Abendimbiss in einer Moschee in Berlin-Kreuzberg. Peter, Leila, Lea, Justus, Muhamad und Katharina sitzen im lebhaften Gespräch beisammen. Sie sind Teilnehmende von Unterwegs an Orten des Gebets. Ein jüdisch-christlich-muslmisches Vorbereitungsteam hat dazu eingeladen.
Drei Abende, 14-tägig an drei wechselnden Orten: Synagoge, Kirche, Moschee. Nach dem Willkommen gibt es einen Impuls der gastgebenden Religionsgemeinschaft, die mit ihren spirituellen und theologischen Schätzen ins Thema einführt. Es folgt ein Kommentar aus der Sicht der beiden anderen Religionsgemeinschaften. Ein Austausch bei einem Abendimbiss in kleinen, religionsgemischten Gruppen schließt sich an. Eine Runde mit einem Abendsegen oder einem Abendgebet der gastgebenden Religionsgemeinschaft beschließt den Abend.
Grundlage für ein Gespräch mit Menschen, die anders glauben, ist eine tiefgreifende Anerkennung, Respekt und Wertschätzung. Mit dieser Haltung entdecken die Teilnehmenden, dass Vielfalt eine Bereicherung ist. „Ja, natürlich glaube ich anders als meine jüdischen und muslimischen Gesprächspartner*innen“, sagt eine, „und manchmal auch anders als meine Glaubensgeschwister aus Afrika oder auch diejenigen neben mir auf der Kirchenbank. Aber ich bin immer wieder auch angerührt von dem, was uns verbindet. Und ich spüre, wie ich mit anderen gemeinsam wie Pilger unterwegs bin. Es ist wichtig, nicht zu schnell die Zäune hochzuziehen und sich abzugrenzen.“ Auch Konfessionslose spüren die spirituellen Schätze und beteiligen sich interessiert am Gespräch.
Durch die regelmäßigen Treffen hat die Gruppe – zu der auch Frauen gehören, die auf einer spirituellen Suche sind, ohne auf eine bestimmte Form festgelegt zu sein – verschiedene Formen religiöser Spiritualität kennengelernt: christliche in unterschiedlichen konfessionellen Prägungen, muslimische, buddhistische, pagane. Nähe und Distanz, Vertrautheit und Fremdheit wurden jeweils unterschiedlich erlebt. Eine Muslima etwa ist sehr interessiert an biblischen Texten und entdeckt oft Parallelen. Bei Psalm-Zitaten sagt sie manchmal: „Das könnte auch im Koran stehen.“ In solchen Momenten leuchtet das gemeinsame Erbe von Judentum, Christentum und Islam besonders auf.
So unterschiedlich die Traditionen und Religionen auch sind: Alle Frauen erleben ihre Religionsausübung als Kraftquelle und Stärke und empfinden eine tiefe Geborgenheit in den jeweiligen Ritualen. Dass jede in erster Linie als Person und nicht als Vertreterin einer Institution dabei ist, ermöglicht eine in Gesprächen über Glaube und Spiritualität seltene Offenheit. Und es ermöglicht die Erfahrung, dass bei aller Verschiedenheit auf der mystisch-spirituellen Ebene viel eher eine tiefe Begegnung möglich ist als im akademischen Gespräch. Denn es geht um „das Geheimnis in der Mitte der Welt“, auf das die Religionen in ihrer jeweils gewachsenen Sprache verweisen. Angesichts der häufigen Instrumentalisierung von Religion und Weltanschauung für eigene und politische Zwecke und fundamentalistischer, andere abwertender Tendenzen in Religionen und Weltanschauungen ist der Dialog so wichtig.2
Dialog lebt von Orientierung. Für einen Dialog der Religionen muss ich als Christ*in die Grundlagen meines eigenen Glaubens kennen. Dazu gehört für das protestantische Erbe die Verbindung von Glauben und Denken, von spiritueller Lebenshaltung und einer historisch-kritischen Perspektive auf die eigene Tradition, die auch Selbstkritik einschließt. Im Dialog werde ich (unter Umständen: neu) meines eigenen Glaubens gewiss, lerne die eigene Tradition wertzuschätzen und gewinne die Chance, meine eigene religiöse Identität weiterzuentwickeln. Wenn ich ins Gespräch mit Menschen anderer Religionsgemeinschaften kommen möchte, brauche ich Verständnis für die und Kenntnis der Grundlagen, der Geschichte und Überlieferungen der jeweils anderen Religion. Ich weiß, dass ich dabei eine Lernende, ein Lernender bleibe. Ich führe den Dialog nicht, um mich mit dem oder der anderen zu einigen, sondern um zu lernen – zu lernen Differenzen zu respektieren.
Dialog lebt von Vertrauen. Beziehungen haben mit Vertrauen zu tun. Und Vertrauen wächst langsam, in Begegnungen von Angesicht zu Angesicht. Glaube ist dabei ein gutes Fundament: Die Würde des Menschen ist eine Gabe Gottes. Indem ich diese Würde zu achten suche, achte ich Gott. Uns ist bewusst: Der Dialog der Religionen ist vielfach belastet. Auf zahlreichen Ebenen gibt es gravierende Defizite, Fremdheit, Nichtwissen, einseitige und fehlerhafte Informationen und geschichtliche Belastungen, die bis heute nachwirken. Kreuzzüge und Kolonialismus aus der Sicht von Islam und Hinduismus, Eroberungswellen des Islams aus Sicht des Judentums und Christentums, Antisemitismus aus Sicht des Judentums sind nur einige davon. Auch aktuelle soziale und politische Konflikte können Dialog erschweren. Religion kann selbst als Werkzeug missbraucht und Vorwand für Polarisierung und Spaltung werden. In einer Atmosphäre der Angst und des Misstrauens ist es schwierig, Beziehungen aufzubauen. Die wichtigste Aufgabe des Dialogs ist darum nach unserer Erfahrung das Vorbereiten der Vertrauensebene.
Dialog lebt von religiöser Praxis.Begegnungen brauchen auch Raum für Formen gelebten Glaubens. Über Religion darf nicht nur geredet werden, Religion sollte auch praktizierend wahrgenommen werden. Nur so entdecke ich die Spiritualität der oder des anderen, erlebe ihre oder seine Glaubenshaltung, spüre, was ihn oder sie im Tiefsten beseelt. Durch Anschauung wird es mir möglich, reflektiert und kompetent mit Formen und Wahrnehmungen umzugehen, die mir möglicherweise fremd sind. Zugleich kann ich so selbst kompetent meine eigene Religion vertreten und Zeugnis darüber geben kann, was mir das Evangelium von Jesus Christus bedeutet.
Dialog lebt aus einer spirituellen Haltung. Gott ist größer, als ich zu glauben und denken vermag. Gott lässt sich nicht durch Begriffe und Bilder festlegen. Wenn ich ehrlich mir gegenüber bin, merke ich bald, wie wenig ich eigentlich weiß – und ich werde bescheidender, demütiger in meinen Äußerungen. Ich werde offener gegenüber dem Wirken der Heiligen Geistkraft und damit offener, dem oder der anderen zu begegnen, mich mit ihm oder ihr unterwegs auf dem Weg zu Gott zu wissen. In der (Wieder-) Entdeckung dieser spirituellen Dimension liegt für mich eine große Verheißung. Der Glaube selbst ist für mich eine Einladung zu einer Pilgerbewegung spirituell Suchender. Ich bin noch nicht zu Hause, ich bin auf dem Weg. Im interreligiösen Dialog hilft mir diese spirituelle Haltung nicht nur, dass ich die jeweils andere Religion verstehen lerne. Ich gewinne möglicherweise auch Zugang zu Elementen meiner eigenen religiösen Tradition und Überlieferung, die mir bis dahin nicht bedeutend für meinen Glauben erschienen. Ich werde positiv herausgefordert, meine Grundlagen neu anzuschauen.
Tauschen Sie sich aus: Wer oder was prägt(e) meinen Glauben? Was trägt ihn? Welches sind die Kraftquellen, aus denen ich für mein Leben, meinen Alltag schöpfe?
Sprechen Sie über die Bedeutung von Ritualen für Ihren Glauben.
Formulieren Sie ein eigenes Glaubensbekenntnis, mit den für Sie persönlich unverzichtbaren Sätzen. Wenn Sie mögen, stellen Sie es einander vor, wenn die Gruppe größer ist, in Kleingruppen zu zweit oder zu dritt.
Wichtig ist bei all diesen Fragen: Sprechen Sie persönlich in der Ich-Form, hören Sie einander zu ohne zu bewerten und verallgemeinern Sie nicht.
Suchen Sie Begegnung und Austausch mit Menschen, die anders glauben. Auch wenn in Ihrer direkten Nachbarschaft keine Menschen anderer Religionszugehörigkeit leben – es kann schon lohnend sein, über den Tellerrand der eigenen Gruppe hinaus zu schauen und sich mit Christ*innen anderer Konfessionen auszutauschen. Falls es bereits ökumenische Kontakte gibt, etwa durch die Weltgebetstagsvorbereitung, laden Sie die Schwestern ein und kommen Sie ins Gespräch über die Jahreslosung und / oder über die oben genannten Fragen.
An vielen Orten leben auch Christ*innen aus anderen Ländern, etwa Geflüchtete oder Menschen, die hier arbeiten. Laden Sie sie ein zu Begegnungen (beispielsweise zum Weltgebetstag) und lassen Sie sich auch durch deren Form, ihren Glauben zu leben, inspirieren. Wichtig ist, nicht nur miteinander zu reden, sondern auch gemeinsam zu feiern, zu singen, zu beten, zu essen.
Informieren Sie sich, ob in Ihrem Ort / Ihrer Region andere Konfessionen und Religionsgemeinschaften leben. Sie können einen Besuch in einem anderen christlichen Gottesdienst, in einer Synagoge oder Moschee verabreden, meist sind die Verantwortlichen dort sehr offen und freuen sich über Interesse.
Wenn es bereits Begegnungen gegeben hat und Vertrauen entstanden ist, ist es auch möglich, gemeinsam in heiligen Texten, zum Beispiel aus Bibel und Koran, zu lesen und darüber ins Gespräch zu kommen.
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