Ausgabe 2 / 2005 Material von Antje Schrupp

Frauenbewegung

Von Antje Schrupp


Die Bedeutung der Frauenbewegung und das, was wir diesen Pionierinnen weiblicher Freiheit zu verdanken haben, liegt nicht in erster Linie darin, dass sie für die Frauen institutionelle Macht und Einfluss erkämpft, sie in die gesellschaftlichen Hierarchien, die Politik, das Sozialsystem, die Kirchen und Universitäten eingebunden hat. Auch wenn diese Erfolge erfreulich und gut sind: gleiche Rechte für Frauen, besserer Zugang zu Berufstätigkeit, bessere Rahmenbedingungen für die Kindererziehung, ja, selbst das gender mainstreaming, so problematisch es im Einzelfall sein mag – all das war vor der Frauenbewegung gar nicht möglich. Es ist unbestreitbar gut, dass sich so vieles verändert hat. Aber diese politischen Erfolge sind nicht das eigentlich Bedeutsame an der Frauenbewegung gewesen.
Die Frauenbewegung war kein Zusammenschluss von Unterdrückten. Sondern sie war eine Bewegung von freien Frauen, von starken Frauen, von entschlossenen Frauen.
Frauen, die ihre weibliche Freiheit entdeckt hatten und die diese Freiheit in die Welt trugen. Und damit die Welt veränderten. Sie hatten nicht etwa einen Mangel entdeckt – den Mangel an Geld, an Karrieremöglichkeiten, an Ämtern und Einfluss der Frauen. Sie hatten vielmehr eine Fülle entdeckt: nämlich die Fülle des weiblichen Begehrens. Sie hatten entdeckt, dass die Welt eine andere (und meistens bessere) wird, wenn Frauen nicht mehr die Rollen akzeptieren, die das Patriarchat ihnen vorschreibt. Wenn sie sich untereinander austauschen, um zu erkunden, was sie selbst eigentlich wollen. Dieser Austausch, die Stärke der Beziehungen untereinander, macht es jeder einzelnen von ihnen möglich, ihr eigenes, persönliches Begehren aufzuspüren und entsprechend zu handeln. Weil sie ihrer selbst sicher ist, weil sie erfahren hat, dass eine Frau sein und frei sein sich nicht ausschließt.

Das weibliche Begehren in der Welt

Was ist das weibliche Begehren? Es ist das Begehren, als Frau, als weibliches Subjekt in der Welt anwesend zu sein. Sagen zu können: „Ich bin eine Frau, und ich tue dies oder das.“ Es ist das Begehren, sich nicht länger entweder einem Bild von Weiblichkeit anpassen zu müssen, das andere entworfen haben, oder aber die eigene Weiblichkeit verleugnen zu müssen, also gewissermaßen sich „wie ein Mann“ zu verhalten – wie das so viele Frauen in vergangenen Jahrhunderten mussten, wenn sie aus den vorgegebenen Bahnen ausbrachen.
Aber nun, dank der Frauenbewegung, ist das weibliche Begehren frei. Jetzt gibt es diese Möglichkeit, zu sagen: „Ich bin eine Frau, ich akzeptiere diese Tatsache, und kann nicht trotzdem, sondern gerade deshalb frei in dieser Welt handeln.“
Was da konkret bedeutet, ist für jede Frau etwas anderes.
Ihre Wünsche, Interessen, Hoffnungen, Absichten sind nicht festgelegt durch ihr weibliches Geschlecht, jede Frau kann sie in Freiheit herausfinden und verfolgen. Diese Erkenntnis, dieses weibliche Selbstbewusstsein hat die Frauenbewegung gebracht. Ans Licht gebracht. Diese Freiheit kann uns niemand mehr wegnehmen. Nur wir selbst.
 
aus: Zukunft der Frauenbewegung © Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2004

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