Wenn Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche das Wort „Frauenkirche“ hören, fragen sie irritiert: Eine Kirche nur für Frauen? Wollen denn die Frauen die Kirche verlassen und eine neue Kirche aufmachen? Und wo bleiben die Männer und die Kinder?
Für nicht wenige Frauen in der Kirche hat das Wort Frauenkirche aber eine große Faszination. Sie erleben ihre Kirche häufig als „Männerkirche“ und fühlen sich darin nicht mehr zu Hause. Sie sehnen sich nach einer Gemeinschaft und einer Spiritualität, die ihnen als Frauen entspricht. Sie möchten, dass die Impulse der kirchlichen Frauenbewegung und der feministischen Theologie endlich anerkannt und umgesetzt werden.
Einige Frauen haben versucht, im Protest gegen die kirchliche Wirklichkeit eine eigene Frauenkirche zu etablieren, aber von ihnen hört man heute zumindest in Deutschland nichts mehr. Für die meisten engagierten Frauen steht das Wort Frauenkirche für eine durch Frauen veränderte Kirche. Sie ist ein Raum innerhalb oder am Rande der Kirche, den Frauen gestalten und der auf die ganze Kirche ausstrahlt, eine Bewegung, an deren Ende eine neue Kirche für Frauen, Kinder und Männer steht.
Der Begriff der Frauenkirche ist 1981 in den USA auf einem Kongress mit dem Titel „Women Moving Church“ (Frauen bewegen Kirche) geprägt worden. Es waren römisch-katholische Ordensfrauen und Theologinnen, die auf diesem Kongress über frauengemäße liturgische Formen auf der Basis einer neuen, von Frauen entwickelten Theologie diskutierten. Enttäuscht und wütend über den Ausschluss der Frauen aus dem Priesteramt ging es ihnen vor allem um ein anderes Amtsverständnis und neue nicht-patriarchale kirchliche Strukturen. Im Anschluss an diese Konferenz bildeten sich an vielen Orten in den USA Zusammenschlüsse, die versuchten, selber „Kirche“ zu sein und gleichzeitig für eine veränderte Kirche einzutreten. Auf mehreren Folgekonferenzen wurde der Begriff „Frauenkirche“ als Leitbild in den Mittelpunkt gestellt. 1987 trafen sich 3000 Frauen in Cincinnati aus inzwischen 26 regionalen und überregionalen Organisationen und 150 Basisgruppen zu einer öffentlichen Proklamation der Frauenkirche.
Begriff und Leitbild der Frauenkirche sind vor allem von den katholischen Theologinnen Elisabeth Schüssler Fiorenza und Rosemary Radford Ruether entwickelt worden.
Elisabeth Schüssler Fiorenza stellt ihre Überlegungen unter den griechischen Begriff für Kirche, wie er auch im Neuen Testament verwendet wird, und spricht von der „Ekklesia der Frauen“. Grundlegend ist für sie der Gedanke des Volkes Gottes. Kirche ist nicht eine Institution, sondern eine Gruppe von Menschen, die sich zusammenfinden, um über ihre geistlichen und politischen Anliegen zu bestimmen und sich gemeinsam im Befreiungskampf zu engagieren. Die Ekklesia der Frauen vollzieht sich in der kirchlichen Frauenbewegung, im Engagement gegen Unterdrückung, im Widerstand, im kraftspendenden Gottesdienst. Schüssler Fiorenza ist nicht an der Frage interessiert, wie die Ekklesia der Frauen konkrete Gestalt gewinnt und wie das Verhältnis zu der Institution Kirche zu bestimmen ist. Ekklesia der Frauen ist für sie ein Ereignis, eine Bewegung, ein in der biblischen Tradition begründetes „Modell“ für Kirche, eine „Vision“.
Rosemary Radford Ruether entwickelt das Konzept der Frauenkirche konkreter im Sinne von feministischen Basisgemeinden vor Ort. In vielen nicht-katholischen Kirchen, in denen die Gemeinden eine gewisse Unabhängigkeit haben, können Pfarrerinnen oder Teams aus Männern und Frauen versuchen, eine befreite und befreiende Gemeinschaft zu werden. Wo Christinnen diese Möglichkeit aber nicht haben, müssen sie sich zu autonomen feministischen Gruppen zusammenfinden und selber „Kirche“ sein. Solche Gemeinschaften müssen nicht alle Funktionen von Kirche wahrnehmen, sie können sich zu theologischen Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen oder zu Liturgiegruppen oder auch zu umfassenden Lebensgemeinschaften, die Gottesdienst, Arbeit und Alltag miteinander teilen. Mitgliedschaft in einer feministischen Basisgemeinde bedeutet nicht notwendig die Ablehnung der Kirche oder den endgültigen Auszug aus ihr. Menschen, die ihren spirituellen Rückhalt in der Basisgemeinschaft finden, können weiterhin am Leben der institutionellen Kirche teilnehmen. In ihrem Buch „Unsere Wunden heilen. Unsere Befreiung feiern“ beschreibt sie die Frauenkirche vor allem als eine liturgische Gemeinschaft und stellt Liturgien und Rituale der Frauenkirche vor.
Diese Anstöße wurden in der Bundesrepublik in den feministisch-theologischen Netzwerken und Werkstätten aufgenommen, die in den 80er Jahren entstanden. Eine wichtige Rolle spielten Frauenliturgiegruppen und Frauengottesdienste, in denen sich an vielen Orten Frauen regelmäßig trafen, aber auch ökumenisch vernetzte Frauengruppen im konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Eine weitere Gestalt der Frauenkirche war die deutsche Frauensynode, die 1994 in Gelnhausen stattfand. Auf ihr wurden – im Sinne der „Ekklesia der Frauen“ – theologische Fragen diskutiert und gemeinsame Forderungen an die Kirchen formuliert. Solche eigenständigen Frauenaktivitäten sind in der römisch-katholischen Kirche stärker auf die Frauenverbände und die Hochschulen beschränkt. In den evangelischen Kirchen sorgen engagierte Pfarrerinnen dafür, dass sie auch in den Gemeinden stattfinden konnten.
In den 90er Jahren erlahmte der Schwung der Frauenkirche-Bewegung, die Netzwerke fielen auseinander, eine zweite deutsche Frauensynode kam nicht zustande. Es gab wohl noch feministisch-theologische Werkstätten, die Liturgiegruppen wuchsen. Aber eine überregionaler Vernetzung, ein gemeinsamer Kristallisationspunkt konnte nicht verwirklicht werden. Das liegt auch daran, dass die feministisch-theologische Bewegung sich verbreitert und ausdifferenziert hat. Universitäre feministische Theologie, Frauengleichstellungsarbeit, Lesbenbewegung, feministisch-theologische Tagungen und Buchprojekte haben ihre eigenen Strukturen entwickelt und binden Energien.
Evangelische Frauenverbandsarbeit sollte sich selbstkritisch fragen, warum sich die Frauenkirche-Bewegung weitgehend außerhalb der evangelischen Frauenarbeit entwickelt hat, und warum engagierte Frauen oft wenig Lust haben, ihre Bedürfnisse nach Spiritualität, nach Mitgestaltung und Mitsprache und nach ökumenischen Kontakten innerhalb der Strukturen evangelischer Frauenarbeit zu verwirklichen. Sie sollte die Sehnsucht, die sich in dem Leitbild der Frauenkirche ausspricht, positiv aufnehmen. Evangelische Frauenarbeit ist selber ein Raum innerhalb der Kirche, der von Frauen und für Frauen gestaltet wird. Die Frauenverbände verwirklichen den Satz „Wir Frauen sind Kirche“ in der Art, wie Frauen miteinander umgehen, zusammen Gottesdienst feiern und sich im Namen Gottes engagieren. Das zeigt auch der Weltgebetstag, der sich als punktuelle Verwirklichung einer weltweiten Frauenkirche verstehen lässt, weil er das selbstbestimmte liturgische Handeln, das gemeinsame solidarische Engagement und die ökumenische Weite miteinander verbindet, die in dem Leitbild der Frauenkirche enthalten sind.
Evangelische Frauenarbeit hat eine große Freiheit, den Raum, den sie innerhalb der Institution Kirche hat, so zu gestalten, wie sie Kirche für Frauen darstellen, erfahrbar machen und verändern will. Die Frauenwerke und -arbeiten könnten versuchen, die liturgisch und spirituell engagierten Gruppen in ihrem Bereich zu unterstützen. Ökumenische Kontakte könnten so gestaltet werden, dass sie nicht immer von den gleichen Frauen wahrgenommen werden. Evangelische Frauenarbeit könnte sich in ihrem Bereich um die Vernetzung der Liturgie- und Aktionsgruppen, die Förderung der feministischen Theologie, die öffentlichen Darstellung der feministischen Bewegung in der Kirche und die Koordinierung von kirchenpolitischen Aktivitäten kümmern. Diese Aufgaben sind nicht neu in der evangelischen Frauenarbeit. Durch die Aussage „Wir Frauen sind Kirche“ erhalten sie aber eine neue Verbindlichkeit.
Dr. Hildburg Wegener war von 1984 bis 2003 theologische Referentin bei der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland e.V.
Zum Weiterlesen
Elisabeth Schüssler Fiorenza, Auf dem Weg zu einer biblisch-feministischen Spiritualität: Die Ekklesia der Frauen, in: Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München / Mainz 1988, S. 408 – 417
Rosemary Radford Ruether, Unsere Wunden heilen, unsere Befreiung feiern: Rituale in der Frauenkirche, Stuttgart 1988
Jutta Flatters, Zur Frauenkirchenbewegung in den USA, Schlangenbrut 28 / 1990, S. 20 – 27
Eva Renate Schmidt, Frauenkirche in der feministischen Diskussion, in: Feministisch gelesen Band 2, hg. Eva Renate Schmidt, Mieke Korenhof und Renate Jost, Stuttgart 1990, S. 10 – 14
Ulrike Bechmann, „Unser Volk speisen, heilen und befreien“ – Reflexionen zum Weltgebetstag der Frauen, in: Feministische Theologie im europäischen Kontext, Jahrbuch der Europäischen Gesellschaft für die Theologische Forschung von Frauen, Band 1, hg. von Annette Esser und Luise Schottroff, Kampen / Mainz 1993, S. 111 – 127
Reinhild Traitler, Frauenkirche – Gemeinschaft der Befreiung aus dem Patriarchat. Überlegungen zu Ritualen in der Frauenkirche, EvTheol 58, 1/1998, S. 25 – 42
Andrea Eickmeier, FrauenKirche, Unsere verschütteten Traditionen reklamieren, in: Frauen gestalten Kirche. Solidarität ist unsere Zukunft, Ökumenischer Frauenkongreß, hg. von Dorothee Moser und Barbara Schwarz-Sterra, Stuttgart 1998, S. 59 – 68
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