltet – und den Frauen selbst in jedem Alter, vom Kind bis zur Greisin, mitgestalten. Unter anderem werden folgende drei Aspekte benannt:

– Alte Frauen betrifft die Abwertung des Alterns in zweifacher Hinsicht: als alte Menschen und als Frauen. Die Defizitperspektive auf das Alter betrifft ev. Frauenarbeit besonders, da deren Zielgruppe vielfach Frauen ab 50 Jahren sind. Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, dass sich ältere Frauen nicht selbst abwerten und ev. Frauenarbeit als Ganzes nicht abgewertet wird, wenn ihr Klientel  über wiegend aus älteren Frauen besteht.
Eine feministische Theologie des Alterns stellt sich die Aufgabe, auf gesellschaftlicher Ebene ethische Werte mit zu entwickeln, die auf Nachhaltigkeit und generationenübergreifendes Engagement setzen.

– Altern/Alter ist häufig mit Angst  verbunden, nicht mehr leistungsfähig, nicht mehr attraktiv zu sein. Das Verhältnis zum eigenen Körper, der massiven Veränderungen unterworfen ist, ist ein wichtiges Thema. Möglicherweise setzt hier die Selbstabwertung ein, die durch gesellschaftliche Klischees verstärkt wird.
Eine feministische Theologie des Alterns macht deutlich, dass insbesondere für Frauen Vorbilder notwendig sind, die zeigen, dass Älterwerden positiv besetzt werden kann. Sie setzt sich mit Körperlichkeit und Sexualität auseinander und entwickelt eigene Bilder von Schönheit und Erotik im Älterwerden.

– Wir sind alle auf dem Weg, ein Leben lang. Alter heißt nicht, dass damit etwas zu Ende und abgeschlossen ist. Auch der Glaube ist ein Weg, als Glaubende wachsen Menschen ein Leben lang. Religiöse Identität ist nicht irgendwann abgeschlossen, sondern befindet sich gerade auch im Alter weiterhin im Dialog mit der eigenen Lebensgeschichte.
Zu einer Spiritualität des Alterns gehört, das Besondere, die schöpferischen Fähigkeiten und Potenziale dieser Lebensphase zu benennen und wertzuschätzen.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Denkanstößen lohnt sich. Sie schließen mit dem Satz: „Ein Baum kann vom Sturm gebeutelt sein, Äste verlieren, aber er wächst weiter.“ Weil bei Gott nichts unmöglich ist, liegt neues Beginnen, auch und gerade im Alter, in meinen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Mit Gottes Hilfe, die uns zugesagt ist.


Für die Arbeit in der Gruppe

Hinweis für die Leiterin: Je nach Zusammensetzung und Interesse der Gruppe können die beiden Bausteine alternativ oder nacheinander (auf zwei Treffen verteilt) verwendet werden.


Ziel:

Die Frauen sollen Altern/Altwerden als lebenslangen Prozess begreifen; sie sollen angeregt werden, sich mit dem eigenen Alter auseinanderzusetzen und dabei die Möglichkeiten für Neuanfang und weiteres persönliches Wachstum erkennen.


Material:

– Plakatpapier, Zettel (in drei Farben), Stifte
– kleine Glaskugeln zum Mitnehmen
– Kopien der Thesen zu einer „Feministischen Theologie des Alterns“ (für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet)


Ablauf:

Hinführung
Die Leiterin führt in das Thema ein, indem sie anhand des Beitrags oben auf den demografischen Wandel, die heutigen Rahmenbedingungen für Altwerden und gesellschaftliche Veränderungen hinweist. Es folgt ein kurzes Rundgespräch, in dem die Frauen eigene Beobachtungen dazu austauschen.


Baustein „Ich werde / bin alt.“

Impuls für ein Plenumsgespräch (bei großen Gruppen 3-er Gruppen): Wann ist jemand für mich „alt“? Wann fühle ich mich alt?

Überleitung: Für uns Frauen hat das Thema Alter/Altern eine eigene Bedeutung. Bedeutsame Wendezeiten im Leben von Frauen sind etwa das Erwachsenwerden (erste Menstruation), das Erwachen unserer weiblichen Sexualität und ihre Gestaltung, eventuell Schwangerschaft, Geburt und Muttersein, Wechseljahre, oft auch das Pflegen von Angehörigen.

2-er Gruppen: An welche Neuanfänge in meinem Leben erinnere ich mich, was hat mir dabei geholfen, sie zu bewältigen?

Impuls für das Plenumsgespräch: Was ist nach unserer Erfahrungen wichtig und hilfreich, damit Neuanfänge im Leben gelingen können? (Stichworte auf Zettel schreiben und in die Mitte legen oder auf ein in der Mitte liegendes Plakat schreiben)

Impuls: Wir haben uns an Neuanfänge in unserem Leben erinnert und fest gehalten, was uns dabei hilfreich war. Welche Neuanfänge kann man/frau sich im Alter / fürs Altwerden vorstellen? Eine lange erträumte Reise machen? Lernen, mit einem PC umzugehen? Ein altes Musikinstrument wieder hervor holen? Lesepatin für ein Migrantenkind werden? (Ideen zusammentragen und auf Plakat festhalten)

Einzelarbeit: Was nehme ich mir ganz persönlich vor, das ich konkret angehen werde, das zu meinen Möglichkeiten, Einschränkungen, Fähigkeiten passt? (Zeit zum Träumen und Nachdenken geben; evtl. Hintergrundmusik; Zettel bereithalten, auf denen die Frauen für sich etwas notieren können)

Abschluss: Nehmen Sie sich aus dem Körbchen eine Glaskugel, halten Sie diese fest in Ihrer Hand und nennen Sie, wenn Sie mögen, reihum Ihr Vorhaben.

Dieser Segen begleitet Sie bei Ihrem Vorhaben:
Gott sende die Weisheit, dass sie dir das
 Tor zur neuen Zeit weit öffne!
Gott segne die Leidenschaft deiner
  Liebe zu allem Lebendigen,
Gott segne deine Wut und Empörung
 über alles Unrecht,
Gott segne deine Fantasie, dass sie 
 deine Taten beflügelt!
Gott segne die Heilkraft deiner Worte 
 und Hände!
Gott segne die Klarheit deines Denkens!
Gott segne den Schatten in deinem
 Wesen!
Gott segne die Weite deines Herzens!
Gott sende die Weisheit, dass sie ein 
 strahlendes Licht sei
bei Tag und in der Nacht!
Gott segne deinen neuen Weg.


Baustein „Schöner altern“

Kurze Erläuterung der Leiterin zum Hintergrund der „Feministischen  Theologie des Alterns“ (siehe oben)

Kopien der drei Thesen austeilen und laut vorlesen (lassen); evtl. Verständnisfragen gemeinsam klären – aber nicht schon diskutieren!

4-er Gruppen: Was leuchtet uns ein? Wo haben wir Einwendungen? Was möchten wir ergänzen? In den Gruppen diskutieren und Ergebnisse auf Zetteln in drei unterschiedlichen Farben fest halten

Plenum: Die Ergebnisse der Gruppen werden im Plenum zusammengetragen. Gibt es Punkte (Einwendungen / Ergänzungen), in denen sich alle einig bzw., die der Gruppe besonders wichtig sind? Dann bitte festhalten und an die EFiD (Redaktion ahzw) schicken! Die Rückmeldungen werden in die Weiterarbeit der EFiD am Thema „Altern“ einbezogen.

Zum Abschluss Joel 3,1 vorlesen: „Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgieße. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben.“


Erika Jehle, 69 Jahre, war bis 2003 Leiterin der  Fachstelle für Frauenarbeit der Ev.-luth. Kirche in  Bayern im FrauenWerk Stein und, bis 2008,  Stellvertretende Vorsitzende der Ev. Frauenarbeit in Deutschland EFD. Sie wohnt in Augsburg und ist dort ehrenamtlich tätig im Verwaltungsrat des  Diakonischen Werks und im Seniorenbeirat der Stadt Augsburg. Erika Jehle ist verheiratet und hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.


Anmerkungen:

1 Näheres dazu unter: www.bmfsfj.de
2 „Soester Gesprächskreis“ der Mitarbeiterinnen der gemeindebezogenen Frauenarbeit der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland (EFD) und der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland (EFHiD), jetzt der gemeinsame Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland (EFiD); drei (von neun) Thesen werden hier leicht gekürzt wiedergegeben.


Verwendete Literatur:

Platz für Potentiale? Ev. Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover 2006
Potenziale des Alters –  Chance für Kirche und Gesellschaft (s.o.)
Deutscher Evangelischer Frauenbund e.V. DEF. Der demografische Wandel: Alter als Chance und Aufgabe“ (2006) 

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