Ausgabe 2 / 2005 Artikel von Kristin Bergmann

Gleiche Chancen in der Arbeitswelt?

10 Jahre nach Peking. Eine Bestandsaufnahme

Von Kristin Bergmann

(Auszug)

Als die 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking eine Aktionsplattform verabschiedete, um weltweit die Rechte der Frauen zu stärken, maß sie der Durchsetzung gleicher Teilhabe an Macht- und Entscheidungspositionen große Bedeutung zu. Die Konferenz stellte fest, dass Frauen an wirtschaftspolitischen Entscheidungs prozessen nur am Rande beteiligt seien: „Gerade in den beiden zentralen Bereichen, in der Politik und in den Institutionen des Wirtschaftslebens, kann von Gleichberechtigung keine Rede sein.“ Und heute, 10 Jahre nach Peking?

Die Fakten zeigen, dass die Forderungen von Peking nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Zwar hat sich die Situation von Frauen in der Arbeitswelt verbessert, dieser Wandel geht jedoch nur schleppend voran. Ohne unterstützende Maßnahmen zur Beschleunigung des Wandels sind die Zukunftsaussichten wenig ermutigend.

Hemmende Faktoren

Die Gründe für den schleppenden Wandel sind vielfältig. Sie liegen letztlich in der Kultur unserer Gesellschaft. Damit Frauen und Männer im Arbeitsleben gleiche Chancen erhalten, ist darum ein grundlegender kultureller Wandel notwendig. Dieser Wandel muss die gängige Arbeitskultur und das vorherrschende Familienbild ebenso umfassen wie die Sozialpolitik, das Arbeitsrecht und das Steuersystem. Im Folgenden seien einige der Faktoren benannt, die den Wandel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in besonderer Weise hemmen.

Unsere Arbeitskultur erschwert es,  soziale Verantwortung gegenüber Kindern, Partnern und Freunden zu übernehmen. In vielen Bereichen herrscht eine „Rund-um-die-Uhr-Arbeitskultur“, die eine Balance zwischen Familie und Beruf unmöglich macht. Anwesenheit am Arbeitsplatz wird dabei gleichgesetzt mit Leistungsbereitschaft und Leistungskraft und steht darüber hinaus für Loyalität und Identifikation mit dem Arbeitgeber. Wer Überstunden macht, beweist damit Bedeutsamkeit. Dies führt trotz aller Diskussionen um flexiblere Arbeitsstrukturen und -zeiten dazu, dass nahezu alle, die im Beruf aufsteigen wollen oder bereits Leitungspositionen innehaben, viele Extrastunden am Arbeitsplatz verbringen.

Dazu kommt ein erhöhter Druck zur Mobilität. Einer Studie des Forschungsinstituts Emnid zufolge werden Berufsanfänger im Durchschnitt sechs Mal im Leben den Arbeitgeber und damit in aller Regel auch den Wohnort wechseln. Für hoch qualifizierte Beschäftigte dürfte die Zahl der Wohnungswechsel noch höher liegen, zumal dann, wenn sie sich beruflich weiterentwickeln wollen. Über die familiären und sozialen Begleitumstände wird öffentlich kaum diskutiert. Da bei jüngeren Paaren zumeist beide Partner gut ausgebildet und berufstätig sind, wird die Koordination zum Balanceakt, bei dem die Frauen nicht selten ins Hintertreffen geraten. Der angespannte Arbeitsmarkt verschärft den Druck weiter.
Diese Arbeitskultur entspricht zunehmend auch nicht mehr den Wünschen der Männer. Die Zahl der Väter, die mehr Zeit für die Familie haben und sich aktiv an der Erziehung der Kinder beteiligen möchten, steigt. Bislang trauen sich aber nur wenige, diesen Wunsch zu verwirklichen.

Unser Steuer- und Sozialleistungssystem orientiert sich an einem Familienmodell mit einem „Familienernährer“ und einer allenfalls hinzu verdienenden Partnerin. Dies bewirkt, dass für finanziell abgesicherte Ehefrauen eine volle Erwerbs tätigkeit wenig attraktiv ist und ein  Rückzug aus dem Arbeitsleben – zumindest kurz- bis mittelfristig – rational erscheint. So führt das Ehegattensplitting dazu, dass Ehepartner einen Splittingvorteil genießen, solange ein Partner – in der Regel die Ehefrau – weniger verdient als der andere. Er fällt umso höher aus, je ungleicher die Ehepartner verdienen und je höher das Bruttohaushaltseinkommen ist. Zwar kann grundsätzlich jede Frau (und jeder Mann) alternative Lebensformen wählen. Je weiter sie sich jedoch vom „Familienernährermodell“ entfernen, desto geringer wird die staatliche Unterstützung.

Das traditionelle Familienmodell, verbunden mit einer Mutterideologie, verhindert die gleiche Teilhabe der Geschlechter am Arbeitsleben. In Westdeutschland wird die Sorge für die Kinder – anders als in vielen anderen Ländern – als vorrangig private Aufgabe angesehen, die der Mutter zukommt. Wie stark dieses Familien- und Mutterideal favorisiert wird, machen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in mehreren Ländern deutlich: In Westdeutschland stimmen 71% der befragten Frauen und Männer der Aussage zu, ein Kind leide, wenn die Mutter arbeitet. In Ostdeutschland teilen diese Auffassung nur 34% der Befragten, in Schweden gar nur 28%.

Die bundesdeutsche Politik scheut vor verbindlichen Vorgaben zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft zurück. Pläne der rot-grünen Regierung für ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft waren wegen des anhaltenden Widerstands der Wirtschaft schnell vom Tisch. Dabei zeigt das Beispiel anderer Länder, welche Erfolge damit erzielt werden können. In den USA und in Kanada, in denen Gleichstellungsgesetze für die Privatwirtschaft seit längerem in Kraft sind, liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen inzwischen weit über 40%. 

Förderliche Entwicklungen

Legt man den schleppenden Prozess der letzten Jahre zugrunde, so spricht einiges für die Vermutung, dass echte Durchbrüche für Frauen wohl noch lange auf sich warten lassen werden. Allerdings sind auch Entwicklungen zu beobachten, die einen schnelleren Fortschritt ermöglichen könnten.

Das „Normalarbeitsverhältnis“ ist auf dem Rückzug. Der Dreiklang Berufsausbildung – Erwerbsleben – Ruhestand, der lange Zeit für die Berufsbiografien vor allem der Männer typisch war, verliert seine Allgemeingültigkeit. Die sich abzeichnende zukünftige Form der Arbeit aber ist den Frauen mit ihren „Patchwork-Biografien“ seit langem vertraut. Auf dem Weg in die zukünftige Arbeitswelt sind sie ein gutes Stück voraus.

Die niedrige Zahl der Geburten und die Folgen für die sozialen Sicherungssysteme haben in den letzten Monaten eine intensive Debatte ausgelöst. Die in unserem Land völlig unzureichende  Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist stärker als je zuvor ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Forderungen nach familienfreundlicheren Arbeitsstrukturen und dem Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung haben seither Konjunktur. Dabei wurde deutlich, dass diese Fragen nicht mehr als „Frauen-Gedöns“ abgetan werden können, sondern für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von entscheidender Bedeutung sind.

Die unter dem Stichwort „Pisa“ bekannten Studien zu Lernerfolg und Leistungsvermögen von Kindern haben gravierende Mängel des deutschen Bildungssystems offenbart. Weitgehend unbestritten ist, dass das Fehlen einer systematischen frühkindlichen Bildung zum schlechten Abschneiden der deutschen SchülerInnen beigetragen hat. Dies könnte die in Westdeutschland besonders verbreitete Vorstellung zurecht rücken, dass die ausschließliche Betreuung und Erziehung der Kleinkinder durch die Mütter dem Kindeswohl am zuträglichsten sei. Zudem sensibilisieren diese Ergebnisse die Öffentlichkeit für das Erfordernis, nicht nur flächendeckende sondern auch qualitativ hochwertige Kinder betreuung bereit zu stellen.

Und die Zukunft?

Ob sich der Wandel hin zu Chancen gerechtigkeit im Arbeitsleben zukünftig beschleunigen wird oder weiterhin nur schleppend voran kommt, ist angesichts des komplexen Zusammenspiels ganz unterschiedlicher Faktoren nicht sicher vorherzusehen.

Für die Entwicklung wird von großer Bedeutung sein, ob wir zu einer neuen Balance zwischen Berufs leben und sozialer Verantwortung gegenüber Kindern, Partnern und Freunden finden. Das drastische Kinderdefizit in Deutschland zeigt, dass eine Gesellschaft, die Erwerbsarbeit ohne Rücksicht auf soziale Belange konzipiert, erheblichen Schaden nimmt. Die bisherige Entwicklung zeigt auch, dass künftige Reformvorhaben die Gender-Frage nicht ausklammern dürfen. Denn immer weniger Frauen sind bereit, die unbezahlte Fürsorgearbeit allein zu übernehmen und auf ihre Berufs- und Karrierewünsche zu verzichten.
Trotz des unübersehbar drängenden Handlungsbedarfs ist allerdings ungewiss, ob ein Wandel erfolgen wird. So wird – ungeachtet der Forderungen nach einer familienfreundlicheren Arbeitskultur – gegenwärtig über die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeiten diskutiert. Besonders nachteilig betroffen wären davon wieder einmal vor allem die Frauen, die nach wie vor den Löwenanteil der familiären Fürsorgearbeit leisten.

Dr. Kristin Bergmann, 40 Jahre, ist Oberkirchenrätin im Kirchenamt der EKD. Ihr Aufgabenbereich umfasst Chancengerechtigkeit für Frauen und Männer sowie Altersfragen und Altenarbeit. Sie ist verheiratet und hat ein Kind

TIPP: Ein zusätzlicher Beitrag von Prof. Jutta Allmendinger über Fakten, Hintergründe und Aussichten für Frauen in Führungspositionen ist zugänglich im Material zum Herunterladen im Servicebereich!

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