Familie ist eng verwoben mit anderen gesellschaftlichen Subsystemen und sich wandelnden sozial-ökologischen Umwelten, ebenso hängt das veränderte Alltagsleben von Familien mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen. Problematisch sind jedoch weniger die einzelnen Veränderungen als solche als vielmehr ihre Gleichzeitigkeit, die aber nicht aufeinander abgestimmt ist und die damit das ganze Gefüge in und um Familien durcheinanderbringt.
Von besonderer Bedeutung ist erstens die Erosion der im Nachkriegsdeutschland relativ reibungslos funktionierenden Arbeitsteilung zwischen Familie und Erwerb, die eng mit der traditionalen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern verknüpft war und ist. Heute trifft eine flexibilisierte und mobile Arbeitswelt auf veränderte Familien, in denen die Frauen mehr sein wollen als Mütter und Hausfrauen, häufiger Trennungen stattfinden und in multilokalen Familien sich die Raum-Zeit-Pfade aller Familienmitglieder vervielfältigen.
Ein zweiter Imperativ, der auf Familien einwirkt, sind die steigenden Ansprüche an Familie, die v.a. aus dem Bildungsbereich kommen. … Förderung soll „von Anfang an“ geschehen, schulbegleitend, ja lebenslang erfolgen. Entsprechend notwendige Veränderungen im Bildungsbereich selber verlaufen demgegenüber schleppend und widersprüchlich, sie werden oft an die Familien weitergereicht.
Eine dritte Herausforderung resultiert aus den gleichzeitig schwindenden Ressourcen von Familie, die eng mit ihrer zunehmenden Fragilität zu tun haben. Hohe Scheidungs- und Trennungsraten, von denen auch immer häufiger Kinder betroffen sind, kleiner werdende und weniger nach verfügbare Verwandtschaftsnetze, eine weitverbreitete Verunsicherung beim Erziehungswissen durch geringere Rückgriffsmöglichkeiten auf tradiertes Wissen und die begrenzte Verfügbarkeit notwendigen neuen Wissens machen es schwieriger, dass Familien auf sie gerichtete Selbst- und Fremderwartungen erfüllen.
Vor dem Hintergrund des beschriebenen mehrdimensionalen sozialen Wandels wird sichtbar, dass Familie heute „getan“, ja bewusst hergestellt werden muss, weil ihr Entstehen, ihr Alltag und ihre Kontinuität sich nicht mehr selbstverständlich und fraglos ergeben. Familie ist weniger denn je eine gegebene Ressource, auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Individuen einfach zurückgreifen können, sondern sie muss täglich und im biografischen Verlauf als Familie immer wieder durch Praktiken beteiligter Akteure hergestellt werden.
Es lassen sich drei Grundformen unterscheiden, die familiale Akteure im Rahmen der Herstellung von Familie erbringen. Die erste ist das sogenannte Balancemanagement: es umfasst vielfältige organisatorische, logistische Abstimmungsleistungen der Familienmitglieder, um Familie im Alltag lebbar zu machen. Da in Familien mehrere individuelle Lebensführungen mit unterschiedlicher Teilhabe an Beruf und Familie, Schule etc. und unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen aufeinander treffen, müssen diese ausbalanciert werden. Dabei spielen Rahmenbedingungen – wie bspw. Arbeits- oder Schulzeiten – eine große Rolle. So erfordert die Erosion fester Arbeitszeiten individuelles Grenzmanagement, um gemeinsame Zeiten als Familie zu finden, Kopräsenz zu ermöglichen. Das Balancemanagement zielt also auf die praktische Gewährleistung des „Funktionierens“ von Familie.
Die zweite Form, die Konstruktion von Gemeinsamkeit, umfasst Prozesse, in denen in alltäglichen und biografischen Interaktionen Familie als gemeinschaftliches Ganzes hergestellt wird. Dies geschieht im gemeinsamen Tun und im Sich-aufeinander-Beziehen. In Analogie zum sozialkonstruktivistischen Ansatz des „Doing Gender“ bezeichnen wir die Konstruktion von Familie als zusammengehörige Gruppe und ihre Selbstdefinition als solche als „Doing -Family“ im eigentlichen Sinn.
Bedeutsam ist auch eine dritte Form der „Displaying -Family“ insbesondere für solche Familien, die nicht dem gängigen Familienbild entsprechen, wie etwa Patchwork- oder Pflegefamilien. Um sich und anderen zu signalisieren „Wir sind eine Familie!“, wird das Familienleben ästhetisiert und inszeniert.
aus:
Familie als Herstellungsleistung –
Herausforderung für die Bildungsarbeit mit Familien
in:
forum erwachsenbildung
Ausgabe 2/11
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