Ausgabe 1 / 2012 Artikel von Beate Mitzscherlich

Europa zur Heimat machen

Lernziel Respekt vor den anderen

Von Beate Mitzscherlich

Dieses Wochenende in Berlin, dann in Paris, Freunde besuchen und in die Oper gehen. Ins Warme müssen wir auch noch mal, wenn der November hier in Deutschland so grau ist – Lissabon oder Istanbul? Und falls wir über Ostern nicht nach Barcelona fahren können, dann eben Prag. Auf jeden Fall müssen wir nach Katowice, wenn meine Kusine im August Silberhochzeit feiert.

Heimat scheint ein Begriff von Vorgestern zu sein, aus einer Zeit, wo die meisten Menschen am Ort ihrer Herkunft blieben. Wo alles überschaubar, aber auch ein bisschen eng war, insbesondere für Frauen, die nicht nur zuständig waren für den heimischen Herd, sondern für alles, was Wärme, Geborgenheit und Zusammenhalt stiftete: die Pflege der Beziehungen, das schöne Ambiente, Garten und Gemeinde. In diesem Kontext klingt Heimat auch nach falscher Idylle, nach Ideologie, nach etwas, das uns einsperrt und gefügig machen soll. Und das die Männer in den Krieg schickt, um dort die Heimat zu verteidigen oder für die Heimat zu sterben, irgendwo in Russland oder in der Normandie.

Doch trotz des Missbrauchs hat der Begriff Heimat nach wie vor einen positiven Klang und ist gerade für Menschen, die keine Heimat mehr haben oder ihre Heimat verlassen mussten, mit einer tiefen Sehnsucht verbunden. Ist das Nostalgie – oder brauchen wir so etwas wie einen Ausgangspunkt, ein inneres oder äußeres Bezugssystem, etwas wohin wir gehören?

Kindheitserfahrung Heimat

Entwicklungspsychologisch betrachtet entsteht unser Heimatgefühl in der frühen Kindheit, da, wo wir existentiell auf Geborgenheit, Sicherheit und Vertrautheit angewiesen sind. Wo wir lernen, uns zu binden: an Menschen, an unsere Bezugspersonen, aber auch an die von ihnen vermittelte Kultur. Wo prägende Ersterfahrungen den Rahmen stiften, in dem wir Welt später wahrnehmen. Wo wir die sozialen Regeln lernen, an die wir uns anpassen. Diese frühen Beziehungen sind die, die wir kennen, in denen wir uns auskennen und in denen wir uns selbst als stimmig empfinden, wenn wir die Grund-Erfahrung von Resonanz und Aufgehobensein gemacht haben. Dazu gehört auch der Ort, an dem wir Welt als erstes sinnlich erfahren haben, die frühen Bilder, Gerüche, Geschmäcker, Klänge von Stimmen, Sprachmelodie oder Musik, die Gegenstände, die uns umgeben und an denen wir die Welt im wahrsten Sinne des Wortes begriffen haben. Natürlich ist keine Kindheit nur Idylle und gehören zu jeder Bindung auch die Erfahrung von Trennung und Abwesenheit, frühe Verlustängste und real erfahrene Verluste. Dennoch prägt die Kindheitserfahrung, auch und gerade die verletzte, wie wir uns im Weiteren an Menschen und Orte binden.

Auch die Kindheitserfahrung in der Moderne ist keine Erfahrung von ausschließlich Geborgenheit und Beschütztsein. Sind die Biographien der heute alten Menschen noch vom Krieg geprägt, vom Verlust wichtiger Bezugspersonen, der Zerstörung der Städte, manchmal von Heimatvertreibung und der Anstrengung von Wiederaufbau und Wiederherstellung von Heimatlichkeit, haben deren Kinder – die heutige Erwachsenengeneration – zwar ein vergleichsweise sicheres Leben in einer ständig prosperierenden Gesellschaft erfahren, aber auch die Anstrengung der Eltern gesehen, die Angst vor der Brüchigkeit dieser Art Sicherheit gespürt (und manchmal auch geerbt) und oft die Härte erlebt, die diese Eltern gegen ihre eigene Bedürftigkeit, aber auch gegen die Bedürfnisse ihrer Kinder entwickelt haben. Irgendwann haben sich die Kinder selbst davon abgewandt, sind hinausgegangen aus den heimatlichen, aber zu engen Stuben und Verhältnissen ihrer Eltern, haben ihr eigenes Leben aufgebaut, versucht, eigene, neue Werte zu entwickeln.

Eine jüngere Generation erzieht ihre Kinder längst hedonistischer, spielerischer, entspannter, aber eben aus Sicht der Alten auch unverbindlicher, wertfreier, beliebiger. Es geht nicht mehr ständig darum, die Kinder auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, sondern zu lernen, den Moment, insbesondere den Moment von Gemeinschaft und Verbundenheit zu genießen. Ob das wirklich stimmt, ist fraglich: Auch heutige Kindheiten haben ihre Katastrophen und Ereignisse, die Kinder lernen müssen zu bewältigen – sehr häufig die Trennung der Eltern, Umzüge und damit wechselnde Kontexte, ein unglaublicher Zuwachs an Technologie und Möglichkeiten virtueller Kontakte und Verbindungen und dennoch auch immer noch das physische Allein- oder auch Verlassensein. Die Welt, in der Kinder heute aufwachsen, ist sehr verschieden von der unserer Kindheit, aber für sie vermutlich genauso vertraut, sicher und – soweit es uns gelingt, ihnen Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln – heimatlich. Auch sie werden ihre Eltern eines Tages verlassen und ihre eigene Vorstellung von Leben zu verwirklichen versuchen.

Heimat – selbstbestimmter sozialer Raum

Für Erwachsene ist Heimat schwerpunktmäßig kein geschenkter oder erfahrener Ort, sondern eine Umgebung, die sie selbst gebaut, gestaltet haben. Ein Haus, eine Wohnung, die eigene Familie, Nachbarschaft, Gemeinde, für deren Beziehungen sie mit verantwortlich sind, ein Arbeitsplatz, an dem sie gebraucht werden und etwas schaffen.

Heimaterfahrung von Erwachsenen hängt wesentlich davon ab, wie sie sich in dem, was sie tun, einerseits verwirklichen können und wie sie andererseits damit die Erfahrung von „Kennen, Gekannt und Anerkannt – werden“ (Ina-Maria Greverus) machen können. Die Heimat ist in diesem Verständnis ein selbstbestimmter, selbst gestalteter und auch selbst zu verantwortender Fakt. Wenn die eigene Familie, das eigene Haus, die eigene Gesellschaft nicht (mehr) als heimatlich erfahren werden, liegt es an uns, das zu verändern. Natürlich ist auch das nur eine Seite der Medaille: gerade in unserer Selbstverwirklichung sind wir angewiesen auf die Resonanz der anderen, auf einen sozialen Nah-Raum, der reagiert, bejaht, unterstützt, inspiriert, aber auch korrigiert oder sogar konfrontiert.

Vielen Menschen wird trotz ihrer Bemühungen diese Anerkennung vorenthalten – MigrantInnen etwa, die immer wieder als Fremde behandelt werden, Menschen, die keinen Platz in der Arbeitswelt bekommen, Menschen, die den sozialen Normativen von Schönheit, Intelligenz, Fitness nicht entsprechen können oder wollen. Aber auch das ungelesene Manuskript oder die unerwiderte Liebe verhindern, dass wir uns auf der Welt, in unserer Welt zuhause fühlen. In diesem Sinn ist Heimat etwas, was ich mache, was ich beeinflussen, entwickeln kann – und was ich immer wieder mit dem in der eigenen Biographie entwickelten Maßstab prüfen kann und muss.

Utopie Heimat

Die Grunderfahrung einer solchen Prüfung ist auch immer die Erfahrung von Nicht-Übereinstimmung. Die Welt ist nicht vollkommen. Die heile, für alle sichere und bergende Welt ist immer noch und immer wieder eine Utopie. „Kein Ort. Nirgends“ – oder wie Ernst Bloch formuliert hat: ein Ort der allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war. Wir brauchen aber dieses innere Ziel, diesen weiteren Horizont von Heimat, um nicht in unserem Alltagsgeschäft zu ersticken. Die Psychologie sagt, der Mensch braucht das übergeordnete Ziel, um sein Handeln orientieren zu können.

Das hat nicht nur eine handlungspraktische, sondern auch eine spirituelle Dimension. Das „Sich Ausstrecken nach der himmlischen Heimat“, wie es Paulus im Hebräerbrief beschreibt, ist der Motor der Veränderung auf der Erde. Das Wohin und das Wozu verleiht dem Alltagshandeln nicht nur Sinn, sondern motiviert, Schwierigkeiten zu überwinden. Wenn Leben nicht nur eine Fluchtbewegung zum Tod hin sein soll, braucht es eine Vorstellung von gelungenem Leben, von „paradiesischen Zuständen“ oder von einer besseren Welt, „in der die freie Entwicklung jedes einzelnen die Voraussetzung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx' Kommunistisches Manifest). Gerade in dieser Ferne und Vagheit sind diese Utopien natürlich auch missbrauchbar, sie werden zur Ideologie oder zur Vertröstung, die die Gläubigen das irdische Jammertal erdulden lässt in der Hoffnung auf den himmlischen Preis. Insofern ist auch hier die Realitätsprüfung wieder wichtig, gibt es Anfänge, eine Annäherung an das Ziel, Himmel auf Erden, Erfahrungen von Freiheit, Gemeinschaft, gelungenem Leben.

Alltägliche Aufgabe Beheimatung

In diesem Dreieck von Kindheitserfahrung, praktischem Handeln und utopischer Transzendenz bewegt sich der Heimatbegriff. Er ist unter den Bedingungen der Spätmoderne keinesfalls leichter einzulösen. Gerade die Vervielfältigung und Fragmentierung aller Lebenszusammenhänge, vor allem auch im Bereich der sozialen Beziehungen, die permanente Forderung nach Mobilität und Flexibilität, verlangt den einzelnen heutzutage einiges ab. Die einzige Möglichkeit, sich in dieser Vielfalt die Erfahrung von Heimat, von Zugehörigkeit, Geborgenheit, aber auch Stimmigkeit (Übereinstimmung mit eigenen Werten und Wünschen) zu erhalten oder wieder herzustellen, ist der Prozess, den ich Beheimatung genannt habe: das Sich-Verbinden mit und Sich-Binden an Menschen, Orte, kulturelle und spirituelle Bezugssysteme.

Sich in einem sozialen Netz zu beheimaten, das Erfahrungen von Zugehörigkeit, Anerkennung und Vertrautheit vermitteln kann, heißt aber auch, dieses Netz zu pflegen und Verantwortung für das eigene Eingebunden-Sein zu übernehmen. Wenn das gelingt, entsteht eine Erfahrung von Gemeinschaftlichkeit, nicht nur für die jeweils Einzelnen, sondern auch in einer Familie, einer Gemeinde, einer Nachbarschaft – eine wesentliche Basis von sozialer Unterstützung und Veränderung.

Es geht zweitens darum, praktische Schritte zur Veränderung der Lebensumstände zu unternehmen: eine Arbeit annehmen, eine Wohnung einrichten, ein Essen kochen, einen Garten anlegen, einen Platz besetzen, demonstrieren, eingreifen, wenn Menschen bedroht oder Dinge beschädigt werden, sich einsetzen für bessere Verkehrsanbindung, Ökologie, gesunde Nahrung, aber auch für die Rechte aller hier lebenden Menschen. Dies verändert die Kultur einer Gemeinschaft, die Partizipation an unseren Belangen gibt uns das Gefühl eines verantworteten Raums, aber auch das Gefühl von Handlungsfähigkeit. Wir sind nicht nur Opfer von Umständen, sondern wir können sie beeinflussen.

Die dritte Ebene ist das Entwickeln der Utopie, der Vorstellung über ein gelingendes Leben und eine heile Welt, die man braucht, um dem praktischen Handeln einerseits eine Richtung zu geben, andererseits immer wieder zu überprüfen, ob man in dieser Richtung vorankommt, ob das, was im praktischen und sozialen Handeln entsteht, sich heimatlich anfühlt – oder einer zunehmend unheimlich wird. Nur auf dieser Ebene entsteht das Gefühl von Sinn, Stimmigkeit oder (innerem) Zusammenhang mit der eigenen Biographie, mit der Utopie von Heimat, mit allem, was dazugehört – das Gefühl, dass mein Leben hier an diesem Ort Sinn macht und für mich und andere Bedeutung hat.

Beheimatung in Europa

Die meisten Menschen beziehen ihr Heimatgefühl auf den sozialen Nahraum, die Familie, den Ort, wo sie leben, die Freunde, Nachbarn, Gemeinde. Eventuell auch auf eine Region, mit deren Landschaft sie vertraut sind, kaum noch auf ein Bundesland oder die Nation. Wie können sie sich also in Europa beheimaten, sich verbinden mit Menschen, die sehr entfernt und häufig nach anderen Regeln leben, eine andere Sprache sprechen, anders essen, anders singen, anders wirtschaften als sie? Überfordert das unserer Kapazität zur Integration von Fremdheit? Viele sehen in Europa ausschließlich eine politische Konstruktion, ein bürokratisches Regelungsmonster, eine unkontrollierbare Geldverteilungsmaschine und Alterssicherung für abgehalfterte Politiker. Tatsächlich aber bewegen wir uns auch in Deutschland längst ganz selbstverständlich in einem europäischen Raum, wir leben und arbeiten mit Italienern, Türkinnen, Russen und Polinnen zusammen, wir essen griechisch und trinken französischen oder spanischen Wein. Wir treffen an anderen Orten Europas Menschen, mit denen wir uns verbunden fühlen und wir können uns (gelegentlich) auch vorstellen, anderswo als in Deutschland zu leben.

Wo es konkret wird, erlaubt Europa einerseits die Erfahrung von Verschiedenheit, es riecht, schmeckt, klingt anderswo anders. Andererseits erleben wir, dass die Menschen, die wir treffen, mit denselben Dingen beschäftigt sind wie wir – ihre Existenz zu sichern, ihre Kinder groß zu ziehen, ihre Beziehungen zu gestalten. Und wenn wir uns genauer damit beschäftigen, erfahren wir auch, dass Europa ein großer, schon lange gewachsener Kulturraum ist. Die Via Regia verbindet Kiew mit Santiago de Compostela, der Naumburger Meister hat vielleicht in Frankreich gelernt, die heilige Elisabeth stammt aus Ungarn, die griechische Antike hat unser gesamtes philosophisches und ästhetisches Denken beeinflusst, der Islam Mathematik und Medizin zur Blüte gebracht. Selbst die unheilvollen Kriege verbinden uns – von der Völkerschlacht, in der Österreicher, Russen, Preußen und Schweden bei Leipzig starben, über die Schlachtfelder des ersten bis zu den Konzentrationslagern, den zerbombten Städten und entwurzelten Menschen des zweiten Weltkrieges. Europäische Erfahrungen, deren Reste auch in den einzelnen Familiengeschichten und Menschen aufzufinden sind und im besten Fall dazu führen, dass man sich zu einem gemeinsamen „Nie wieder“ verbindet.

Vieles, was wir als Ureigenes empfinden, ist eigentlich geborgt, importiert, längst integriert – von der Sprache über Ernährungs- und Kleidungsgewohnheiten bis hin zu unserem Denken. Sogar das Schimpfen über Europa ist ein europäisches Phänomen; für die meisten Menschen außerhalb Europas ist unser Wirtschafts-, Sozial- und Kultursystem nach wie vor sehr attraktiv. Und natürlich haben wir gemeinsame Probleme: Wirtschaft, Klima, Verkehr, die Integration von MigrantInnen, Gerechtigkeit in der Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum und Armut. Längst findet die europäische Integration auch unterhalb der politischen Ebene im Alltagskontakt von Menschen statt. Die treffen sich auf Sprachkursen, in Firmen, beim Reisen. Die arbeiten zusammen, verlieben sich ineinander, lernen die Sprache des anderen, aber auch ihre Gewohnheiten zu akzeptieren, ziehen gemeinsam Kinder auf, besuchen skeptische Schwiegereltern.

Der bekannte Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget und Anne-Marie Weil haben in den 50-er Jahren Kinder befragt, was für sie Heimat ist. Während der Fünfjährige noch nicht weiß, ob er jetzt Genfer oder Schweizer ist, weiß er immerhin schon, dass in der Schweiz die Schokolade am besten schmeckt. Trotzdem zieht der fünfjährige Italiener Italien vor, weil dort seine Mama wohnt, und der fünfjährige Deutsche möchte lieber in Deutschland leben, weil er dort am meisten Menschen kennt. Mit fünf Jahren denken Kinder, dass es allen anderen ganz genauso geht wie ihnen selbst. Das abstrakte Konzept von Heimat entsteht erst, wenn Kindern begreifen, dass anderen Kinder ihre Heimat vermutlich genauso viel bedeutet wie ihnen selbst die ihre. Piaget nennt das die Überwindung des kindlichen Egozentrismus oder Fähigkeit zur Dezentrierung. Erst wenn ich andere als andere wahrnehme, kann ich sie in ihrer Eigenheit respektieren, mich in sie hinein versetzen und in Austausch treten. Diese entwicklungspsychologische Grundregel ist auch Voraussetzung für das Sich-Beheimaten in Europa: Nationale Egozentrik muss überwunden werden, um die Situation der anderen verstehen und
zu gemeinsamen Lösungen kommen zu können.

Max Frisch hat das in seinem Heimat-Fragebogen noch ein bisschen mehr gegen den Strich gebürstet: Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich für eine andere Heimat besser geeignet hätten? Sind Sie eigentlich vielleicht doch eher ein mediterraner Typ, wenn auch mit einer russischen Seele und dem Wunsch nach einem skandinavischen Sozialsystem? Dann sind Sie vielleicht heute schon auf dem besten Weg zur Beheimatung in Europa!

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:
In der deutschen Sprache ist Heimat ein Einzahlwort. Wir wollen die Vielfalt von Heimaten in unserer Biographie und die Rolle, die Europa dabei spielt, untersuchen.

Zeit:
120min

Ablauf:
Die Fragen aus Frischs Heimat-Fragebogen dienen als Impuls für eine Öffnung des Denkens:
Was ist in unserem Leben Heimat gewesen, was hätte es sein können, welche Heimaten haben wir uns vorstellen können?

Jede Frau erhält die Kopie einer Europa-Karte (A3 / für AbonnentInnen unter www.ahzw-online / Service zum Herunterladen vorbereitet). Sie dient als Ausgangspunkt – es können aber auch auf einem großen Blatt wesentliche Orte der eigenen Biographie frei verortet werden: Wege, die immer wieder zurückgelegt wurden, Orte (in Europa), die man immer wieder aufgesucht hat, oder auch imaginäre Orte, an denen man vielleicht nie gewesen ist, die aber ein wichtiger Bezugspunkt der eigenen Biographie waren bzw. wurden: der Ort, aus dem die Großeltern vertrieben wurden, der Ort, wo der Vater gefallen ist/kriegsgefangen war, der Ort, an dem ein Kind studiert hat, der Ort, über den ein Lieblingsschriftsteller schrieb …
In einem zweiten Schritt geht es darum, die wichtigsten Orte zu bebildern (malen oder Collagen) und zu konkretisieren:
Welche Bedeutung hat dieser Ort für mich persönlich? Mit welchen Menschen ist er verbunden? Mit welchen Erfahrungen? Wie riecht, schmeckt, klingt es da? Womit bereichert dieser Ort/dieses Land mein Leben? Welche Bilder/Symbole gibt es dafür?

In Dreiergruppen oder (bei einer kleinen Gruppe) im Plenum werden die Bilder gezeigt, erklärt, versucht zu verstehen
– wie unterschiedlich das Europa ist, das wir wahrnehmen;
– wie unsere Biographie entlang von Orten verläuft und was für uns notwendige Voraussetzungen waren, um uns hier oder da beheimaten zu können;
– welche Rolle dabei Menschen spielen, welche Rolle die Dinge, welche Rolle Ideen, Glaubenssätze, Werte.

Dr. Beate Mitzscherlich, Jahrgang 1964, ist in der DDR geboren und aufgewachsen und hat Psychologie in Leipzig und Leningrad studiert. Sie hat bei Aktion Sühnezeichen/Ost und im Friedensarbeitskreis der ESG mitgearbeitet. Die Beteiligung an der Wende war für sie eine prägende Lebenserfahrung: Es geht um den Umbau der Welt zur Heimat. Seit 1999 ist sie Professorin für Pflegeforschung an der Westsächsischen Hochschule Zwickau – und ansonsten aktiv als Supervisorin, Autorin, „Heimatforscherin“ und praktizierende Patentante.

Zum Weiterlesen
Beate Mitzscherlich: Heimat ist etwas, was ich mache. Eine psychologische Untersuchung zum subjektiven Prozess von Beheimatung. Centaurus.
Verena Schmitt-Roschmann: Heimat. Neuentdeckung eines verpönten Gefühls. Gütersloher Verlagshaus
Karen Joisten: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie. Akademie Verlag Berlin.
 

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