Ausgabe 2 / 2012 Editorial von Margot Papenheim

Familienbilder im Wandel

Von Margot Papenheim

Samstag in der kleinen Stadt. Ich war jung verheiratet, zum ersten Mal schwanger und die Schwiegereltern hatten sich zum Sonntagskaffee angesagt. Also? Schwarzwälder Kirschtorte, natürlich selbst gebacken. Den skeptischen Blick meines Mannes ignorierte ich. „Backen macht Freude“ verhieß Dr. Oetker. Und dass es gar nicht schwer sei. Man nehme…

Es roch ganz gut, als ich die Form aus dem Backkasten holte. Aber dass sich aus diesem knusprigen, knapp zwei Zentimeter hohen Etwas keine drei lockeren Böden schneiden lassen würden, war unübersehbar. „Ist doch nicht schlimm“, tröstete mein Mann, dann würden wir eben wieder Teilchen aus der Bäckerei holen. Und
warum heulte ich mir trotzdem die Augen aus dem Kopf? Auch nach 25 Jahren habe ich das bittere Gefühl des Versagens noch lebhaft in Erinnerung. Ich war, durchaus vorhersehbar, gescheitert an der Schwarzwälder Kirschtorte. Schlimmer war: Das Bild in meinem Kopf von der perfekten kleinen Familie – mit mir trotz voller Berufstätigkeit als perfekter Hausfrau im Zentrum – hatte die erste kleine Schramme bekommen. Es sollte nicht die letzte sein.

Jahre später. Nicht nur mein Familienbild, auch meine Familie selbst war nicht ohne tiefe Schrammen durch die Zeit gekommen. Mein Mann und ich hatten uns eben getrennt – und wer wüsste nicht, dass das für die beteiligten Kinder immer eine extrem belastende Situation ist, selbst wenn die Erwachsenen sich redlich bemühen, das Wohl der Kinder nicht mit den je eigenen Interessen zu verwechseln. Es war wieder ein Samstag, das Leben hatte uns inzwischen in eine andere kleine Stadt geführt. Ich fuhr mit den Kindern zum Einkaufen. Mein zehnjähriger Sohn wich mir in dieser Zeit keinen Schritt von der Seite, meine etwas ältere Tochter wollte im Auto bleiben und Radio hören. Als ich zurückkam, strahlte sie mich an. „Mama, die haben die ganze Zeit über Patchwork-Familien gesprochen. Das sind wir doch jetzt auch, oder?“ Ja, mein Kind, das sind wir. Wie dankbar war ich damals und bin ich noch heute, dass der Wandel der Zeit auch einen Wandel allzu enger Familienbilder mit sich gebracht hat. Dass ich meinen Kindern nicht, wie noch die Mütter einige Jahrzehnte zuvor, sagen musste, dass sie in einer „kaputten“ und jedenfalls irgendwie nicht „richtigen“ Familie leben.

Doch auch wenn der Wandel hin zu einer Vielfalt von Familienformen offenkundig ist – die alten Bilder wirken noch. Gerade die Kirchen tun sich schwer, das vertraute „Vater, Mutter, verheiratet, zwei Kinder“ als Maß aller Familiendinge aufzugeben. Möge die Vielfalt der Beiträge Anregung sein, über die Bilder von Familie in unseren Köpfen neu nachzudenken – und dabei vielleicht auch die hilfreichen von den weniger hilfreichen zu trennen.

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