Perspektiven für die Aufwertung der Arbeit von Frauen
Ich träume davon, dass sich die -Frauen mit niedrigen Entgelten und teilweise viel Verantwortung für -Menschen verbünden. Und dass sie lautstark eine höhere Bewertung ihrer Arbeit fordern.
Vielleicht könnten sie es auch so machen wie die Frauen in der griechischen Geschichte von Lysistrata, die sich ihren Männern solange verweigerten, bis diese den Krieg beendeten. Einen Tag lang die komplette Verweigerung aller Dienstleistungen in Handel, Gesundheitssektor, Hotel- und Gaststättengewerbe, Reinigung – das würde einiges in Bewegung bringen! Aber der Reihe nach…
„Frauen verdienen mehr!“ Doch in welchen Branchen und Berufen müssten denn Frauen mehr verdienen? Wie die Tabelle zeigt, wählen noch immer viele Frauen niedriger bewertete Ausbildungsberufe mit einem niedrigen Lohnniveau. Lange galt Deutschland als Land mit geringer Einkommensungleichheit. Aber seit Mitte der 90er Jahre wächst der Anteil der Beschäftigten mit niedrigen Löhnen. Die Abbildung Seite 58 zeigt beispielhaft ausgewählte Tarifvergütungen unter der Armutsgrenze. Betroffen sind vor allem typische Frauentätigkeiten im Dienstleistungssektor.
Bereits jetzt arbeiten 2,7 Mio. Vollzeitbeschäftigte zu Armutslöhnen. Der Niedriglohnanteil (weniger als 2/3 des Durchschnitts) liegt bei 22 Prozent. Dabei sind Frauen mit 67 Prozent stark überproportional vertreten. Ebenso bei Teilzeitarbeit und Minijobs, die immer mehr zunehmen, etwa im Einzelhandel. Bei den gegenwärtig 6,7 Millionen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, übrigens auch dort zwei Drittel Frauen, sind Niedriglöhne – unabhängig vom Qualifikationsniveau – sogar die Regel.
Dass ein Minijob nicht existenzsichernd sein kann, leuchtet unmittelbar ein. Vergleicht man jedoch die Vollzeiterwerbstätigen miteinander, verdienen Frauen in Deutschland immer noch 22 Prozent weniger als Männer. Im EU-Durchschnitt beträgt die Differenz, der sogenannte gender-pay-gap, nur 15 Prozent. Woran liegt das? In Deutschland galt der Verdienst der Frauen lange als „Zuverdienst“, denn ihr Lebensmittelpunkt war Haus und Familie. Deshalb musste ihr Gehalt auch nicht so hoch sein, so die weit verbreitete Meinung.
Aber es geht um mehr. Dazu ein kleines, aber aufschlussreiches Experiment, schwedischer Wissenschaftlerinnen: Sie ließen den Wert von verschiedenen Gemälden schätzen, vorher aber informierten sie darüber, wer es angeblich gemalt hatte. Ergebnis: Die angeblich von Männern erstellten Gemälde wurden von Männern doppelt so hoch bewertet als die von Frauen. Die Frauen bewerteten die – angeblich – von Männern erstellten Gemälde immerhin noch 25 Prozent höher als die von Frauen. Das lässt tief blicken, wenn es um die Bewertung von typisch männlicher bzw. typisch weiblicher Arbeit geht.
Um die systematische Abwertung von Frauenarbeit zu überwinden, wurde schon 1975 im EU-Recht der Grundsatz verankert, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden muss. Um den Grundsatz „gleiches Geld für gleichwertige Arbeit“ musste viel länger gestritten werden. Nun ist er aber auch EU-Recht (Artikel 141, EG-Vertrag) und übernommen in das deutsche Recht (BGB §612 Absatz 3). Doch was heißt das konkret? 1994 spürte Regine Winter in ihrem Buch „Frauen verdienen mehr“ zusammen mit anderen Diskriminierungstatbestände im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auf.
Konkrete Ergebnisse waren unter anderem:
– Die Unterscheidung zwischen Beamten, Angestellten und ArbeiterInnen wirkte sich nachteilig für Frauen aus, weil sie sehr viel seltener in den Genuss z.B. der Beamtenprivilegien kamen. Der aktuell gültige TVÖD (Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes) hebt zumindest die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten auf, es gibt nur noch Entgeltgruppen. Die Folgen sind nicht zu unterschätzen. Un-längst klagten Frauen in der Harburger Süderelbe Logistik GmbH unter Berufung auf das neue, allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Sie verrichteten die gleichen Tätigkeiten wie ihre männlichen Kollegen (Lager-, Kommissionierungs- und Verpackungsarbeiten), bekamen dafür aber 270 bis 335 Euro weniger im Monat, weil sie nach dem Gehalts-TV für kaufmännische Beschäftigte entlohnt wurden, die männlichen Kollegen aber nach dem deutlich lukrativeren Lohn-TV für gewerbliche Beschäftigte.
– Es gibt im Tarifrecht eine empfindliche Lohndifferenz zwischen den Reinigungskräften: Die Fassadenreiniger, fast nur Männer, verdienen einiges mehr als die Reinigungskräfte für innen, fast ausschließlich Frauen.
– Das Maß an Verantwortung für Menschen und psychosoziale und emotionale Belastungsfaktoren spielen als Kriterien für die Eingruppierung in Erziehungs- und Pflegeberufen keine Rolle, werden aber fortlaufend abgefragt. Auch körperliche Belastungen wie in Pflege und Küche finden keine Berücksichtigung. In den typischen Männerdomänen tauchen sie aber als Kriterium in der Regel auf und wirken sich lohnsteigernd aus.
Schon in den 80er-Jahren gab es die Idee, den Frauen mit Hilfe einer Kampagne „Frauen in Männerberufe“ auf die Sprünge zu helfen. Doch zum einen wollen viele Frauen aus vielfältigen Gründen nicht in gewerblich-technische Berufe, und zum andern zeigt die Erfahrung, dass Berufe schnell an Ansehen verlieren, wenn Frauen dort tätig werden. Ein historisches Beispiel dafür liefert der Beruf der Sekretärin – früher ein sehr angesehener Beruf für Männer. Nach Einführung der Schreibmaschine ist Sekretariatsarbeit heute eine eher schlecht bezahlte, typisch weibliche Dienstleistung. Das schwedische Gemäldeexperiment erklärt, warum: Die Arbeit von Frauen wird eben in unserer Gesellschaft grundsätzlich geringer bewertet als die von Männern. So schlicht und einfach ist das.
Hinzu kommt, dass Frauen ihre Berufstätigkeit wegen der Familienarbeit reduzieren oder unterbrechen. Männer tun das in der Regel nicht. Teilzeit bietet aber weniger Aufstiegschancen. Und Unterbrechungen leisten einer schleichenden Dequalifizierung Vorschub. Nicht von ungefähr sind die Topmanager der Dax-Unternehmen ohne Ausnahme männlichen Geschlechts.
Eine aktuelle Studie von Bärbel Könekamp hat nachgewiesen, dass Männer mit traditioneller Familienkonstellation – er Alleinverdiener, sie Hausfrau – die besten Karrierechancen haben. Frauen in der gleichen Situation haben sehr viel schlechtere Chancen, weil man davon ausgeht, dass ihnen niemand den Rücken freihält, sie also nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen, wenn die Kinder krank sind oder auch einfach Zeit beanspruchen. Aufgrund der anderen Organisation des Privatlebens schreibt man Frauen weniger Belastbarkeit und Souveränität zu. Denn sie leben nicht wie viele Männer in traditionellen Paarkonstellationen, sondern in sogenannten Doppelkarriere-Partnerschaften.(1) Ganz allmählich erst setzt sich das Bewusstsein in den Unternehmen durch, dass Familienfreundlichkeit ein Standortvorteil sein könnte. Im unteren Lohnsegment ist jedoch von dieser „Familie-hat-Vorfahrt-Stimmung“ noch wenig zu spüren. Es stehen noch immer zu viele Erwerbslose vor der Tür, die alle Bedingungen akzeptieren. Akzeptieren müssen mangels Alternative. Die Folgen davon sind Frauen- und Kinderarmut, insbesondere bei Alleinerziehenden.
Andererseits hat eine Befragung von sogenannten working poor,(2) an der der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) beteiligt war, ergeben, dass die Frauen im Niedriglohnsektor zwar unter ihrer chronischen Geldknappheit leiden und sich als „müde, frustriert und gefangen in den Zwängen ihres Lebens“ beschreiben. Zugleich zeigen sie aber eine enorme Motivation, mit der sie zur Arbeit gehen und sich um alles Wichtige kümmern. Sie tun es, um ihren Kindern ein Vorbild zu sein, um den Kontakt zur „Außenwelt“ nicht zu verlieren. Sie tun es, um weiterhin einen Anlass zu haben, in den Spiegel zu schauen, sich zu pflegen und nicht aufzugeben. Mit riesiger Kraftanstrengung bewältigen sie ihr Leben und versorgen ihre Kinder. Zugleich machen sie sich im Stillen selbst Vorwürfe: „Bin ich schuld daran, dass ich von meiner Arbeit kaum leben kann? Was habe ich falsch gemacht?“ Den Kindern begreiflich zu machen, dass es sich lohnt, eine Ausbildung zu absolvieren, ist vor diesem Hintergrund nicht leicht.
Perspektiven
Immer mehr Frauen wehren sich gegen den ihnen zugewiesenen Platz in den hinteren Reihen. So hat eine Putzfrau schon vor ca. 15 Jahren vor dem europäischen Gerichtshof erfolgreich für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für geringfügig Beschäftigte gestritten. Die Frauen in den Tarifkommissionen, leider immer noch viel zu wenige, streiten für mehr tarifliche Lohngerechtigkeit. In dem empfehlenswerten Spielfilm „Bread and roses“ wird gezeigt, wie sich amerikanische Putzfrauen erfolgreich gegen Lohnungerechtigkeiten wehren.
Und doch hat diese „Medaille“ auch eine zweite, positive Seite: Frauen sind tendenziell näher am Leben, weil sie die Kinder austragen und überwiegend erziehen. Sie nehmen die Subsistenz-Perspektive ein: Ihre Konzeption von Wirtschaften stellt das Leben, das Lebensnotwendige ins Zentrum, nicht das ständige Wachstum von Waren- und Geldproduktion. Vielleicht bewahrt das so manche davor, sich vom „immer schneller, immer höher, immer weiter“ gefangen nehmen zu lassen. Frauen werden älter, gehen besser mit ihrem Körper um, halten besser Balance zwischen Arbeit und Leben. Kinder relativieren die Bedeutung beruflicher Erfolge, aber auch der Misserfolge, weil sie andere Horizonte eröffnen. Andererseits verhindert die Berufstätigkeit, dass die Mütter vom Alltag mit Kindern zermürbt werden und irgendwann immer mehr vergessen, was ihre eigenen Bedürfnisse sind. So weisen denn auch mehrere Studien nach, dass erwerbstätige Mütter insgesamt gesünder sind als nicht erwerbstätige Mütter.
Erich Fromm sagt in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht durch die Frage: „Was ist gut für den Menschen?“ bestimmt wurde, sondern durch die Frage: „Was ist gut für das Wachstum des Systems?“(3) Das hat gravierende Auswirkungen für die Grundwerte der Gesellschaft, wie die aktuelle Finanzkrise zeigt. Erich Fromm dazu: „Wenn HABEN mein Ziel ist, bin ich um so mehr, je mehr ich habe; dass ich allen anderen gegenüber feindselig bin – meinen Kunden gegenüber, die ich betrügen, meinen Konkurrenten, die ich ruinieren, meinen Arbeitern, die ich ausbeuten möchte. Ich kann nie zufrieden sein, denn meine Wünsche sind endlos. Ich muss jene beneiden, die mehr haben als ich, und mich vor jenen fürchten, die weniger haben.“(4) Das SEIN hingegen definiert Fromm als „Aktivität, nicht im Sinne von Geschäftigkeit, sondern im Sinne eines inneren Tätigseins, des produktiven Gebrauchs der menschlichen Kräfte. Tätigsein heißt, seinen Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher Gaben Ausdruck zu verleihen, mit denen jede/r – wenn auch in verschiedenem Maß – ausgestattet ist“.(5) Ganz früher einmal, wie in der Bibel und bei Spinoza, bedeutete das Wort „Profit“ übrigens „Gewinn für die Seele“.
Was tun?
Der Weg zu diesem Ziel, nämlich ein Auskommen für Leib und Seele zu erwirtschaften, ist weit und hindernisreich. Und ihn zu wählen bedeutet gegen den Strom zu schwimmen. Ein gerechter Lohn muss vor diesem Hintergrund mindestens zwei Kriterien erfüllen: Erstens muss jeder Mensch von seiner Arbeit leben können. Und zweitens müssen Gehälter nach ethischen Maßstäben auch nach oben hin begrenzt werden. Damit befänden wir uns in guter Gesellschaft mit keinem Geringeren als Ludwig Erhard, der den Wahlspruch „Wohlstand für alle“ prägte.
Konkret hieße das zum Beispiel die Einführung eines Mindestlohns in einer Höhe, die ein Leben oberhalb des Existenzminimums ermöglicht. Eine große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Er käme vor allem Frauen zugute, die von Armutslöhnen überproportional betroffen sind.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat im letzten Jahr eine neue Kampagne gestartet: „Soziale Arbeit ist mehr wert“. Diese Kampagne ist äußerst wichtig und sinnvoll, denn die Qualität der Arbeit mit und an Menschen ist zentral für die Zukunft einer menschenwürdigen Gesellschaft, in der alle Kinder Entwicklungschancen haben und in der Alte und Kranke in Würde leben und sterben können. Qualität gibt es aber nicht zum Nulltarif. Gott sei Dank ist für Frauen Geld nicht alles, sonst ginge es den Hilfebedürftigen in unserem reichen Lande noch viel schlechter. Die viel beklagten Pflegemängel wären noch viel gravierender, würden nicht Millionen von Frauen oft bis zur Erschöpfung und darüber hinaus pflegen, betreuen, putzen, dienen. Es wird höchste Zeit, dass diese Arbeit aufgewertet wird! Die ver.di-Kampagne verdient daher unbedingt unsere Unterstützung.
Der Internationale Frauentag am 8. März 2008 stand von Seiten der DGB-Frauen unter dem Motto: „Ich bin mehr wert“. Am 20. März 2009 wird in Deutschland zum zweiten Mal der „equal pay day“ stattfinden. Es wäre wünschenswert, dass an diesem Tag an vielen Orten auch Kirchenfrauen Aktivitäten entwickeln. Insbesondere die personennahe Dienstleistungs-Arbeit, vor allem von Frauen, ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Von einer Aufwertung dieser Arbeit würden nicht nur die betroffenen Beschäftigten profitieren, sondern die ganze Gesellschaft.
1 Vorstellungsrunde mit zwei Fragen:
(a) Was wollte ich einmal werden und welchen Beruf übe ich tatsächlich aus?
(b) Welche Erfahrungen habe ich mit geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung bzw. Abwertung von typisch weiblicher Arbeit?
2 Informationen zum Thema / Referat anhand des Beitrages oben
3 Diskussion über die Handlungsmöglichkeiten vor Ort und gesamtgesellschaftlich; evtl. konkrete Verabredungen dazu treffen
4 Zum Abschluss das Lied „Brot und Rosen“ (siehe S. 49) gemeinsam singen
Gerda Egbers, Jg. 1959, ist Lehrerin und seit 22 Jahren Referentin im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Hannover mit den Schwerpunkten „Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt“ und „Sozialpolitik“. Sie ist Mutter von zwei Kindern.
Anmerkungen:
1 Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien 4/2006, S. 52
2 Claudia Schulz, Ausgegrenzt und abgefunden? Innenansichten der Armut, Berlin 2007
3 Erich Fromm, Haben oder Sein, S. 20
4 ebd., S. 19
5 ebd., S. 110
Zum Weiterlesen:
Gerhard Bosch, Claudia Weinkopf (Hrsg.): Arbeiten für wenig Geld. Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland. Frankfurt (Campus Verlag) 2007
Claudia Schulz: Ausgegrenzt und abgefunden? Innenansichten der Armut. Eine empirische Studie. Protestantische Impulse für Gesellschaft und Kirche, Band 6, Berlin: LIT Verlag, 2007. 190 S. – ISBN 978-3-8258-0940-9 – 19,90 Ä. Auszüge aus der Studie sind einzusehen unter: http://www.ekd.de/swi/54412.html
Internet: www.equalpayday.de; www.dgb-frauen.de
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024
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