Ausgabe 2 / 2007 Material von Ingrid Strobl

Geestemünder Straße

Von Ingrid Strobl

An einem Wegweiser an der Geestemünder Straße am nördlichen Kölner Stadtrand hängt ein rotes Herz mit einem Pfeil. Folgt man dem, gelangt man auf eine kleine Stichstraße, die zu einem Tor führt. Ein Schild verkündet, dass hier von 12.00 bis 02.00 Uhr geöffnet ist.

Hier arbeiten die Frauen direkt auf dem Gelände, in neun „Boxen“, einer Art offener Garagen, die mit einem Alarmknopf versehen sind. Die Boxen sind außerdem so gebaut, dass die Autos links direkt an der Wand stehen, das heißt, die Fahrertür blockiert ist, während die Frau auf dem Beifahrersitz ihre Tür öffnen und weglaufen kann. Durch die neunte Box kommt man in die „Scheune“, einen Flachbau, in dem sich Dusche und Toilette und ein Spritzen- und Kondomautomat befinden. Hinter der Scheune gibt es noch eine größere Steh-Box für Männer, die mit dem Rad oder Motorrad kommen. Die Polizei fährt in bestimmten Abständen Streife, eine Beamtin ist unter der Woche stundenweise vor Ort, Mitarbeiter des Ordnungsamtes sind zu bestimmten Zeiten auf dem Geländepräsent, ein Zaun mit Sichtschutz dient als zusätzliche Absicherung.

Der SKF (Sozialdienst Katholischer Frauen) hat direkt hinter dem Eingang einen Container aufgestellt, in dem die Frauen sich ausruhen, Kaffee trinken und etwas essen können. Die Mitarbeiterinnen des SKF geben hier Spritzen und Kondome aus und bieten Beratung und Vermittlung in das so genannte Hilfesystem an (Entgiftung, Substitution, psychosoziale Begleitung, Rechtsbeistand, Schuldnerhilfe und so weiter). Das Gesundheitsamt hält dreimal die Woche Sprechstunden ab und ermöglicht den Frauen auch ärztliche Betreuung. … Inzwischen sind nur noch etwa
60 Prozent der Frauen, die auf der Geestemünder Straße anschaffen, heroinabhängig. … Überhaupt, stellt auch Monika Wunsch (Mitarbeiterin des SKF) fest, ist das Selbstbewusstsein der Frauen gestiegen, seitdem sie nicht mehr unter den Bedingungen der Illegalität arbeiten müssen: „Sie lassen sich nicht mehr ansatzweise so viel bieten wie früher. Da war es zum Beispiel durchaus üblich, dass der Mann bei französisch der Frau den Kopf runtergedrückt hat bis zum Anschlag, das war früher ‚normal'. Wenn das jetzt passiert, dann wird der Alarm gedrückt. Oder es wird geschrieen und jemand anderer drückt den Alarm. Die Frauen haben hier auch die Erfahrung gemacht, dass die Polizei auf ihrer Seite ist, und deshalb trauen sie sich mittlerweile, Anzeige zu erstatten gegen die Macht- und Gewaltübergriffe der Freier.“

Wollen die Frauen Anzeige gegen einen Freier erstatten, müssen sie nicht einmal auf das Polizeirevier gehen. Sie können sich direkt an Nicole Metzinger wenden, die  Polizeikommissarin, die für die Geestemünder Straße zuständig ist und unter der Woche täglich drei Stunden auf dem Platz verbringt. Für sie waren die Frauen von Anfang an weder „polizeiliche Gegner“ noch Angehörige einer fremden Welt. Sie wuchs, erzählt die Kommissarin, in Chorweiler auf, einem Kölner „Problemviertel“. „In dem Sinne“, sagt sie lachend, „kann man schon sagen, ich bin im Milieu groß geworden.“ … Sie drängt sich den Frauen nicht auf, sagt Nicole Metzinger: „Ich lasse die in Ruhe, aber wenn eine was braucht, kann sie eben kommen.“ … Ihre Aufgabe, betont sie, besteht „insbesondere darin, zum Schutz der Frauen da zu sein“. Sie ermutigt sie, gewalttätige Freier anzuzeigen, doch sie sagt den Frauen auch, dass sie für den Erfolg nicht garantieren kann. „Das Problem ist nämlich“, erläutert sie, „dass Verfahren wegen sexueller Nötigung teilweise auch eingestellt werden. Weil Aussage gegen Aussage steht. Das ist schlimm. Ich sehe dann die Enttäuschung der Frauen, das ist für mich auch immer ein Schlag ins Gesicht.“

gekürzt aus: „Es macht die Seele kaputt“ – Junkiefrauen auf dem Strich, Orlanda Frauenverlag GmbH, Berlin 2006

Die Autorin ist gerne zu Lesungen bereit!
Kontakt über den Verlag: Anna Mandalka, Tel.: 030 / 216 35 66, Email: mandalka@orlanda.de; siehe auch: www.orlanda.de 

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