Der Finanzsektor ist heute weitgehend „frauenrein“. Während sich die Wissenschaft und sogar ein Teil der Religionswissenschaften mittlerweile für Frauen in geistigen und geistlichen Ämtern geöffnet haben, bleibt das Geldmanagement – wie die katholische Kirche – den Frauen weitgehend verschlossen. Jochen Hörisch hat bemerkt, dass die Uniformität der Anzüge auf den höheren Etagen der Banken in der mönchischen Einheitskleidung ihre Parallele findet. Auch im Ausschluss von Frauen können die großen Finanzinstitute mit dem Vatikan konkurrieren. In den Vorständen der 100 größten Banken und 58 größten Versicherungsunternehmen Deutschlands ist der Frauenanteil mit 1,9 beziehungsweise 2,4 Prozent verschwindend gering (obwohl die meisten Beschäftigten im Finanzsektor Frauen sind). Der Anteil von Frauen im Jahr 2008 war im Vergleich zu 2007 sogar rückläufig. Als Begründung heißt es: „Diese ‚vergeschlechtlichten Rahmenbedingungen' sind an eine spezifische Anforderungsstruktur und -kultur geknüpft, die potentiell nur Arbeitskräfte erfüllen können, die von familiären Pflichten freigestellt sind.“ (Eva Illouz). Abgesehen davon, dass Frauen in vielen Sektoren arbeiten, die oft schwer mit ihren ‚familiären Pflichten' vereinbar sind, macht diese ‚Erklärung' auch deutlich, worum es geht: Wer in einem Intimverhältnis zum Geld steht, darf keinen Intimverkehr zum Körper haben. Denn was sind ‚familiäre' Pflichten anderes als Intimverkehr mit anderen Menschen?
Es lässt sich auch anders ausdrücken: Dass sich – trotz aller Aufrufe zur Freiwilligkeit und aller Gleichstellungsgesetze – die schlechtere Bezahlung von Frauen so hartnäckig hält, hat seinen Ursprung in einer unbewusst bis heute tradierten Wahrnehmung. Da das nominalistische Geld von Frauen nicht das symbolische Opfer der Kastration fordert, haben sie auch kein Anrecht auf größere Befriedigung, die die ‚geistige' Potenz zu bieten hat, der Besitz von Geld. Deshalb wird auch innerhalb der Familien der Verdienst von Männern und Frauen oft unterschiedlich bewertet. Die amerikanische Soziologin Viviana Zelizer hat in ihrem Buch The Social Meaning of Money Beispiele aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert für diese geschlechtliche Codierung des (angeblich neutralen) Geldes zusammengetragen. Sie greift den Begriff des ‚pin money' (‚Nadelgeld') auf, der schon im 17. Jahrhundert in England das Geld bezeichnete, das Frauen durch spezifisch weibliche Sonderleistungen einbrachten: als Schneiderin, für die Verpflegung von Untermietern etc. Der Begriff wurde im Industriezeitalter auf den Lohn der Frauen übertragen, behielt aber seine Konnotation des ‚Zubrotes'. „Unabhängig von der Menge und selbst wenn es der Familie ein notwendiges Einkommen sicherte, blieb das Gehalt der Frau oder das Nadelgeld eine weniger fundamentale Art von Geld als das Gehalt des Mannes. Es wurde entweder kollektiviert, trivialisiert oder dem Haushaltsgeld einverleibt und stand somit nicht für sich selbst. Oder es wurde als ein Zusatzeinkommen betrachtet, durch das Sonderausgaben (wie Ausbildung des Kindes oder Urlaub) bestritten oder das für frivole Zwecke (Kleidung und Schmuck) eingesetzt wurde. … Das Einkommen der Frau wurde systematisch stigmatisiert als Geld für Spielzeig und Plunder.“ (Zelizer) Diese Zuordnung hielt sich sogar dort, wo das Einkommen der Frau das des Mannes überstieg. Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild hat in einer Untersuchung gezeigt, dass da, wo Frauen mehr verdienen als ihre Ehemänner, sie dies ‚auszugleichen' versuchen, indem sie mehr Hausarbeit leisten. …
Seit der Finanzkrise von 2008 wird der Ruf nach mehr Frauen in den Vorstandsetagen laut. Die Begründung lautet zumeist, dass Frauen weniger risikofreudig seien. … Die geringere Risikobereitschaft von Frauen genügt aber nicht als Erklärung für das Umdenken. Ebenso wenig wie die Erklärung von Neelie Kroes, der Europäischen Wettbewerbskommissarin, die „absolut überzeugt ist, dass Testosteron einer der Gründe dafür war, dass das Finanzsystem in die Knie gezwungen wurde“. … Denkbar, dass sich diese Hoffnung als Illusion erweist und auch Frauen der Eigendynamik des Geldes unterliegen werden. Unbestreitbar ist jedoch, dass das Geld in seiner langen Geschichte, vergleichbar dem katholischen Geistlichen, den weiblichen Körper gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser. Darin liegt eine historische Chance.
aus:
Der Preis des Geldes – Eine Kulturgeschichte
© Aufbau Verlag GmbH & Co.KG
Berlin 2012
S. 71-74
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