Ausgabe 2 / 2004 Editorial von Margot Papenheim

Fremdheit überbrücken

Christinnen begegnen muslimischen Frauen

Von Margot Papenheim

 

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Auch nach vierzig Jahren kann ich die Namen des tapferen kleinen Freundes des großen Kara Ben Nemsi noch auswendig herunterspulen. Unter dem Schutz meiner Bettdecke mit ihm das wilde Kurdistan zu durchstreifen und vor den – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – finsteren und mordlüsternen Gesellen zu fliehen, hat meine kindlichen Bilder von den „Muselmanen“ nachhaltig geprägt. Was, neben manch Richtigem, hängen blieb, war die Vorstellung: Menschen muslimischen Glaubens sind vor allem – weit weg. Sind, so sympathisch sie auch sein mögen – ganz anders. Morgenland eben.

Gut zwanzig Jahre später. Ungeplant und entsprechend unvorbereitet lande ich im Urlaub in Sarajewo, damals noch Jugoslawien. Moscheen, Minarette. Ein islamischer Friedhof. Rufe des Muezzins aus scheppernden Lautsprechern… Natürlich hatte ich im Kopf, dass der Islam nicht nur in der Form längst vergangener Geschichte mit Europa zu tun hat. Dass Menschen muslimischen Glaubens nicht „nur“ als türkische GastarbeiterInnen in Deutschland leben. Aber erst seit diesem Urlaub wusste ich auch gefühlsmäßig, dass ich es mit „welchen von uns“ zu tun habe, wo immer in Europa mir Musliminnen und Muslime begegnen.

In Deutschland haben sich viele noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass MuslimInnen nicht nur hier wohnen, sondern Landsleute sind. Nicht wenige meinen, dass sie irgendwann wieder weggehen (sollten) – oder sich so an die Gewohnheiten der Bevölkerungsmehrheit anpassen, dass sie nicht weiter auffallen. Integration? Das lateinische Wort integrare bedeutet: etwas wiederherstellen, ergänzen. Das heißt, Integration ist ein Prozess, an dessen Ende beide Seiten gemeinsam etwas Neues geschaffen haben. Das geht nur, wenn alle Beteiligten bereit sind, Gewohntes in der Begegnung mit Neuem in Fragen zu stellen, auch sich selbst zu verändern. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Prozess nicht spannungsfrei verläuft, hier und da auch nicht ohne Schrammen abgeht. Aber anders ist Fremdheit nicht zu überbrücken. Nur so kann eine Gesellschaft wachsen, in der Menschen verschiedener Kulturen und Religionen gut miteinander leben können.

Viel wird davon abhängen, ob Frauen sich aktiv an diesem Integrationsprozess beteiligen. An tragfähigen, begehbaren Brücken zwischen Christinnen und muslimischen Frauen mit zu bauen, ist daher das Ziel dieser Arbeitshilfe. Wer „die“ muslimischen Frauen in Deutschland sind und welchen Hintergrund sie haben, beschreibt Hamideh Mohagheghi. Für Christinnen, die sich zum ersten Mal in einen Dialog mit muslimischen Frauen begeben, haben Lara Dammig und Irene Pabst Erfahrungen aus einem größeren Dialogprojekt von Jüdinnen, Christinnen und Muslimas reflektiert und „Spielregeln“ daraus entwickelt. Dass Dialog mehr ist als „nur“ miteinander zu reden, ist buchstäblich eine Binsenweisheit: Gisela Egler zeigt am Beispiel der Rettung des Moses, wie Frauen verschiedener Kulturen und Religionen zusammenwirken können, um Leben zu retten. Ob Frauen mit ganz unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen nun miteinander reden oder auch etwas zusammen tun – Konflikte bleiben nicht aus. Heidi Glänzer hat kritisch betrachtet, wie Sara und Hagar mit ihren Konflikten umgegangen sind und was daraus für heute zu lernen wäre.

Der Ernstfall des interreligiösen Dialogs ist das gemeinsame Gebet. Sybille Fritsch-Oppermann lädt ein, sich diesem sensiblen Thema zu nähern – mit der gebotenen Vorsicht, aber auch mit Mut und Entschlossenheit. Gegen die Angst, im Dialog den eigenen Glauben zu verlieren oder das eigene Profil zu verwässern, setzt Ursula Sieg ein spannendes Denk- und Dialogmodell. Sie schlägt vor, zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu „pendeln“ – getragen und ermutigt vom Gleichnis vom Sauerteig. Die Frankfurterin Karin Pfeiffer ist eine, die schon lange ohne Angst immer wieder zu Menschen anderer Religionen „hinüberpendelt“, Antje Schrupp hat sie porträtiert.

Eine Arbeitshilfe zu Fragen des christlich-islamischen Dialogs ist zur Zeit nicht denkbar ohne die „Kopftuch-Debatte“. Die Vorsitzenden der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland und der Evangelischen Frauenhilfe haben den Aufruf „Wider eine Lex Kopftuch“ unterzeichnet, weil Kleidervorschriften bzw. –verbote, zumal sie nur Frauen treffen, keine Lösung sein können und erkennbare religiöse Vielfalt ein wünschenswertes Merkmal unserer Gesellschaft ist.

Muslimische Frauen werden in unserer Gesellschaft vor allem dargestellt und entsprechend wahrgenommen als „Frauen mit Kopftuch“. Die stereotype Wiederholung solcher Bilder bewirkt etwas in unseren Köpfen. Die Frauen des ZIF, Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung, plädieren für genaueres Hinsehen und Hinhören. Unsere eigenen „Schleiersichten“ zu erkennen und mit Hilfe der göttlichen Weisheit zu öffnen, ist das Anliegen der Andacht von Heide Fuchs. Was religiöse Kleidung überhaupt im Islam und im Christentum bedeutet (hat), erläutern Ulrike Bechmann, Sevda Demir und Gisela Egler.

Fremdheit zwischen Christentum und Islam zu überbrücken ist ein wichtiger Beitrag für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in dieser Gesellschaft. Zugleich trägt solches Engagement dazu bei, dem Frieden in der Welt näher zu kommen. Im Kleinen zu beweisen, dass es „geht“, nimmt irgendwann denen die Waffen aus der Hand, die meinen, aufeinander zu schießen, Bomben zu werfen oder die jeweils Anderen auszurotten sei politisch geboten oder gar gottgewollt.

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