Ausgabe 2 / 2007 Artikel von Monika Heitmann und Gabriele Trapp

Familie, Freunde, Kirche, Beruf

Das Leben von Frauen in der Prostitution

Von Monika Heitmann und Gabriele Trapp

Wollen wir über die Lebenswirklichkeit von Prostituierten sprechen, müssen wir zunächst ihren beruflichen Alltag differenziert betrachten. Denn aus den verschiedenen Bereichen der Prostitution ergeben sich völlig unterschiedliche Anforderungen und Arbeitsbedingungen.

Viele Frauen kommen über eine Bekannte oder Freundin, die in der Prostitution arbeitet, in Kontakt mit dem Thema Prostitution. Die Frauen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen für die Prostitution entscheiden, arbeiten deshalb zunächst meist in dem Bereich, in dem auch die Freundin tätig ist. Je nach Persönlichkeit entscheiden sie sich, direkt wieder auszusteigen, in dem Bereich zu bleiben oder einen anderen kennen zu lernen. Für welchen Arbeitsbereich sich eine Frau letztlich entscheidet, und wie sie mit den dortigen Bedingungen umgeht, ist abhängig von ihrer persönlichen Struktur, ihren Fähigkeiten und ihrer psychischen Stabilität.


Arbeitsbereiche

Im Folgenden stellen wir die Haupt-Arbeitsbereiche der weiblichen, heterosexuellen Prostitution dar.

Straßenstrich – In vielen Städten gibt es für die Prostitution ausgewiesene Straßen. Die Kunden fahren mit dem Auto vor, und häufig findet die Dienstleistung im Auto statt; manche Frauen haben Zimmer oder gehen mit ihrem Kunden in ein Stundenhotel. Als Vorteil sehen viele Frauen die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wann sie arbeiten möchten. Viele Frauen arbeiten in diesem Bereich auch deshalb, weil sie den schnellen, nicht so intensiven Kontakt zum Kunden bevorzugen. Fehlende finanzielle Verpflichtungen, außer ggf. für das Zimmer, und fehlende Kosten z.B. für Werbung sind ebenfalls Vorteile. Die Nachteile liegen in den oftmals mangelhaften hygienischen Bedingungen; zudem leisten entlegene Gelände ohne Notrufmöglichkeiten Übergriffen durch Freier (= Kunden) Vorschub – und es ist Nachtarbeit bei jedem Wind und Wetter!

Bordell – Oftmals seit Jahrzehnten etablierte Häuser, Häuserkomplexe oder, wie in Bremen und Hamburg, komplette kleine Straßen bieten Bordellbetrieb. Die Frauen sitzen in Fenstern und versuchen durch ein besonderes Äußeres oder durch eine individuelle Ansprache die Kunden zu locken. Traditionell wurden die Frauen im „Puff“ von älteren Kolleginnen angeleitet und mit Tipps und Tricks vertraut gemacht; leider wird diese „Ausbildung“ von den jüngeren Kolleginnen heute häufig nicht mehr angenommen, und auch die früher üblichen Preisabsprachen werden immer mehr aufgeweicht. Als Vorteil gilt die hohe Sicherheit: oft haben die Zimmer Alarmklingeln, so dass die Frauen jederzeit Hilfe rufen können. Nachteile sind die hohen Tagesmieten, eventuell weitere Kosten (z.B. Beteiligung an der Bezahlung eines Wirtschafters) und die teilweise übliche Verpflichtung, Hygieneartikel wie z.B. Kondome zu überteuerten Preisen vom Haus zukaufen.
Apartment-/Wohnungsprostitution – Seit den 70er Jahren ist die Zahl der Apartments, Wohnungen oder auch Häuser, in denen Frauen sexuelle Dienstleistungen anbieten, stetig gestiegen. Diese Form der Prostitution macht inzwischen den Hauptbereich aus, wobei sich aus Sicherheitsgründen meist mehrere Frauen zusammentun. Die Vorteile liegen in der Anonymität der Frauen – niemand sieht sie ins Bordell gehen – und der Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten individuell festzulegen. Zudem können sie die Wartezeiten mit anderen Tätigkeiten füllen. Die Nachteile liegen ebenfalls auf der Hand: Es muss in eine Einrichtung investiert werden, es entstehen laufende monatliche Kosten für Miete, Nebenkosten und Telefon sowie weitere wiederkehrende Kosten wie Werbungsinserate. Nicht unüblich sind auch hohe Tagesmieten.

Massagesalon – Die Vor- und Nachteile lassen sich mit denen der Apartment-/ Wohnungsprostitution vergleichen, wobei der Schwerpunkt der Arbeit eben erotische Massage ist, und die Frauen häufig keinen Geschlechtsverkehr anbieten.

Bars/Clubs – Sie vermitteln wohl am ehesten „Rotlichtatmosphäre“. Die Frauen arbeiten in Schichten, und es gibt eine Absprache bezüglich der im Haus üblichen Arbeitskleidung, z.B. Body oder Abendkleid. Die Kunden, hier eher als Gäste bezeichnet, legen Wert auf erotische Atmosphäre und Unterhaltung. Frauen, die in diesem Bereich arbeiten, sollten also schon eine gewisse Redegewandtheit und Unterhaltsamkeit mitbringen. Vorteile sind, dass die Frauen den Freier besser einschätzen können, und dass der geschützte Raum – ohne eigene Kosten! – hohe Sicherheit bietet. Die Nachteile: In der Regel wird auch über Getränkeprovisionen Geld verdient, d.h., die Frauen müssen häufig Alkohol trinken. Barfrauen sitzen oft die ganze Zeit in dunklen oder mit Schwarzlicht beleuchteten Räumen, und auch die hygienischen Bedingungen sind häufig ungenügend.

Begleitservice – Meist wird ein Begleitservice über eine Agentur vermittelt. Hier geht es in der Regel um die Begleitung eines Kunden, z.B. möchte der Geschäftsreisende Gesellschaft beim Abendessen. Er vereinbart mit der Agentur einen Termin und wählt eine Frau aus; alle darüber hinaus gehenden Wünsche des Kunden bespricht die Frau persönlich mit ihm. Hier handelt es sich also um intensivere, längere Kontakte, die Kosten sind entsprechend höher, die Frauen haben meist nur einen Gast pro Tag. Von Vorteil ist, dass ein Kunde den Verdienst einbringt, der sonst nur durch mehrere Kunden zu erzielen ist. Zudem können die Unternehmungen mit dem Kunden, etwa ein Theaterbesuch oder ein 5-Gänge-Menu, Spaß machen. Von Nachteil ist, dass die Ansprüche der gut zahlenden Kunden sehr hoch sind. Der Kontakt dauert meist mehrere Stunden, manchmal die ganze Nacht – dies fordert sehr viel Einsatz von den Frauen. Und: Die Frau ist, trotz Agentur, in der konkreten Situation ganz auf sich allein gestellt.

SM-Bereich – Spezielle Studios für sexuelle Vorlieben mit sadomasochistischer Ausrichtung, die einvernehmlich zwischen Erwachsenen praktiziert werden, finden so veranlagte Kunden zumindest in den Großstädten. Hier arbeitet die so genannte Domina – die keinen Geschlechtsverkehr ausübt! – mit ihren Zofen und Sklavinnen; manchmal gibt es auch einen Dominus. In diesem speziellen Bereich wird zum Teil mit männlichen und/oder transsexuellen Prostituierten zusammengearbeitet, die als gleichwertige KollegInnen akzeptiert werden. Um den Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden, ist ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Menschenkenntnis und Erfahrung nötig. Die Vorteile sind ein höherer Verdienst, die Erweiterung des eigenen Horizonts und zum Teil eben auch das Ausleben eigener Neigungen. Als Nachteil könnten die generell sehr hohen psychischen und teilweise auch körperlichen Anforderungen und Belastungen gelten.

Neben diesen Haupt-Bereichen gibt es noch viele andere, örtlich verschiedene Formen der Prostitution wie Kontakt-Kneipen, Sauna-/FKK-Clubs oder Sexkinos. Auch das neue Medium Internet spielt eine zunehmend große Rolle.


Lebensformen

Zusammenfassend können wir also feststellen: „Die Prostitution“ gibt es nicht – logischerweise existiert auch „die Prostituierte“ nicht. Die Frauen, die als Prostituierte arbeiten, sind Teil der Gesellschaft und damit Frauen, wie andere auch: Die Prostituierte hat Kinder oder nicht, ist verheiratet, hat einen Partner, ist lesbisch oder Single. Sie hat eine qualifizierte Ausbildung, keinen Schulabschluss oder einen akademischen Grad. Sie schafft gelegentlich, in Teilzeit oder in Vollzeit an. Sie ist politisch konservativ, fortschrittlich oder radikal, 17 oder 70 Jahre alt. Sie ist religiös oder nicht. Sie kommt aus Deutschland, aus einem europäischen oder aus einem anderen Land. Sie ist mit ihrem Leben zufrieden oder nicht.
Wie für andere Frauen auch, ist es für Prostituierte mitunter schwierig, ihren Beruf und ihr privates Leben unter einen Hut zu bekommen.

Eine Kollegin, die in der Wohnungsprostitution arbeitet, hat einen ganz normalen Vormittag protokolliert, der dann so aussieht:
6.00 Uhr – der Wecker klingelt. Persönliche Hygiene, Frühstück vorbereiten, Kinder wecken, Hilfestellung für die Vierjährige, an das Turnzeug für die Große denken, frühstücken.
7.30 Uhr – die Große zur Schule losschicken (kurz noch hinterher, weil sie ihr Turnzeug jetzt doch im Flur vergessen hat!), die Kleine anziehen, aufs Fahrrad setzen, zum Kindergarten bringen, weiter zum Apartment.
8.00 Uhr – zum Glück liegt alles nah beieinander. Apartment lüften, Arbeitskleidung an, schminken, zwischendurch schon drei Telefonate.
9.00 Uhr – es klingelt. Geschäftsreisender – hat gleich eine wichtige Besprechung, möchte sich vorher noch ein wenig entspannen. Er möchte Vorspiel und Geschlechtsverkehr – ausnahmsweise keine Diskussionen um Kondombenutzung und Preis. Er ist nett und problemlos, ich hoffe, dass er mal wiederkommt.
9.45 Uhr – Melanie aus dem Apartment über mir ruft an, hat Probleme mit ihrem Freund; sie kommt auf einen Kaffee runter, und ich kann sie ein wenig zu beruhigen.
10.30 Uhr – Ich nehme mir die Zeitung vor. Immer wieder Anrufe – wenn die bloß alle kämen! Heute bin ich ja ganz gelassen, aber an manchen Tagen geht mir das Gefrage und Gedränge nach Verkehr ohne Kondom ziemlich auf die Nerven. Sollte ich mal ein paar Wochen Pause machen? Zuhause bleibt immer einiges liegen, seit ich vor einem Jahr wieder angefangen habe zu arbeiten – nachmittags sind mir die Kinder wichtiger als der Haushalt.
11.00 Uhr – scheint mein Glückstag zu sein: Werner ruft an, kenne ihn noch aus der Zeit vor den Kindern. Bevorzugt Rollenspiele, weiß, dass er für diesen speziellen Service mehr zahlen muss. Juhu, er kommt um 12 Uhr!
11.15 Uhr – es klingelt: Stefan hat
eine schwerkranke Frau, kommt ein- bis zweimal monatlich zu mir und war gerade in der Nähe.
11.50 Uhr – schnell aufräumen, frisch machen und lüften!
12.35 Uhr – Werner stand im Stau, dachte schon, er kommt nicht mehr. Geht gerade noch: um 14 Uhr muss ich die Kinder aus dem Kindergarten holen. Gut, dass ich für die Große den Hortplatz bekommen habe, so haben beide Kinder zu Mittag gegessen, und ich muss nicht sofort an den Herd stürzen.
13.40 Uhr – Werner ist zufrieden gegangen; jetzt noch ein bisschen „klar Schiff machen“, dann ist Feierabend. Ich freue mich auf die Kinder und auf meinen Mann! Er arbeitet auswärts, und letztes Wochenende musste er durcharbeiten. Wir werden die Kinder von Samstagabend bis Sonntagmittag zu Oma und Opa bringen und endlich mal wieder einen Kuschelmorgen zu zweit genießen!

Wie gesagt – eine von zahllosen unterschiedlichen Möglichkeiten. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten bei den Frauen, die in der Prostitution arbeiten. Um diesen Beruf auf Dauer sowohl körperlich als auch psychisch gesund ausüben zu können, sind Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick, Hygienebewusstsein und insbesondere die Fähigkeit, sich trotz der Nähe zum Kunden abgrenzen zu können, die wichtigsten Handwerkszeuge. Für bestimmte Bereiche der Prostitution sind Fremdsprachenkenntnisse, schauspielerisches Talent oder diskretes Auftreten unerlässlich. Die gängige gesellschaftlich-moralische Abwertung der Frauen negiert all diese vielfältigen Fähigkeiten und stigmatisiert sie meist als Opfer. Mit der Lebenswirklichkeit vieler Frauen, die in der Prostitution arbeiten, hat das nichts zu tun.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Die Frauen sollen Informationen über die Vielfältigkeit der Arbeits- und Lebensformen von Prostituierten bekommen und sich mit der Forderung von Prostituierten nach gesellschaftlicher Anerkennung auseinandersetzen.

Zeit: ca. 2 Stunden

Material:
Arbeitsfelder Prostitution: 10 etwa esstellergroße Pappscheiben, mittlerer Filzstift, dünnere Stifte für die Gruppen in 2 Farben
Die Prostituierte: pro Kleingruppe Kopie der fünf Fragen an eine Prostituierte (siehe S. 42; für AbonnentInnen unter „Service“ zum Herunterladen vorbereitet), fünf weiße Zettel und ein Stift; Plenum: 5 große Blätter mit je einer der Fragen; ausgeschnittene Antworten von Irma, Tatjana und Conny (Kopiervorlage ebenfalls unter „Service“)
Prostituierte und Christin: Text „SM'erin und Christin“ in Kopie für alle (siehe
S. 41; Kopiervorlage unter „Service“)

Ablauf: Hinführung durch die Leiterin: Die Leiterin erläutert das Ziel der Gruppenarbeit; sie weist darauf hin, dass es hier ausschließlich um Prostituierte geht, die sich freiwillig für diese Arbeit entschieden haben!

Arbeitsfelder Prostitution
1 Die Gruppe sammelt im Brainstorming Arbeitsfelder der Prostitution (Straßenstrich, Bordell etc.); evtl. Ergänzung durch die Leiterin (siehe oben); je eines der Felder als Stichwort auf die Pappscheiben schreiben – diese in der Mitte sammeln (15 Minuten)
2 Je 2-3 Frauen erhalten eine der Pappscheiben und überlegen, was aus ihrer Sicht Vor- und Nachteile „ihres“ Arbeitsfeldes sind; stichwortartige Notizen auf den Scheiben in zwei Farben (15-20 Minuten)
3 Zusammentragen im Plenum – evtl. Ergänzungen durch die anderen bzw. aus dem Beitrag oben durch die Leiterin (20 Minuten)

Die Prostituierte?
1 In 2-3 Kleingruppen besprechen die Frauen die fünf vorgegebenen „Fragen an eine Prostituierte“ und notieren ihre vermuteten Antworten (pro Frage ein Zettel). (20 Minuten)
2 Im Plenum werden die Antworten zusammengetragen; nach den Antworten der Kleingruppen werden (jeweils sofort nach der Frage) die Antworten von Irma, Tatjana und Conny vorgelesen und zu denen der Gruppe gelegt. (30 Minuten)
3 Impuls für das Gespräch in der Gruppe: Wie verhalten sich unsere Antworten zu denen von Irma, Tatjana und Conny? Was bestätigt, was überrascht uns? (5-10 Minuten)

Prostituierte und Christin?
1 Die Leiterin liest den Text „SM'erin und Christin“ vor; sie bittet die Frauen, gut zuzuhören – aber sich (jetzt) nicht dazu zu äußern. (5 Minuten)
2 Jede Frau erhält eine Kopie des Textes; die Frauen werden gebeten, den Text mitzunehmen und ihn bis zum nächsten Treffen noch einige Male zu lesen.
3 Impuls für das Gespräch beim nächsten Treffen: Habe ich durch diesen Text etwas Neues gelernt? Was kann ich nachvollziehen – was verstehe ich überhaupt nicht? Was würde ich die „SM'erin und Christin“ gerne fragen, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte?
4 Evtl. kann die Gruppe ihre Gedanken und Ergebnisse zu einem Brief zusammenfassen und an die Redaktion ahzw schicken: von dort würde er an die Autorin weitergeleitet. Eine andere Möglichkeit wäre es, so vorbereitet das Gespräch mit Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen oder auch Frauen, die als Prostituierte arbeiten, zu suchen.

Monika Heitmann und Gabriele Trapp arbeiten in der Beratungsstelle Nitribitt e.V. in Bremen. Die Mitarbeiterinnen von Nitribitt haben auch die Interviews mit Frauen, die in der Prostitution arbeiten, geführt. (Siehe S. 41-43; Informationen zur Arbeit von Nitribitt unter: www.nitribitt-bremen.de.)
Vorschlag zur Arbeit in der Gruppe: Margot Papenheim

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