Alle Ausgaben / 2005 Frauen in Bewegung von Helga Bobey

Frauen-Menschenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES

Erde der Frauen

Von Helga Bobey


„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“ – wie großartig und lebenserhaltend diese Zusage Gottes ist, machen die Auslegungen der Jahreslosung in dieser Arbeitshilfe deutlich. Aber wie gewinnt eine solche Zusage heute Gestalt? Wie können Menschen sie im 21. Jahrhundert konkret erfahren? Und zwar so erfahren, dass die Botschaft glaubwürdig wird?


Hier kann wohl jede aus ihrem Erfahrungsschatz etwas nennen. Mir selbst kommen dabei die Organisation TERRE DES FEMMES. Menschenrechte für Frauen e.V. und ihre Aktivitäten in den Sinn. Persönlich habe ich TERRE DES FEMMES (TDF) kennen gelernt, als ich mich – angeregt durch das Buch von Waris Dirie – mit Genitalverstümmelung auseinandergesetzt habe. Die klaren und parteilichen Hintergrundinformationen von TDF halfen mir, einen eigenen Standpunkt zu finden und in Gruppen darüber informieren zu können. In den folgenden Jahren begegnete ich TERRE DES FEMMES immer dann wieder, wenn ich nach globalen Zusammenhängen für Ungerechtigkeiten und Gewalt gegenüber Frauen gefragt und nach Möglichkeiten für Geschlechtergerechtigkeit gesucht habe. Um mich auf dem Laufenden zu halten, schaue ich öfter unter www.frauenrechte.de ins Internet. Ohne TERRE DES FEMMES christlich vereinnahmen zu wollen, entdecke ich in ihrem Einsatz für Frauen etwas davon, wie Gottes Zusage: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“ im mitmenschlichen Zusammenleben erfahrbar werden kann. Aber sehen und entscheiden Sie selbst.

Wer ist TDF?

TERRE DES FEMMES wurde 1981 von einigen Frauen in Hamburg als gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen gegründet. Auslöser dafür war ein Artikel in der Zeitschrift „Brigitte“ über furchtbare Einzelschicksale von Frauen im Mittleren Osten, der auf einer Dokumentation mit dem Titel „princess mortes“ der Schweizer Menschenrechtsorganisation „Sentinelles“ („Die Wächter“) basierte. Bei einem Besuch dieser Organisation in Lausanne beschlossen die Hamburger Frauen, einen eigenen Verein zu gründen. TERRE DES FEMMES (Erde der Frauen) mit dem Untertitel „Menschenrechte für die Frau“ wurde 1981 ins Vereinsregister der Stadt Hamburg eingetragen und bekam die Gemeinnützigkeit zugesprochen. Bis 1990 arbeitete der Verein mit einem Vorstand und aktiven Städtegruppen vollständig ehrenamtlich, danach konnte eine Bundesgeschäftsstelle mit einigen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen eingerichtet werden.

Was will TDF?

TERRE DES FEMMES „macht sich stark für ein selbstbestimmtes und freies Leben von Frauen und Mädchen weltweit. Ziel ist ein partnerschaftliches und gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis.“ Laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 haben Frauen und Mädchen das Recht, selbstbestimmt, frei und in Würde zu leben. Dennoch werden überall auf der Welt Frauen durch patriarchale Strukturen benachteiligt und diskriminiert. TERRE DES FEMMES unterstützt durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfallhilfe, Förderung von Projekten und durch internationale Vernetzung unterdrückte Frauen und engagiert sich besonders zu Themen wie Vergewaltigung, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, Zwangsprostitution, Ehrenmorde, familiäre Gewalt in Deutschland, Ausbeutung von Textil arbeiterinnen und Frauenhandel.

Wie engagiert sich TDF?

Um möglichst effektiv zu arbeiten, vernetzt TERRE DES FEMMES sich mit anderen nationalen und internationalen Organisationen, ist z.B. Mitglied in der Kampagne für saubere Kleidung (CCC) und im Forum Menschenrechte.
In vielen Städten Deutschlands gibt es Städtegruppen (Adressen und Ansprechpartnerinnen im Internet unter www.frauenrechte.de / Der Verein). Die Mitglieder dieser Gruppen sind ehrenamtlich tätig. Sie informieren die Öffentlichkeit und gehen in Schulklassen, um über Ausbeutung, Misshandlung und Verfolgung von Frauen zu sprechen. Soweit es ihnen ihre Zeit erlaubt, sind diese Frauen gerne bereit, bei Großveranstaltungen anderer TrägerInnen mitzuwirken. Die Städtegruppen sind offen für interessierte und engagierte Frauen, die mitarbeiten möchten.

TERRE DES FEMMES lebt also durch seine Mitglieder, ihre Kompetenzen und ihre Einsatzfreude. Aktive Mitfrauen können – über die Städtegruppen hinaus – auch in überregional tätigen Arbeitsgruppen über einen längeren Zeitraum und zu einem speziellen Thema arbeiten. Derzeit gibt es die Arbeitsgruppen Migration, Genitalverstümmelung, Soziale Rechte, Frauenrechte in islamischen Gesellschaften, Fundraising. Sie erarbeiten die jeweilige Thematik, entwickeln Informationsmaterialien und stellen politische Forderungen auf. Über ihre Tätigkeiten und deren Ergebnisse berichten sie der Mitfrauenversammlung und veröffentlichen in der TDF-Zeitschrift „Menschenrechte für die Frau“.
Die Städte- und Arbeitsgruppen arbeiten eng mit der Bundesgeschäftsstelle in Tübingen zusammen, die als zentrale Kontaktstelle für Interessierte und Mitglieder dient. Sie stellt Material für Öffentlichkeitsarbeit wie Bücher, Plakate und Ausstellungen zur Verfügung. Für Schulen und Jugendhäuser werden Materialmappen entwickelt, mit deren Hilfe präventiv gearbeitet werden kann. Weil es TDF ein großes Anliegen ist, die Problematik der geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen an Frauen auch in den schulischen Unterricht zu integrieren, wird z.B. die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gesucht, um so die Lehrerinnen und Lehrer auf dem Wege der Aus- und Fortbildung anzusprechen.

Besonders engagiert TERRE DES FEMMES sich seit Jahren gegen weibliche Genitalverstümmelung. Innerhalb Deutschlands wird in Vorträgen, Artikeln, Buchveröffentlichungen, Kinospots, Fortbildungen für medizinisches Personal u.a.m. über die Problematik informiert. Für Migrantinnen wird spezielles Aufklärungsmaterial zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Projektarbeit werden afrikanische Frauen materiell und ideell unterstützt, die in ihren Heimatländern Burkina Faso, Tansania und Kenia gegen Verstümmelungen kämpfen. Weitere Projekte, die unterstützt werden, sind: Bildungsarbeit und einkommensschaffende Maßnahmen in Indien; eine Selbsthilfeorganisation für die Rechte und Selbstbestimmung beduinischer Frauen in der Negev-Wüste in Israel; Alphabetisierungs- und Handwerkskurse in Afghanistan; das einzige Frauenhaus in Algerien; Prävention gegen Frauenhandel in Minsk (Weißrussland). Frauen sollen vor Ort informiert, unterstützt und begleitet werden, damit sie ihr Leben eigenständiger gestalten können. Besonders für die Projektarbeit sind Spenden jederzeit willkommen.

Über diese Formen der Öffentlichkeits- und Projektarbeit hinaus initiiert TERRE DES FEMMES immer wieder Eilaktionen und Einzelfallhilfen für Frauen in konkreten Notsituationen. Im Verteiler für Eilaktionen hat TERRE DES FEMMES die Namen von 1400 Personen, die im Fall einer akuten Menschenrechtsverletzung an Frauen angeschrieben und gebeten werden, durch das Sammeln von Unterschriften oder das Verschicken vorge fass ter Briefe zu protestieren. Solche Unterschriftenaktionen unterstützten z.B. den öffentlichen Protest von TERRE DES FEMMES gegen die drohende Steinigung von Amina Lawal in Nigeria oder gegen die systematische Vergewaltigung von Frauen und Mädchen verschiedener ethnischer Minderheiten in Myanmar (Burma) oder gegen Zwangsheirat (auch hier in Deutschland). Das Engagement für Amina Lawal war erfolgreich, sie wurde freigesprochen. Meist aber ist es ein mühsamer, langer Weg der kleinen Schritte.

Zum festen Bestandteil der Lobbyarbeit von TERRE DES FEMMES gehören natürlich Gespräche mit VertreterInnen von Parlament und Regierung. Auf diese Weise können politisch Verantwortliche zielgerichtet informiert und für spezielle Themen sensibilisiert werden. Dass in Deutschland die Zwangsheirat mittlerweile als Problem erkannt und anerkannt wird und Fachtagungen zum Thema angeboten werden, ist ein Erfolg für TERRE DES FEMMES. Dennoch muss immer wieder auf die Umsetzung sozialer und rechtlicher Maßnahmen gedrängt werden.

Der Hauptaktionstag für TERRE DES FEMMES ist – neben dem Internationalen Frauentag am 8. März – der 25. November, der seit 1999 als internationaler Gedenktag gegen Gewalt an Frauen von den Vereinten Nationen anerkannt ist. Übrigens unterstützen die Ev. Frauenhilfe in Deutschland EFHiD und die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands kfd seit vielen Jahren durch gemeinsame Presseerklärungen die jährlichen TDF-Aktionen zum 25. November und rufen dabei auch ihre eigenen Mitglieder zum Engagement auf.

Jeweils am 25. November startet TDF seine Jahreskampagnen, mit deren Hilfe auf spezifische Probleme aufmerksam gemacht wird. Um dem Dilemma zu entkommen, dass eine Kampagne schon wieder vorbei ist, wenn die Informationen gerade erst die Öffentlichkeit erreicht haben, begann TDF am 25. November 2004 erstmals eine zweijährige Kampagne gegen „Verbrechen im Namen der Ehre“. Ein Flyer erläutert dazu: „Laut UN-Bericht werden Mädchen und Frauen in mindestens 14 Ländern im Namen der Ehre unterdrückt, misshandelt, gesteinigt und kaltblütig ermordet. Die Täter, meist nahe männliche Verwandte, gehen häufig straffrei aus. Auch in Deutschland geschehen Ehrverbrechen innerhalb von Migrantenfamilien. TERRE DES FEMMES ist überzeugt, dass den betroffenen Frauen geholfen werden kann: Wichtig ist zunächst einmal die öffentliche Aufmerksamkeit und das Wissen um die Zusammenhänge, damit durch ein rechtzeitiges Eingreifen Schlimmeres verhindert werden kann.“ Konkret fordert TDF daher sowohl Beratungs- und Zufluchtstätten mit interkultureller Ausrichtung für die Betroffenen als auch eine angemessene Bestrafung der Täter, die Verbrechen im Namen der Ehre begangen haben.

Einen ausgesprochen Treffer in Sachen Öffentlichkeitsarbeit landete TERRE DES FEMMES, als die Organisationen 2001 für Deutschland die „Fahnenaktion“ übernahm, die Teil einer weltweiten Aktion des amerikanischen Center for Women's Global Leadership ist. Die großen blauen, weithin sichtbaren Fahnen rufen auf zu 16 Aktionstagen gegen geschlechtsspezifische Gewalt zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember, dem „Tag der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen. Mit der „frei leben“-Fahne wird so an vielen Orten der Frauen gedacht, die der Gewalt zum Opfer fielen, und ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen gesetzt. Angestrebt – und in vielen Städten auch bereits erreicht – ist eine möglichst breite Aktionsplattform, auf der Frauenbeauftragte, Mitglieder aus Frauenverbänden, politische MandatsträgerInnen und andere „Flagge zeigen“ gegen Gewalt an Frauen. Schon seit einigen Jahren weht diese blaue Fahne auch vom Balkon unserer Dienststelle in Potsdam. Weithin ist auf ihr zu lesen: „frei leben“, „ohne gewalt“, „Nein zu Gewalt an Frauen“. Eine kraftvolle Frauengestalt ist in der Mitte zu sehen, mit den Füßen fest auf der Erde stehend, die weit ausgebreiteten Arme und das Gesicht nach oben gerichtet. Ebensolche Fahnen wehen vor unserem Rathaus und am Konsistorium der EKBO in Berlin sowie vor vielen anderen öffentlichen Gebäuden im Land Brandenburg. Alle bekunden sie ihre Solidarität mit den Betroffenen und ihren Einsatz gegen Gewalt an Frauen.


Helga Bobey ist Gemeindepädagogin und arbeitet seit 1994 als Referentin bei der Ev. Frauen- und Familienarbeit Berlin-Brandenburg mit den Schwerpunkten Frauenbildung, Fortbildung Ehrenamtlicher und Weltgebetstag. Sie ist Mitglied in der Arbeitsgruppe ahzw.

Kontakt:
TERRE DES FEMMES e.V.
Postfach 2565
72015 Tübingen
Tel.: 07071 / 79 73-0
Fax: 07071 / 7973-22
Email: tdf@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de oder www.terre-des-femmes.de

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