Alle Ausgaben / 2008 Material von Christiane Markert-Wizisla

Evangelisch sein heißt, ein Buch haben

Von Christiane Markert-Wizisla


Dorothee Sölle sagt: Evangelisch sein heißt, keinen Papst haben, aber ein Buch. Ein Erbe der Reformation ist der Zugang zur Schrift für alle. Damit wird sozusagen eine Demokratisierung des Glaubens ausgelöst. In gegenreformatorischen Bestrebungen wurde die Bibellektüre immer wieder verboten. Teresa von Avila zum Beispiel genau in dem Moment, in dem sie zu selbstbewusst ihre Ziele  verfocht. Sie hatte zum Glück vieles auswendig gelernt.

Im 20. Jahrhundert war die Bibel in Diktaturen gefürchtet; sie war streng verboten in den Konzentrationslagern und Gefängnissen. Von Katharina Staritz wissen wir, dass sie Gottesdienste in Ravensbrück gehalten hat auf der Grundlage von auswendig gelernten Bibeltexten. Das war Brot zum Leben in der Hölle. Auch die Geschichte der Frauenbewegung ist ohne die Bedeutung der Bibel nur halb zu Kenntnis genommen. Louise Otto, die Mutter der deutschen Frauenbewegung und Beteiligte an der 48er Revolution war davon ausgegangen, dass der Kampf um die  Freiheit eine genuin evangelische Angelegenheit sei. In den Leitartikeln ihrer Frauenzeitung finden wir immer  wieder ausführliche Bezüge zu biblischen Texten. Gerade die Frauenhilfen, die die Bibelarbeit gepflegt haben, sind resistent gewesen gegen die Ideologie der Deutschen Christen. Nach 1945 wurde die exzellente biblisch-theologische Arbeit in der Potsdamer Zentrale der Frauenhilfe kontinuierlich fortgesetzt bis in die 90er Jahre. Aus der Bibelarbeit erwuchsen Impulse für die Beantwortung  gesellschaftlicher Fragen.

Die Bibel ist unser Kerngeschäft: darin können wir professionell sein. Wir legen die Bibel als Buch der Befreiung aus, wir schöpfen aus den Quellen der Mütter und Väter und wandeln sie um in Lebensmittel für heute. Dazu gehört die Auseinandersetzung um die Bibel als patriarchiales Buch, in androzentrischer Sprache verfasst. Aber gut reformatorisch ist nicht der Buchstabe das Wort Gottes, sondern immer gesprochenes Wort durch Menschen. Die Bibel – das ist zugleich Auseinandersetzung mit der Bibel. Die Bemühung um eine Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache gehört für mich in diese reformatorische Tradition im besten Sinne. Die Bibel soll sprechen in einer konkreten Zeit.


Christiane Markert-Wizisla
Auszüge aus:
Feministisch und protestantisch –
Überlegungen zu einer evangelischen Identität
Referat beim Studientag der EFD
2004 in Augsburg

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