Ausgabe 2 / 2010 Material von Margot Papenheim

Gemalt mit kalter Wut

Von Margot Papenheim


„Es ist schwer, jemandem den Kopf abzuschlagen“, sagte Artemisia. „Es braucht Kraft dazu. Und Konzentration. Vor allem Konzentration. Ich muss die Konzentration auf deinem Gesicht sehen. Judith trägt Verantwortung für ihr Volk. Es kommt alles darauf an, dass es klappt. Versuch es! Nur ganz kurz. Ich brauche eine Vorstellung davon.“
Sie zeichnete konzentriert. Porzia, die sie als Modell gewonnen hatte, konnte den Ausdruck nicht lange halten. Sie versuchte es mehrere Male. Es reichte. Dann fing Artemisia an zu malen. Schottete sich ab. Es war eine Art Flucht. Tassi war für sie gestorben. (…)
Artemisia malte wieder wie im Rausch. Malte und übermalte. Ihre Judith war kein junges Mädchen, sondern eine gestandene Frau. Sie zog ihr ein leuchtend blaues Kleid an, denn sie wusste inzwischen, dass Judith stets in Beziehung zur Jungfrau Maria gesetzt wurde – im Kampf gegen das Böse. Allerdings wollte Artemisia keine heroische Frau malen, die ihr Geschäft fürs Publikum erledigte. Sie zeigte sie bei der Arbeit. Der Arbeit, das jüdische Volk von der Bedrohung durch das assyrische Heer und seinen Feldherrn zu befreien. Mit der rechten Hand führte sie das Schwert, ihre linke Hand presste den Kopf des Holofernes aufs Bett. Das Blut spritzte über
das weiße Laken. …
Dabei malte Artemisia mit derselben kalten Wut, mit der ihre Judith den Holofernes köpfte. Und so wie Judith ihr Volk, so befreite Artemisia sich selbst. Von Tassi, natürlich, aber gleichsam nebenbei von der Malweise ihres Vaters. Diese Judith
war ihr erstes vollkommen selbständiges Bild.

So: einfühlsam, mit viel Phantasie und spannend zu lesen, dabei historisch wie kunsthistorisch weitgehend detailgetreu erzählt Michael Hatry „Das Leben der Artemisia Gentileschi“ in dem 2007 im Gerstenberg-Verlag erschienenen Roman „Ich will malen!“ In einem 40-seitigen Anhang liefert die Kunsthistorikerin Susanna Partsch kurz, aber inhaltsreich hintergründige Informationen zu den
im Roman auftauchenden zeitgenössischen Malern – wie Caravaggio, Brunelleschi oder Michellangelo – und anderen Persönlichkeiten wie Giordano Bruno, Beatrice Cenci, Galileo Galilei und die Medici. Und zu den Biografien der Hauptfiguren, allen voran natürlich Artemisia Gentileschi.

Am 8. Juli 1593 wird Artemisia Gentileschi in Rom als erstes Kind des Malers Orazio Gentileschi und seiner Frau Prudenzia geboren. Bereits im Kindesalter erhält Artemisia Malunterricht bei ihrem Vater – 1610 malt sie ihr erstes signiertes Bild „Susanna und die Alten“. Kurz darauf gibt Orazio seine begabte junge Tochter in die Obhut seines Berufskollegen und Freundes Agostino Tassi. Ob er tatsächlich, wie oft berichtet, ihr Lehrer in perspektivischem Malen war, ist nicht gesichert. Belegt ist allerdings, dass Tassi das entgegengebrachte Vertrauen ausnutzt und Artemisia entjungfert – ob mit Gewalt oder „nur“ unter Einsatz eines falschen Eheversprechens, ist in der Forschung umstritten. Jedenfalls verklagt Orazio Tassi – und Artemisia bleibt auch unter der Folter bei ihrer Aussage, vergewaltigt worden zu sein. Orazio gewinnt den Prozess, Tassi muss Rom für einige Jahre verlassen. Artemisia wird umgehend mit dem völlig unbedeutenden Maler Pierantonio Stiattesi verheiratet, mit dem sie 1613 nach Florenz zieht. Das Paar bekommt mehrere Kinder, von denen aber nur die älteste Tochter überlebt. Artemisia malt auch in Florenz weiter und wird – als erste Frau – Mitglied der Accademia del Disegno, der Florentiner Kunstakademie. Anfang der 1620-er Jahre zieht die Familie nach Rom zurück – Artemisia malt weiter für verschiedene Auftraggeber. Während Stiattesi irgendwann in diesen Jahren aus Artemisias Leben verschwindet, bestreitet sie ihren Lebensunterhalt weiterhin mit ihrer Kunst, malt in Rom, Venedig, Neapel, folgt schließlich dem Ruf ihres Vaters nach London, wo der sich mittlerweile niedergelassen hat. Wann genau Artemisia Gentileschi stirbt, ist nicht eindeutig belegt, vermutlich war es im Jahr 1654.

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