Ausgabe 2 / 2005

Gefangene des Mutterbildes

Interview mit Gisela Erler


DIE WELT: Frau Erler, viele Frauen verzichten für die Kindererziehung auf die Karriere. Wenn man „Pisa“ betrachtet, scheint diese Hingabe ja nicht viel zu bringen.
Erler: Der Rückfall von Deutschland liegt tatsächlich stark an unserem Frauen- und Mutterbild. Wir haben die Frauen zu Hause gehalten und dafür das Schulsystem verschlampen lassen.(…)
DIE WELT: Für Sie ist Mutti also nicht die Beste?
Erler: Diese romantische Träumerei, immer in absoluter Liebe und Hingabe zu Kind und Mann leben zu wollen, ist zwar literarisch und psychologisch verständlich. Für den Erfolg und die Organisation einer Gesellschaft ist es aber ebenso fragwürdig wie für die Entwicklung der Kinder. Auch die besten und qualifiziertesten Mütter sind nicht diejenigen, die primär den Input in die Kinder leisten können. Zu wenig externe Anregung und Forderung hemmt die Entwicklung, statt sie zu fördern.
DIE WELT: Wir haben aber nicht nur zu wenig kluge Kinder,  sondern überhaupt zu wenig Kinder.
Erler: Sie können Frauen in Afghanistan zwingen, Kinder zu bekommen, oder in Äthiopien. Aber in reichen und gebildeten Gesellschaften werden Frauen so lange immer stärker die Produktion von Nachwuchs verweigern, bis Kinder und Beruf vereinbar sind. (…)
DIE WELT: Die Lösung heißt also mehr Frauenarbeit?
Erler: Überall dort, wo mehr Frauen arbeiten, kommen auch mehr Kinder. (…)
DIE WELT: Viele sehen das Heil in der Ausweitung der Teilzeitarbeit oder Heimarbeit.
Erler: Ich bin nicht gegen Teilzeit, aber in Deutschland wird Teilzeit oft dazu benutzt, die Arbeit so zu organisieren, daß die Familie gar nicht merkt, daß Mutti arbeitet. (…) Wenn die Wucht der langen Arbeitszeiten so dominiert wie in den USA, Deutschland oder England, wo Männer sehr viel und sehr lang arbeiten, dann wünschen sich viele Frauen den Rückzug. (…)
DIE WELT: Aber muß sich nicht jeder, der Karriere machen und Geld genug für eine Familie verdienen will, tatsächlich voll dem Job widmen?
Erler: Es gibt große Studien, … die beweisen, daß jene Manager, die ihren Beruf nicht über alles stellen, die erfolgreicheren sind. Das sind Menschen, die mehrere Standbeine haben und auch in ihrem Kopf mehrdimensional sind. Workaholics sind nicht kreativer und produktiver. … Firmen, die es nicht zulassen, daß ihre Beschäftigten hirnlos Zeit investieren, fahren nicht schlechter. 

Auszug aus einem Interview mit der Soziologin und Unternehmerin Gisela Erler in: DIE WELT vom 7.1.2005

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