Ausgabe 1 / 2015 Andacht von Ulrike Metternich

Gott dienen oder dem Geld

Andacht zu Lukas 16,13

Von Ulrike Metternich

Geht es Ihnen auch so? Kaum ein anderes biblisches Zitat schafft es wie dieses, mir in Sekundenschnelle ein schlechtes Gewissen zu machen: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld“ – oder wie Luther übersetzte: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“

Ich höre diese Worte, und schon frage ich mich: Sollte ich mir nicht weniger Sorgen machen, wie viel Geld ich verdienen kann? Ich wohne in einem der reichsten Länder der Erde, sollte ich nicht viel mehr Geld spenden? Darf ich überhaupt über Geldsorgen klagen, wenn es anderen so viel schlechter geht?

Unweigerlich fällt mir dann auch noch der Satz Luthers aus dem großen Katechismus ein, der lautet: „Woran du aber dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Also bin ich mit meinen Geldsorgen schon immer auf der falschen, sprich: gottesfernen Seite? Am liebsten möchte ich Luther zurufen: Ich weiß nicht, wie es zu deiner Zeit war, als alle Menschen noch fest davon überzeugt waren, dass es einen Gott gibt. Heutzutage ist es völlig okay ohne Gott zu leben, aber ohne Geld – das geht gar nicht. Ich brauche einen Job, der mich und meine Familie ernährt.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“ – Auf was zielt dieser Satz im Lukasevangelium? Um das herauszufinden, wollen wir einen Blick auf den Kontext werfen, dem er entnommen ist. Im 16. Kapitel des Lukasevangeliums hatte Jesus gerade ein eigenwilliges Gleichnis erzählt, das kurz zusammengefasst so lautet: Ein Verwalter eines Großgrundbesitzers wurde beschuldigt, das Vermögen seines reichen Herrn zu verschleudern, deshalb drohte ihm der Rausschmiss. In seiner Furcht vor der drohenden Bettelarmut überlegte der Verwalter, wer ihm in der Not wohl beistehen würde. Anscheinend konnte er auf keine Familie oder Freunde hoffen, und so fasste er den Plan, sich bei jemandem Gunst zu erkaufen. Ganz ausführlich wird geschildert, was der Verwalter tat. Er rief die Schuldner seines reichen Herrn herbei und fragte einen nach dem anderen: „Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der antwortete ihm: 100 Bat Öl (36,5 Hektoliter). Da sagte er zu ihm: Nimm hier deinen Schuldschein, setz dich schnell hin und schreibe 50. Danach sagte er zu einem anderen: Und du, wie viel bist du schuldig? Der antwortet: 100 Kor Weizen (364,4 Hektoliter). Er sagte zu ihm: Nimm hier deinen Schuldschein und schreibe 80.“ (Lk 16,5b-7). Mit dieser Aktion, so kalkulierte der Verwalter, würde er von nun an wohlwollend bei den Schuldnern aufgenommen werden.

Wenn wir diese Szene heute hören, wie beurteilen wir das Verhalten dieses Verwalters? Zunächst verschleudert er den Besitz seines Arbeitsgebers, und als die Kündigung droht, schadet er weiterhin dem Vermögen seines Herrn, indem er die von ihm ausgebenden Schuldbriefe auf erheblich niedrigere Summen umschreiben lässt.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken, in welcher Lage der Großgrundbesitzer, der Verwalter und die Schuldner sind. Wie beurteilen Sie das Verhalten der unterschiedlichen Personen? Wer wird geschädigt, wer profitiert, wer verliert und wer gewinnt?

Das Gleichnis selbst gibt eine überraschend eindeutige Positionierung: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, dass er klug gehandelt habe“, heißt es in Lk 16,8. Während diese Übersetzung des griechischen Wortes kyrios mit „Herr“ noch offen lässt, wer hier genau der Herr ist, entscheidet sich Luise Schottroff zu sagen: „Und Jesus lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“1 Aber kann man es sich überhaupt vorstellen, dass Jesus ein so eigenmächtiges und geschäftsschädigendes Verhalten positiv bewertet haben sollte? Die Frage ist berechtigt, und zu ihrer Klärung bedarf es einer näheren Untersuchung der gesamten Situa­tion, die im Gleichnis geschildert wird.

Lk 16,1f wirft einen Blick auf die ökonomische Struktur der Landverteilung im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Israel. Wenige Großgrundbesitzer besaßen ganze Landstriche, die ehemaligen Kleinbauern wurden Tagelöhner oder arbeiteten als Kleinpächter und Sklaven auf ihrem ehemals eigenen Grund und Boden. Sie verdienten oft zu wenig und hatten Mühe, ihre Kinder satt zu bekommen. Für die reiche Oberschicht wurden zahlreiche Bücher geschrieben, wie es am besten gelingen könnte, den weitläufigen Besitz zu bewirtschaften. So riet der römische Schriftsteller Columella, folgendermaßen vorzugehen, wenn die oft entfernt liegenden Ländereien verwaltet werden mussten: „Verwalter werden muss ein Sklave, der von Kind an durch Landarbeit abgehärtet und in der Praxis erprobt ist; wenn jedoch ein solcher nicht vorhanden ist, so sollte man einen von denen dazu anstellen, die ein mühevolles Sklavenleben ausgehalten haben.“2 Verwalter waren also in der Regel leibeigene Sklaven, die bei Vergehen von den Besitzern geschlagen und gefoltert werden konnten. Aus der Perspektive der Landbesitzer bargen die Verwalter aber immer auch ein gewisses Risiko, da sie, so Columella, „die Ochsen vermieten … nicht fleißig den Boden bearbeiten … selbst Korn stehlen …“.

Aus der Sicht des Verwalters und der anderen Sklaven und Sklavinnen mag die Sicht auf die Dinge eine ganz andere ge­wesen sein. Sie brauchten wahrschein­lich mehr zum täglichen Überleben als das, was ihnen die Besitzer zudachten, die sorglos in ihren feinen Luxuspalästen lebten. Unter Hunger und Verschuldung litten große Teile der jüdischen Bevölkerung, die durch Missernten und Notsituationen immer wieder gezwungen wurden, Schuldscheine zu unterschreiben, die sie später nie zurückzahlen konnten. Die Verschuldung breiter Teile der Bevölkerung war eine tagtägliche Bürde, von der die meisten sich auch mit größtem Fleiß nicht mehr befreien konnten. Die Schuldscheine, so wie sie in dem Gleichnis vorkommen, mussten vom Schuldner unterschrieben werden und wurden dann vom Gläubiger sorgfältig im eigenen Haus oder in Archiven aufbewahrt. Der Druck der Schuldenlast schürte Aggressionen und Gewaltausbrüche. So kam es zum Beispiel 66 n.Chr. zu bewaffneten Aufständen, bei denen in Jerusalem nicht nur die Häuser des Hohepriesters und des Königs in Brand gesetzt wurden, sondern gezielt auch die Archive, um die dort gelagerten Schuldbriefe zu vernichten.

Mit wem werden die Menschen, die da­mals das Gleichnis hörten, sich iden­tifiziert haben? Viele der Hörer und Hörerinnen um Jesus herum sind sicherlich selbst verschuldet gewesen und kannten die schlaflosen Nächte mit sorgenvollem Herzen und leerem Magen. Die im Gleichnis geschilderte Tat des Verwalters schadet zwar dem Großgrundbesitzer, entlastet aber viele der verschuldeten Männer und Frauen. Wenn wir diese Perspektive einbeziehen, können wir jetzt noch einmal fragen und neu diskutieren, warum Jesus das geschäftsschädigende und damit eigentlich kritikwürdige Verhalten des Verwalters lobt. Mögliche Antworten sind: Jesus lobt das Verhalten des Verwalters, weil dieser – zwar aus Eigennutz, aber immerhin – die Schuldenlast der Bevölkerung minimiert hat. Das System der Spirale von Verschuldung und weiterer Verschuldung wird unterbrochen. Das Thema Schulden ist im gesamten Neuen Testament von einer solchen Relevanz, dass sich die Bitte um Schuldenerlass sogar im Vater-Unser findet: „Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind.“ (Mt 6,12 BigS) Das Gleichnis als Ganzes entlarvt eine ökonomische Ordnung, in der der Reichtum weniger auf der Verschuldung vieler aufbaut.

Und wie sieht es heute aus? Der Schuldner Atlas Deutschland 20133 hat erschreckender Weise aufgezeigt, dass in unserem Land fast ein Zehntel der Bevölkerung hoch verschuldet ist. Gründe dafür sind nicht nur Arbeitslosigkeit, Krankheit und Scheidung, sondern auch zunehmend die Ausbreitung des Niedriglohnsektores. Menschen mit einem niedrigen Einkommen stehen in der Gefahr, in eine Schuldenspirale zu geraten, aus der sie sich ohne Hilfe nicht mehr befreien können. In die Schuldenfalle geraten nicht nur junge Menschen, die Ratenkredite aufnehmen; bereits jeder dritte Haushalt in Deutschland finanziert Dinge des täglichen Lebens mit solchen Krediten. Besorgnis erregend ist besonders, dass 38 Prozent der Alleinerziehenden überschuldet sind. Betroffen von Armut sind viele Kinder, aber auch alte Menschen mit geringen Renten. Die Halbierung der Schulden und das Zerreißen der Schuldscheine wäre auch für viele Menschen in unserem Land eine Befreiung.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“ – Der Satz folgt dem Gleichnis von dem Verwalter, der die Schuldscheine zu Gunsten der Schuldner umschreibt. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, das ist aus der Perspektive derer zu lesen, die struktureller Ausbeutung ohnmächtig ausgeliefert sind. Der Satz meint also: Es ist gottlos, mit Geld so umzugehen, dass es Menschen in die Schuldenfalle treibt. Leider haben nicht nur damals die Vermögenden dafür gesorgt, dass das Geld allein ihnen dient. Schauen wir heute auf die Finanzströme der Welt, dann kommt auch hier das Geld nur wenigen zugute, während viele verlieren. Die Schere zwischen Armen und Reichen geht immer weiter auseinander, wir beobachten es in unserem Land und auf der ganzen Erde. Die Folgen der aus den Fugen geratenen Finanzwelt treffen in der globalisierten Welt die Ärmsten der Armen zuerst, Beispiele dafür gibt es mehr als genug.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“ – Den Satz zu hören, lässt auch darüber nachdenken, was es denn bedeutet, Gott zu dienen. Erinnern wir uns an die Sätze, die Jesus aus der Tora zitierte, als er gefragt wurde, was man tun müsse, um das ewige Leben zu gewinnen. Jesus antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27) Als der fragende Schriftgelehrte nachhakte, wer der Nächste sei, erzählte Jesus das Gleichnis von dem Mann, der auf der Straße zwischen Jericho und Jerusalem niedergeschlagen und ausgeraubt wurde (Lk 25,30-37). Derjenige, der diesen Menschen aufgehoben hatte, ihn in ein Gasthaus gebracht und mit seinem eigenen Geld für die Pflege des Misshandelten bezahlt hatte, der hatte den Willen Gottes getan. Gott dienen heißt also, sein Geld so einzusetzen, dass es denen aufhilft, die schutzlos am Boden liegen.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld“ meint nicht, dass es gottlos ist, genug Geld zu haben, um leben zu können. Aber es ist gottlos, über dem eigenen Reichtum die Not des Nächsten auszublenden. Bezeichnenderweise folgt in Lk 16,19-31 noch ein weiteres Gleichnis, in dem ein reicher Mann auftaucht: Lazarus, der in himmelschreiender Ignoranz sein Luxusleben genießt und den kranken und geschundenen Menschen nicht wahrnimmt, der vor den geschlossenen Türen seines Hauses sterbend verhungert. Es ist nicht gut, dass der Reiche den Armen nicht sieht. So einfach ist das. Wagen wir es, diejenigen wahrzunehmen, die vor unseren Türen stehen und um Aufnahme bitten? Irgendwann müssen wir uns entscheiden, ob wir Gott und den Menschen dienen wollen oder dann doch lieber nicht. Die Gleichnisse Jesu werden auf einmal sehr aktuell und stellen uns unangenehme Fragen – nach unserem Tun, nach unserem Gottes-Dienst im Alltag einer Welt, in der jeden Tag die Menschlichkeit mit Füßen getreten und mit Waffen zerstört wird.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“ – Als Jesus damals diesen Satz sagte, verspotten ihn diejenigen, die viel Geld hatten, und lachten über ihn (Lk 16,14). Der Welt der Finanzen ist doch nicht mit frommem Gerede von Gott beizukommen! Lachen wir mit – oder bleibt uns das Lachen in der Kehle stecken? „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ appelliert an unser Herz. Dieser Satz will uns aus unserer Konsumwelt herauslocken. Wir sind mehr als Käuferinnen und Käufer. Wir haben eine Seele und ein Gewissen. Wir sind mehr als unsere Kundendateien bei Amazon und Co. Sehen wir es nüchtern: Das einzige, was die Wirtschafts- und Finanzwelt an uns interessant findet, ist unsere Kaufkraft.

Schließen Sie einen Moment die Augen – ja, jetzt – und denken Sie darüber nach, was Ihnen wirklich wichtig ist. Was ist ihr größter Wunsch? Was sehnen Sie herbei?

Es steht zu vermuten, dass Ihre Sehnsuchtsliste weit mehr enthält als materiellen Besitz. Mit der gesamten biblischen Tradition können wir darauf vertrauen, dass die meisten von uns tief im Innersten wissen, dass unser Glück und unser Wohlbefinden nicht an der Geldmenge hängt, über die wir verfügen können, sondern von Freundschaft, Geborgenheit und gegenseitiger Fürsorge. Was würde geschehen, wenn wir uns von dem Satz „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld“ locken ließen, darauf zu vertrauen, dass eines Tages eine Zeit kommt, in der sich nicht die Finanzströme immer weiter ausbreiten, sondern die Menschenfreundlichkeit Gottes? Was würde geschehen, wenn wir uns locken ließen, jetzt schon an dieser Welt mitzuwirken, so wie es Dorothee Sölle mit einem Gedicht4 sagte?

Zeitansage

Es kommt eine zeit
da wird man den sommer gottes
kommen sehen
die waffenhändler machen bankrott
die autos füllen die schrotthalden
und wir pflanzen jede einen baum

Es kommt eine zeit
da haben alle genug zu tun
und bauen die gärten chemiefrei
wieder auf
in den arbeitsämtern wirst du
ältere leute summen und pfeifen hören

Es kommt eine zeit
da werden wir viel zu lachen haben
und gott wenig zum weinen
die engel spielen klarinette
und die frösche quaken die halbe nacht

Und weil wir nicht wissen
wann sie beginnt
helfen wir jetzt schon
engeln und fröschen
beim lobe gottes

Lied:
Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht

Gebet:
Gott, mache unsere Herzen weit und unseren inneren Frieden groß.

Lass uns aus deiner Fülle heraus leben,
lehre uns zu erkennen, was wir wirklich brauchen
und was wir schenkend weitergeben können.

Lass uns aus deiner Freude heraus leben,
gib uns die Gabe, die Schönheit der Welt
jeden Tag neu zu entdecken und
dankbar zu genießen.

Lass uns aus deinem Vertrauen heraus leben,
damit wir einander in Begegnungen und Gesprächen
in gegenseitigem Wohlwollen begegnen können.

Gott, mache unsere Herzen weit
und unseren inneren Frieden groß,
damit dein Friede
zwischen uns wachsen kann.
Amen

Segen:
Die Freundlichkeit Gottes
segne und behüte euch,
stärke euren Mut und eure
Hoffnungskraft
heute und alle Tage eures Lebens.
Amen

Dr. Ulrike Metternich, geb. 1957, ist feministisch-sozialgeschichtliche Exegetin. Sie war Theologische Referentin der Frauenarbeit der EKBO. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA lebt sie heute wieder in Berlin und ist freiberuflich tätig.

Anmerkungen
1) Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, 206
2) Columella: Über Landwirtschaft. Ein Lehr- und Handbuch der gesamten Acker- und Viehwirtschaft aus dem 1. Jahrhundert u.Z., 2. Auflage Berlin 1976, 1. Buch 8. Kapitel
3) zugänglich unter www.creditreform.de/aktuelles/news-list/details/news-detail/schuldneratlas-deutschland-2013.html
4) Dorothee Sölle, Zeitansage, in: loben ohne lügen. Gedichte, © Wolfgang Fietkau Verlag, Berlin 2000

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