Alle Ausgaben / 2004 Editorial von Margot Papenheim

Glauben und beten

Von Margot Papenheim

Wer hätte das nicht schon erlebt: Da trifft sich endlich einmal die ganze Familie zum Abendessen, der Tisch ist liebevoll gedeckt, alle freuen sich auf ein schönes Zusammensein. Dann wirft irgendeine(r) eine spitze Bemerkung in die Runde, ein Wort gibt das andere, und schon ist der dickste Streit im Gange. „Was ich dir übrigens schon lange mal sagen wollte…“ – das kann eine notwendige Klärung von Beziehungen einleiten. Kann aber auch die Glocke sein zur nächsten Runde eines schwelenden Konflikts.

So ähnlich mag die Stimmung im Saal gewesen sein, als Jesus sich mit den Seinen zum Paschamahl versammelt hatte. Nichts Besseres fiel ihnen ein als darüber zu streiten, „wer von ihnen wohl der Größte sei“! Ich kann gut nachvollziehen, dass der sonst eher sanftmütige Meister seine Schüler mit ein paar deftigen Sprüchen wieder zur Räson bringt. Ausgerechnet Simon Petrus, dem Größten und Stärksten und Treuesten, macht Jesus in zwei scharfen Sätzen klar, dass er sich besser bedeckt halten sollte. Dass er schon sehr bald auf den Prüfstein kommen – und versagen wird. Mitten in diesem dramatischen Dialog spricht Jesus ihm den ebenso beängstigenden wie tröstenden Satz zu: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Beängstigend, weil Petrus in dem Moment gedämmert haben mag, dass er längst nicht so groß und stark ist, wie er sich gerne sieht. Tröstend, weil es mit der liebevollen Unterstützung Jesu im Rücken nie aus und vorbei ist. Weil es immer ein Zurück gibt, auch aus dem Versagen. Aber das wird er erst später realisieren, nachdem er seine menschlichen Grenzen erlebt hat.

„Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Lukas 22,32 als Jahreslosung ist eine echte Herausforderung. Glauben und beten können – dürfen – müssen? Das berührt uns im Kern unseres Lebens als Christinnen und Christen. Um diese beiden zentralen Begriffe kreisen die Beiträge dieser Arbeitshilfe. Mag der Glaube auch eine ganz persönliche Angelegenheit zwischen Gott und mir sein: glauben lernen kann ich doch nur durch menschliche Beziehungen. Waltraud Liekefett fragt nach, wie Gottvertrauen und das Erleben verlässlicher menschlicher Beziehungen zusammen gehören. Katja Jochum erweitert das Bild, indem sie – angeregt durch Hebräer 11 – unsere Mütter und Väter im Glauben in dieses menschliche Beziehungsgeflecht einbezieht.

Die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, verwirklicht sich je nach kulturellem Umfeld höchst unterschiedlich. Anabel Cantú Flores Reimann geht der Frage nach, was der persönliche Glaube mit der konkreten Gestalt der Kirche zu tun hat, in der eine oder einer lebt. Eine für viele Frauen attraktive Form von Kirche ist die „Frauenkirche“. Hildburg Wegener porträtiert diese kirchliche Frauenbewegung. Evangelisch Kirche zu sein bedeutet wesentlich, sich der Freiheit des Glaubens zu erfreuen. Grenzenloser Freiheit? Ute Clemens und Annedore Wendebourg haben intensiv darüber nachgedacht, wie wir über die Freiheit eines Christenmenschen und ihre Grenzen ins Gespräch kommen könnten. Was immer der „rechte“ Glaube sein mag – unstrittig ist, dass er nach dem Zeugnis der Bibel, vor allem des Hebräischen Testaments, nicht ohne den Glauben an die Gerechtigkeit Gottes auskommt. Jürgen Ebach stellt mit der Geschichte von Tamar und Juda „ein denkwürdiges Kapitel biblischer Gerechtigkeit“ zur Debatte.

Der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes hat Tamar stark genug gemacht – unter Einsatz durchaus fragwürdiger Mittel – für ihr Recht zu kämpfen. Glaube kann stark machen, nicht jedoch vor Leid und Schmerzen schützen. Michaela Bank und Angelika Kollacks wissen aus ihrer Arbeit als Therapeutinnen und aus ihrer Erfahrung als Christinnen, dass Glaube aber heilend wirken kann, wo Menschen durch schmerzhafte Schicksalsschläge verletzt worden sind.

Irgendwo las ich: Das Gebet ist der Ernstfall des Glaubens. Wenn das stimmt, ist die Fürbitte der Ernstfall des Betens. Dass „es hilft“, wenn Jesus für Petrus betet, mag anzunehmen sein. Aber hilft Beten auch da, wo wir es für andere tun? Dagmar Althausen konzentriert sich auf diese Frage in ihrer Andacht zur Jahreslosung. Dagmar Jessen jedenfalls hat es so erfahren und regt aus Überzeugung zum fürbittenden Gebet an. Heikel bleibt es gleichwohl – vor allem, wenn eine mir sagt, dass sie „für mich“ betet. Ilona Eisner setzt sich mit dem mulmigen Gefühl auseinander, das eine(n) unter Umständen dann überkommt. Für-bitte halten kann jedenfalls nicht bedeuten, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu hoffen, dass Gott es schon richten wird. Hanna Manser hat die Kraft des politischen Betens erfahren und lädt ein, die Welt ins Gebet zu nehmen – und sie aus der Kraft des Gebetes zu gestalten.

Lassen Sie sich von den Beiträgen anregen, in Ihren Gruppen über Glauben und Beten nachzudenken. Sollte es der einen oder anderen dadurch etwas leichter werden zu glauben und zu beten, hätte die Jahreslosung Sinn gemacht.

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