Ausgabe 2 / 2005 Andacht von Kerstin Möller

Gott hat uns gegeben den Geist der Kraft

Eine Andacht zur Überwindung vermeintlicher Schwäche

Von Kerstin Möller

Weißt du, sagt meine südafrikanische Freundin neben mir, ich glaube, Gott will, dass wir durch den Glauben stark und stolz sind. Ich sehe sie fragend an. Ja, fährt sie fort, Gott hat uns geschaffen und gesagt: Siehe, es ist sehr gut. Wie können wir dem entsprechen, wenn wir uns klein und schwach machen lassen, von wem auch immer? Das gilt besonders für uns Frauen und natürlich für uns Schwarze. „Black is beautiful – schwarz ist schön.“ Indem wir das zeigen und leben, geben wir Gott die Ehre. Aber dafür müssen wir es erst einmal selbst glauben…
Wir gehen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her und ich sinne dem nach, was Nonjebo gesagt hat. Sich nicht selber klein machen oder klein machen lassen. Die eigene Schönheit offen zeigen, stolz sein. Mit der eigenen Stärke bewusst und sichtbar umgehen: Gewiss, mein Kontext ist ein ganz anderer als ihrer, und doch macht es das nicht leichter. Bestimmte religiöse Traditionen haben uns gelehrt, dass Stolz und Glaube nicht zusammen passen. Und selbst die von uns, die im Leben „ihre Frau stehen“, tun dies nicht selten auf die vorsichtige und diplomatische Art, nach dem Motto: zu viel Frauenpower verunsichert die Männer.

Das Kleinsein und Schwachsein haben viele von uns gelernt oder gar bitter lernen müssen. Es macht uns und anderen das Leben oft schwer oder gar ausweglos. Es ist nicht leicht, das abzulegen. Ein Schritt auf diesem Weg ist das Gebet, in dem wir vor Gott legen, was uns geprägt oder verletzt hat, und gemeinsam um Gottes verändernde und heilende Kraft bitten, wenn wir zusammen singen: „Kyrie eleison“
(EG 178.9).

Gott des Lebens
wir sehen vor dir auf Situationen,
in denen wir von anderen kleingemacht wurden,
in denen unsere Stimme überhört wurde,
unsere guten Ideen anderen  zugeschrieben
und unsere Erfolge relativiert wurden.
So kommen wir zu dir und bitten:
Kyrie eleison

Gott der Gerechtigkeit,
wir klagen dir Erfahrungen von Demütigung und Gewalt,
in denen die Schönheit und Würde  deiner Schöpfung
an Frauen geschändet wurde.
So kommen wir zu dir und bitten:
Kyrie eleison

Gott der Ermutigung,
wir werden uns vor dir der Begeben heiten bewusst,
in denen wir uns selber klein und schwach gemacht haben,
weil wir meinten keinen anderen Weg zu sehen,
weil wir es für taktisch klüger hielten,
weil wir unsere Schwäche benutzt haben, um unsere Ziele zu erreichen.
So kommen wir zu dir und bitten:
Kyrie eleison

Die Elemente der eigenen Kleinheit und Schwachheit ansehen und wahrnehmen, was daran real ist, was eingeübt oder anerzogen, was von anderen behauptet: Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, auf sich selbst zu sehen. Wo sind solche Seiten und Erfahrungen? Wo vielleicht aber auch Erlebnisse und Begegnungen, die in eine andere Richtung weisen? Wo in alledem begegne ich Gott, dem Göttlichen? Nur wenn ich schwach bin? Was ist mit meiner Stärke?
– kurzes Gespräch in Murmelgruppen
Lied: Du Gott stützt mich, du Gott stärkst mich, du Gott machst mir Mut.
(Kopiervorlage S. 23)
Zu denken, dass wir uns nicht klein machen müssen, um Gottes Nähe zu erfahren, dass Gott nicht nur da besonders nah ist, wo wir schwach sind, sondern Freude hat an unserer bewusst gelebten Schönheit und Stärke, das stellt unseren Glauben und unsere Spiritualität auf weiten Raum.
Davon lasst uns etwas erspüren, indem wir zusammen aus dem Gebet und Lobgesang der Hanna lesen:
 Mein Herz ist fröhlich in Gott,
 mein Haupt ist erhöht in Gott.
 Es ist niemand heilig wie Gott,
 außer dir ist keiner
 und ist kein Fels,
 wie unser Gott ist.
 Der Bogen der Starken ist zerbrochen
 und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
Lied: Du Gott stützt mich, du Gott stärkst mich, du Gott machst mir Mut.
 „Der Bogen der Starken ist zerbrochen und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.“ Es gibt offensichtlich verschiedene Arten von Stärke. Die bloße Alternative – entweder stark oder schwach – führt in die Irre. Ebenso übrigens wie die Rede von der Frau als schwachem Geschlecht. Von Gott wird gesagt, er zerbricht den Bogen des Starken. Oder wie im Lobgesang der Maria: Gott stößt die Gewaltigen vom Thron. (Lukas 1,52 ) Aber daraus zu schließen, dass es unsere Aufgabe sei, als Christinnen möglichst klein, schwach und niedrig zu sein, um Gott stark erscheinen zu lassen, ist eine Ecke zu weit gesprungen. Und ist auch weit davon entfernt, Gott die Ehre zu geben. Gott bricht Stärke dort, wo sie missbraucht wird, wo sie anderen Gewalt antut, wo sie ihr Fundament in Gott verliert. Gleichzeitig wird in der Bibel immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass es Gott darum geht, uns zu bestärken im Glauben, stark zu machen für ein Leben nach Gottes Weisung, mutig, ja furchtlos. So, wie es im 2. Timotheusbrief heißt: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Timotheus 1,7). Und so wünscht auch Paulus den Menschen in seinen Gemeinden: „… dass Gott euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch Gottes Geist an dem inwendigen Menschen.“ (Epheser 3,16)

Wie es sich verhält mit unserem Schwachsein und Starksein, dazu einige Gedanken des ersten demokratisch gewählten südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela. In seiner Antrittsrede 1994 sagte er:

Unsere tiefste Furcht ist nicht die,
unzulänglich zu sein.
Unsere tiefste Furcht ist, kraftvoll zu sein
jenseits aller Vorstellungen.
Es ist unser Licht, nicht unser Dunkel,
das uns am meisten schreckt.
Wir fragen uns, wer bin ich denn schon,
brillant, großartig, begabt und fabelhaft sein zu wollen.
Nun,
was fällt uns überhaupt ein,
dies nicht zu sein?
Wir sind Kinder Gottes.
Unser Klein-Spielen hilft der Welt nicht.
Es ist nichts Erleuchtetes daran,
uns klein zu machen,
nur damit andere sich in unserer Gesellschaft nicht verunsichert fühlen.
Wir sind geboren, um das Licht Gottes,
das in uns ist, sichtbar werden zu lassen.
Und dieses Licht ist nicht nur in einigen von uns,
es ist in jedem und jeder von uns!
Sobald wir unser Licht scheinen lassen,
geben wir unbewusst anderen
die Erlaubnis,
es auch zu tun.

Brillant, großartig, begabt und fabelhaft sein, um so das Licht Gottes, das in uns ist, sichtbar werden zu lassen…
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, um diesen Gedanken auf sich wirken zu lassen. Wie könnte das für mich sein? Sich in meinem Leben auswirken? Was würde es verändern? Tauschen Sie Ihre Gedanken, Impulse oder auch Widerstände miteinander aus.
– kurzes Gespräch in Murmelgruppen
Glaubenslieder fassen ganz oft unsere Visionen in Worte. Nicht selten singen wir sie auch gegen die Realität an und bringen damit unsere Hoffnung und Sehnsucht zum Ausdruck. Viele von uns Frauen singen das Lied „Du meine Seele, singe“ mit dem veränderten Text von Esther Schmid, weil wir darin unseren Glauben, unser Erahnen des Göttlichen eher wiederfinden:
Lied: Du meine Seele, singe (Frauenfassung; Kopiervorlage S. 23; größer zum Ausdrucken auch unter www.ahzw.de)
Diese Gedanken zu Schönheit und Stärke im Horizont des Glaubens haben nicht nur einen persönlichen, sondern auch einen gesellschaftlichen und weltweiten Kontext. Sie rufen uns in die Verantwortung für die Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden. Gott die Ehre geben meint, dass wir unsere Stärke wagen und einbringen – zusammen mit unseren Schwestern weltweit – in den Fragen des Lebens und Überlebens.

Als Ausdruck dieser Stärke stellen wir uns (wo möglich) in einen Kreis und lassen so unsere Dankgebete aus der Mitte unserer Gemeinschaft aufsteigen. Wir nehmen die Gebete gemeinsam auf, in dem miteinander jeweils einen Vers des Liedes „Ich lobe meinen Gott“ singen. (Kopiervorlage S. 44)

Während des Gesangs bringen jeweils Frauen Blumen und stellen sie in eine bereitstehende Vase in der Mitte, so dass am Ende des Dankgebetes ein schöner Strauß die Mitte schmückt.

Gott, du hast uns gegeben einen Geist der Stärke.
Wir danken dir für diese Gabe:
für das, was wir mit dieser Stärke vermögen
in unserem eigenen und im Leben anderer,
in Zeiten der Freude, aber auch in schweren Stunden.
In einem Moment der Stille denken wir vor dir
an solche ganz persönlichen Momente der Stärke.
Lied: Ich lobe meinen Gott, Vers 1
Gott, wir danken dir für die Kraft und Schönheit
unserer Schwestern weltweit.
Stellvertretend für so viele nennen wir
Wangari Maathai,
die ihrem Volk Hoffnung
und die Vision einer lebenswerten Zukunft geschenkt hat,
und Ophelia Ortega aus Kuba,
die mit ihrer Theologie und Spiritualität
ihre eigene Begeisterung an uns weiterschenkt.
Lass uns ein Auge dafür behalten,
wann sie uns brauchen
und wann wir ihre Hilfe bitter nötig haben.
Wir danken dir für unsere gemeinsame Stärke.
Lied: Ich lobe meinen Gott (V. 2)
Gott, wir bitten dich um den Geist der Stärke
für den Weg der vor uns liegt:
dass wir nicht müde werden in unserem Protest,
wo Frauen Gewalt erleiden und ihrer Rechte beraubt werden,
dass wir mutig unsere Gaben und Fähigkeiten einbringen
und unseren Anteil an der Gestaltung dieser Welt einfordern.
Wir danken dir für die Gabe,
andere anzustecken mit der Freude
an unserer eigenen Schönheit und Stärke.
Ich lobe meinen Gott (V. 3)
Vaterunser

Es segne uns Gott
und schenke uns die Achtung vor der Schönheit des Geschaffenen.
Es segne uns Gott in Jesus
und lege in uns die Ermutigung zum eigenen Ich.
Es segne uns Gott durch die heilige Ruach
und gebe uns den Geist der Stärke,
dass wir mutig unseren Weg gehen
auf den Spuren der Weisung Gottes.

Kerstin Möller, 40 Jahre, war neun Jahre lang Gemeindepastorin in Flensburg. Seit März 2004 ist sie Leiterin des Nordelbischen Frauenwerks.

Arbeitsmaterial:

Du meine Seele, singe,
wohlauf und singe schön
der, welcher alle Dinge
zu Dienst und Willen stehn.
Ich will die Weisheit droben
hier preisen auf der Erd;
ich will sie herzlich loben,
solang ich leben werd'.

Ja, ich bin nicht zu wenig,
zu rühmen ihren Ruhm.
In ihrem großen Garten
bin ich ein blühend' Blum.
Bin Spiegelbild und Schatten
der einen großen Kraft,
die durch mich lebt und atmet
und neues Leben schafft.


Text: Esther Schmid; nach dem Lied von Paul Gerhardt (EG 302), Quelle unbekannt.

 

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang