Ausgabe 1 / 2007 Material von Zeugnis einer Campesina

Gesegnet

Von Zeugnis einer Campesina

Wenn die Dämmerung kommt und etwas Frische bringt,
gehe ich zum Garten meiner Nachbarin.
Ich hocke mich unter die großen Sonnenblumen
und in der Stille lasse ich mich von der Liebe der Düfte
und den Farben des Nachmittags berühren.
Der tiefe Brunnen bietet mir
das klare Wasser der Erde an.
Dafür bin ich dankbar.

Mit Zärtlichkeit und Kraft
hole ich das Wasser aus dem Brunnen und
verteile es unter das Rosmarin,
die Zwiebeln, die Petersilie und andere Kräuter.
Ich fühle die feuchte Erde
und das kalte Wasser zwischen meinen Fingern.
Ich bin eine Pflanze und begieße mich.
Mehr Wasser und ich singe Lobgesänge.
Die Bohnen und der Mais bedanken sich.

Wenn irgendein Mädchen oder irgendein Junge
mit mir die Pflanzen gießt,
ist die Magie noch viel stärker. Die Kinder lassen es regnen.
Sie regnen sprudelnde Freude.
Keime, Früchte, Frieden.
Heilkräuter, Samen und Blumen.

Der lauwarme Wind singt. Ich bin eine reisende Geistin.
Ich bin alle Frauen zu allen Zeiten, die die Erde  bearbeitet haben.
Ich bin Leben.
Und das ist mein Gebet zum zunehmenden Mond.
Ein Gebet des Glaubens.
Ich bin eine Komplizin des Lebens.
Ich danke für diesen Tag.
Ich weiß, dass ich nicht allein bin.
Ich weiß, dass immer eine die Pflanzen gießen wird,
dass wir einander immer gegenseitig begießen.

Ich begieße meine Füße ein letztes Mal,
ich bin gesegnet und erfüllt.

Zeugnis einer Campesina
aus Santa Cruz de Cuca/Chile

gekürzt aus:
Bärbel Fünfsinn (Hg.)
Kuñaite – Mujer – Frau
Liturgische, poetische und theologische Texte von Frauen aus Lateinamerika
© Nordelb. Missionszentrum
Hamburg 2006

Preis: 5 €
Bezug:
Nordelb. Missionszentrum
Tel.: 040 / 881 81-0
Fax: 040 / 881 81-110
www.nmz-mission.de

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