Ausgabe 1 / 2016 Artikel von Cornelia Marschall

Frauenland

Schlüssel für Gleichberechtigung und Entwicklung

Von Cornelia Marschall

Fast die Hälfte aller Menschen, die Landwirtschaft betreiben, sind Frauen. Dabei gibt es regional erhebliche Unterschiede; sind es in Lateinamerika 21 und in Asien 40 Prozent, so beträgt der Frauenanteil in Afrika teilweise über 65 Prozent.

In manchen Ländern wie Nepal und Ruanda sind über 95 Prozent der erwerbstätigen Frauen in der Landwirtschaft beschäftigt; zum Vergleich: in Deutschland sind es gerade mal 1,3 Prozent. Weltweit annähernd gleich sind die Arbeitsbedingungen. Frauen sind überwiegend unbezahlte Arbeitskräfte im bäuerlichen Familienbetrieb oder saisonal beschäftigte Landarbeiterinnen bei Großgrundbesitzern, mit niedrigeren Löhnen als Männer.1 Obwohl Frauen bis zu 80 Prozent der weltweit verfügbaren Nahrungsmittel produzieren, sind gerade sie es, die hungern: Acht von zehn Hungernden weltweit leben auf dem Land, davon sind zwei Drittel Frauen und Mädchen.2 Ganz weit hinten stehen Frauen aber in Eigentumsfragen; weniger als 20 Prozent der Besitztitel weltweit sind auf Frauen ausgestellt. Dabei ist ihr Besitz selten größer als fünf Hektar; oft sind das keine fruchtbaren Böden, deren Ertrag das Überleben sichern würde.3

Zugangs- und Nutzungsrechte

Offensichtlich sind Frauen wichtig für die Landwirtschaft, und Landwirtschaft ist wichtig für die Frauen. Trotzdem scheint etwas grundsätzlich falsch zu laufen für Frauen, die auf dem Land und vom Land leben. Die Hauptursache ist bekannt: Frauen haben kaum Kontrolle über die Bedingungen, unter denen sie produzieren, am wenigstens über Land, ihr wichtigstes Produktionsmittel. Selbst dort, wo Frauen per Gesetz gleichberechtigten Zugang zu Land haben, ist es für sie ungleich schwieriger als für Männer, dies auch durchzusetzen und an die notwendigen Ressourcen zu kommen, um erfolgreich zu wirtschaften.4 Darauf verweist bereits 2012 der damalige UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung: Frauen könnten ihre Erträge um 20 bis 30 Prozent steigern, wenn sie gleichberechtigten Zugang zu Land, Technologien, bezahlbaren Krediten, landwirtschaftlicher Beratung und Vermarktungsoptionen hätten.5

Allerdings ist es damit nicht getan. Kürzlich erschien eine Studie, die die Geschlechtersensibilität der 2012 von der FAO verabschiedeten „Freiwilligen Leitlinien für eine verantwortliche Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern (VGGT)“ überprüft. Die Studie stellt fest, dass erst „effektive Besitzrechte“ nachhaltig bessere Lebens­bedingungen und Gleichberechtigung für Frauen garantieren.6 Frauen brauchen sowohl Landnutzungsrechte (Zugang) als auch die Entscheidungshoheit über den gesamten Produktionsprozess (Kontrolle) – kurz: Einfluss auf den gesamten Produktionszyklus von der Frage, was angebaut werden soll, bis hin zur Preisgestaltung bei der Vermarktung. Deshalb wird die Menschenrechtsorganisation FIAN nicht müde zu betonen, dass „Ackerland in Frauenhand“ zentral sei für Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung.7

Geschlechtsspezifische Diskriminierung

Gleichberechtigung bei Zugangs- und Nutzungsrechten von Land ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung, um Frauen auf dem Land ein würdiges Auskommen und sichere Lebensgrundlagen zu schaffen. Dafür braucht es mehr – vor allem verbrieftes Eigentum in Frauenhand (Besitz). Doch in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern werden Frauen im Erb- oder Familienrecht diskriminiert; Zugang, Nutzung und Besitz von Land haben die Frauen nur über ihre Verbindung mit einem männlichen Familienmitglied, eigenes Land bleibt ein unerreichbarer Traum.

Land ist oft Familien- oder Gemeinschaftseigentum. Wenn eine Frau heiratet und zu ihrem Mann übersiedelt, verfällt ihr Anteil. Oft darf eine Frau ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes kein Land erwerben oder es nur gemeinsam mit ihm besitzen. Wird sie geschieden, verliert sie Haus und Land. Töchter und Witwen werden beim Erbe nicht berücksichtigt. Beim Tod des Vaters oder Ehemanns geht dessen Eigentum an die Brüder beziehungsweise sonstigen männlichen Verwandten über, die Frauen bleiben mit ihren Kindern mittellos zurück. Hinzu kommt, dass es Frauen in der Regel an finanziellen Ressourcen fehlt, um sich über Pacht oder Ankauf von Land eine wirtschaftliche Grund­lage zu sichern.

Selbst dort, wo für Frauen ein Rechts­anspruch auf Landbesitz besteht, wird dieser durch patriarchale Traditionen und Bräuche ausgehebelt.8 Dies geschieht, weil Frauen entweder ihre Rechte nicht kennen oder nicht über genügend Verhandlungsmacht verfügen, um diese durchzusetzen – etwa dann, wenn Männer zwischen parallel exis­tierenden traditionellen und offiziellen Rechtssystemen manövrieren, je nachdem, wie sie ihre Interessen besser durchsetzen können.

Traditionelle Geschlechterbilder

Zugang zu sowie Kontrolle und Besitz von Land konzentriert sich also wei­terhin in den Händen von Männern. Wesentlich mit verantwortlich für das Beharrungsvermögen patriarchaler Struk­turen ist ein „blinder Fleck“ in der gesellschaftlichen Wahrnehmung: Frauen werden – übrigens auch vielerorts
in Europa – gar nicht als eigenständige Produzentinnen wahrgenommen, selbst dort, wo die Hauptlast der landwirtschaftlichen Produktion auf ihren Schultern liegt. Warum also sollten Frauen Land besitzen, wenn sie doch „nur“
im Familienbetrieb mitarbeiten beziehungsweise ihrer historischen Aufgabe, die Familie zu ernähren, nachkommen? Die Wirkmächtigkeit dieser kulturellen Prägung ist mitverantwortlich für vielfältige Diskriminierungen, von denen mangelnder Landbesitz in Frauenhand nur ein, wenn auch wesentlicher Faktor ist, der Frauen von gleichberechtigter Teilhabe ausschließt.9

Dramatisch wirkt sich der traditionelle Blick auf Frauen auch für die Gestaltung staatlicher Politik im ländlichen Raum aus. Mangelnde Geschlechtersensibilität und fehlender politischer Wille führen dazu, dass staatliche Politik sich nur unzureichend bemüht, Frauen Zugang, Kontrolle und Besitz ihres wichtigsten Produktionsmittels zu sichern. Selbst dort, wo – beispielsweise in Nicaragua oder den Philippinen – Agrarreformen die Gleichstellung der Geschlechter als Ziel aufnehmen und Grundbesitz für Frauen als Schlüssel zur Überwindung von Hunger, Armut und Diskriminierung anerkennen, macht sich dieser blinde Fleck bemerkbar. Der Teufel sitzt dabei im Detail, konkret in den Um­setzungsstrategien. So werden etwa Besitztitel „automatisch“ auf den Mann als Familienoberhaupt ausgestellt oder wird die innerfamiliäre Rollenverteilung in der Produktion „übersehen“. Dies passiert häufig dann, wenn Frauen die Familie ernähren, also Naturalien erwirtschaften, während Männer am Markt monetäres Einkommen erzielen. Die Beispiele zeigen, wie Geschlechterblindheit dazu beiträgt, eine im Prinzip auf Umverteilung und sozialen Ausgleich angelegte Politik zu sabotieren und die historische Benachteiligung von Frauen bei Landbesitz und als landwirtschaftliche Produzentinnen erneut festzuschreiben.

Land für ein auskömmliches Leben

Landbesitz ist nicht nur wichtig für Nahrungsmittelproduktion, Beschäftigung und Einkommen. Landbesitz entscheidet auch über den sozialen Status, also über gesellschaftliche Anerkennung und politische Macht. Wo die Eigentumsrechte von Frauen gestärkt werden, erhöhen sich ihre Chancen auf wirtschaftliche Eigenständigkeit, gesellschaftliche Anerkennung und politische Teilhabe. Neu ist diese Einsicht nicht; schon 1979 forderte die UN-Frauenrechtskonvention CEDAW eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an der ländlichen Entwicklung und mit Blick auf Boden- und Agrarreformen verbriefte Landbesitzrechte von Frauen ein.10 Auch die Aktionsplattform von Peking verlangte 1995, Gesetzes- und Verwaltungsreformen anzustoßen, die Frauen im Hinblick auf wirtschaft­liche Ressourcen, namentlich dem Zugang zu Grundeigentum und die Verfügungsgewalt über Grund und Boden, den Männern rechtlich gleichzustellen.11

Große Hoffnungen werden heute auf die kürzlich von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Ziele für Nachhaltige Entwicklung gesetzt (SDGs) gesetzt. Denn sie verpflichten ausdrücklich zu Reformen, die Frauen den gleichberechtigten Zugang zu und den Besitz von Land, inklusive Erbrechten, sichern. Gleichberechtigung im Zugang zu Produktionsmitteln, Qualifizierung, Finanzdienstleistungen, Marktzugängen und an der Nutzung der natürlichen Ressourcen soll bis 2030 die Produktivität und das Einkommen kleinbäuerlicher Betriebe verdoppeln, wovon insbesondere Frauen auf dem Land profitieren würden.12 Offensichtlich rückt dank des kontinuierlichen Drucks der Frauen­bewegung das Interesse am wirtschaftlichen Empowerment von Frauen, die auf dem Land und vom Land leben, auf der Prioritätenliste von Politik und Gesellschaft langsam von den unteren Rängen weiter nach oben.

Rolle der Zivilgesellschaft

Strukturellen Veränderungen zugunsten von sicherem Landbesitz in Frauenhand anzustoßen, ist Aufgabe der Politik. Aber auch die Zivilgesellschaft trägt Verantwortung. Ihre Aufgabe ist es, die traditionellen Vorstellungen von Zugang, Kontrolle und Besitz von Land zu hinterfragen – und neue gesellschaft­liche Leitbilder zu etablieren, indem sie die Rolle der Frauen als Produzentinnen sichtbar macht und so dazu beiträgt, dass Landbesitz von Frauen gesellschaftlich akzeptabel wird. Dies ist kein leichtes Unterfangen, denn die For­derung nach sicherem Landbesitz in Frauenhand berührt zwei Eckpfeiler der bisherigen, äußerst wirksamen patriarchalen Denkmuster: Besitzrechte und Frauenrechte.

Zivilgesellschaftliches En­gagement organisiert den Widerstand der Betroffenen, indem es den Aufbau starker In­teressenvertretungen unterstützt. Die Stärkung der Verhandlungsmacht von Frauen wirkt sich nachweislich positiver auf deren Chancen auf Grundbesitz aus als die Einführung ­privater, individueller Landrechte.13 In der globalen Bauernorganisation Via Campesina beispielsweise organisieren sich Frauen und formulieren ihre eigene Sicht der Dinge in einem in der bäuer­lichen Welt verwurzelten Feminismus, den feminismo campesino y popular.14

Zivilgesellschaftliches Engagement ist auch bei der kritischen Begleitung staatlichen Handelns gefragt. Für Frauen in der Landwirtschaft ist dabei interessant, ob sich für sie – außer ihrer wirtschaft­lichen Situation – auch ihre gesellschaftliche Stellung positiv verändert. Um dies zu messen, fragt der Empowerment-Index für Frauen in der Landwirtschaft (WEAI) auch nach ihrer Position in Leitungsgremien und nach innerfamiliären Unterschieden zwischen Frauen und Männern im Hinblick auf die Zeitverteilung bei Sorge- und Erwerbsarbeit.15 Denn Besitzrechte von Frauen, ihr Empowerment und die Gleichstellung der Geschlechter müssen zwingend zusammengedacht werden. Konkret sind also im Kontext „Landbesitz für Frauen“ auch vermeintlich „nachrangige“ Bereiche wie etwa die gerechte Verteilung von Sorgearbeit zu debattieren und neu auszuhandeln. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil erwiesenermaßen Frauen mit gesicherten Eigentums- und Erbrechten über Land bis zu achtmal weniger unter häuslicher Gewalt zu leiden haben, ihre Ehen länger halten und ihre familiären Beziehungen, insbesondere zu den männlichen Verwandten, wesentlich besser sind.16

Grundbesitz – Schlüssel für ein „gutes Leben“

Das Fazit lautet: Die Sicherung von Zugangs- und Nutzungsrechten von Land sind wichtige Etappenziele. Aber sie reichen nicht aus für Frauen, die auf dem Land und vom Land leben. Vielmehr ist der Grundbesitz der Schlüssel für ein nachhaltig selbstbestimmtes Leben ohne Hunger und Gewalt, mit besseren familiären Beziehungen und mehr gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. Dafür braucht es außer einer ­geschlechtergerechten Rechtslage vor allem „Frauen-Power“, denn: Landrechte und insbesondere Besitzrechte für Frauen hängen wesentlich von der Bereitschaft einer Gesellschaft ab, diese anzuerkennen und auch durchzusetzen.

Cornelia Marschall ist Soziologin mit dem Schwerpunkt Entwicklungssoziologie. Derzeit ist sie Leiterin des Projektreferats beim Weltgebetstag der Frauen – Deutsches Komitee e.V.

Anmerkungen
1) HBS/IASS/BUND/LMD (2015): Der Bodenatlas. Daten und Fakten über Acker, Land und Erde.
2) FAO (2014): State of Food Insecurity in the World 2014. Vgl. www.fao.org.
3) FAO (2011): Weltagrarbericht.
4) FIAN (Factsheet 2012/1): Ackerland in Frauenhand und VENRO (Standpunkt Nr.3/2014): Kein Recht auf Nahrung ohne Frauenrechte.
5) Special Rapporteur on the Right of Food, Olivier de Schütter (2012): Women's rights and the right to food.
6) Brot für die Welt/OXFAM (2015): Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security (VGGT) from a Gender Perspective. Analysis and Policy Recommendations.
7) FIAN (Factsheet 2014/1): Das Recht auf Nahrung durchsetzen. Parallelberichterstattung zur Frauenrechtskonvention im Kampf gegen Hunger.
8) HBS/IASS,BUND/LMD (2015): Der Bodenatlas. Daten und Fakten über Acker, Land und Erde.
9) HBS Southern Africa (2013): Women and Land Rights: Questions of Access, Ownership and Control.
10) CEDAW (1979), Art. 14. CEDAW weist regelmäßig auf die Bedeutung der Landfrage für die Verwirk­lichung anderer Rechte hin, u.a. das Recht auf ­Wasser, Gesundheit, Bildung, Wohnen und ein ­Existenz sicherndes Einkommen.
11) Vierte Weltfrauenkonferenz (1995): Aktions­plattform, Kap. F (Förderung wirtschaftliche Gleichstellung), vgl. www.unwomen.de.
12) Engl.: Sustainable Development Goals (SDGs), vgl. Oberziel 5 und Oberziel 2., September 2015.
13) Vgl. FIAN (Factsheet 2012/1), s.o.
14) Vgl. www.viacampesina.org, insbesondere die Abschlusserklärung von CLOC (Argentinien, 2015)
15) WEAI (Women's Empowerment in Agriculture Index), vgl. www.ophi.org.uk
16)
Vgl. www.landesa.org

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