Votum Im Namen Gottes, Grund und Ursprung unseres Seins, / im Namen Jesu, Zuflucht für unsere Sehnsucht, / im Namen Heiliger Geistkraft, Lebensatem in uns. Amen
Lied
Meine Hoffnung und meine Freude,
meine Stärke mein Licht, Jesus, meine Zuversicht
Durch Hohes und Tiefes, Nr. 134 1
Wer in der Lutherstadt Wittenberg von einem ganz bestimmten Wohnzimmer aus Richtung Schloss schaut, blickt direkt auf den markanten Rundturm der Schlosskirche. Im Mittelalter war er Burgfried einer Festungsanlage, bevor er im 19. Jahrhundert mit einer kupfernen Haube bekrönt wurde. Unter der Haube verläuft rund um den Turmschaft ein großer Schriftzug. Genau von diesem Wohnzimmer aus lassen sich von dem Wortband nur diese Relikte lesen: „…AFFEN • EIN • FEST…“. Der ganze Wortfries lässt sich nur buchstabieren, wenn die Wohnung und somit die verbaute Perspektive verlassen und der Turm aus mehreren Blickwinkeln betrachtet wird. Dieser Bewegung wollen wir in der Andacht folgen. Sie lädt uns dazu ein, das Wortgebäude zu umrunden.
Inmitten der Tourist*innenströme an der Wittenberger Schlosskirche lässt sich der vollständige Text des Schriftbandes entdecken: EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT, EIN GUTE WEHR UND WAFFEN – der Anfang des bekannten Liedes von Martin Luther. Dem Liedtext aus dem Jahr 1529 liegt Psalm 46 zugrunde. In der ersten Strophe beschreibt Luther Gott als feste Burg, als „gute Wehr und Waffen“. Seine bildgewaltige Psalmübertragung hat Luther selbst mit einer kraftvoll eingängigen Melodie vertont. Wie kaum ein anders Lied in der gerade 500jährigen Geschichte des Evangelischen Gesangbuches klingt diese „Hymne der Reformation“ trotzig-tröstend durch die Zeiten. Es prägte auch meine Sicht auf den Psalm 46. Doch ist der Psalm tatsächlich ein Kriegslied, ist Gott ein wehrhafter Kriegsherr, der dem „alt bösen Feind“ gegenübertritt?
Lesung aus Ps 46
Lesen wir aus Psalm 46 die Verse 2-12 in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache im Wechsel:
2Die Gottheit ist uns Zuflucht und Macht | als Helferin in Nöten lässt sie sich finden. 3Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde schwankt, | wenn die Berge im Herzen der Meere wanken. 4Die Wasser toben, sie schäumen, | die Berge erbeben, wenn sie sich erhebt. SELA 5Die Arme eines Stromes erfreuen die Stadt Gottes, | die heilige Wohnung der Höchsten. 6Gott ist inmitten der Stadt, sie wankt nicht | Die Gottheit hilft ihr, wenn der Morgen anbricht. 7Völker tobten, Königreiche wankten. | Die Gottheit erhob ihre Stimme, da schwankte die Erde. 8Adonaj der Himmelsmächte ist bei uns, | eine Fluchtburg ist uns die Gottheit Jakobs. SELA 9Geht, schaut auf die Taten Adonajs, | der Unfassbares auf der Erde vollbringt: 10Gott setzt den Kriegen ein Ende überall auf der Erde, | zerbricht den Bogen, zerschlägt den Speer, | verbrennt die Streitwagen im Feuer. 11Lasst ab vom Krieg und erkennt: Ich bin Gott, | ich bin erhaben unter den Völkern, erhaben über die Erde. 12Adonaj der Himmelsmächte ist bei uns, | eine Fluchtburg ist uns die Gottheit Jakobs.
Der 46. Psalm besingt Jerusalem als Ort des Friedens: „Der Ort, an dem die Gottheit wohnt, ist das Zentrum der tosenden Welt, dem die Feinde nichts anhaben können. An diesem Ort herrschen Segen, Frieden, Gerechtigkeit. Die Übersetzung ‚Fluchtburg‘ im Refrain, der als Ausruf der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt gestaltet ist, versucht, diese Charakterisierung Jerusalems sprachlich aufzunehmen. Das ihr zugrundeliegende hebräische Wort hat die Konnotationen ‚hoch, schwer erreichbar‘ und ‚Zuflucht‘. Gott ist uns Fluchtburg, Ort des Innehaltens, Schutz vor Anfeindung.“2
Die Zusagen des inneren und äußeren Friedens in der Gottesstadt beziehen sich nicht allein auf Jerusalem. Sie gelten ausdrücklich universell,3 allen auf dem Erdkreis Wohnenden (Vers 11), so auch uns.
Wie in vielen Gemeinden findet seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Ukraine-Krieges, auch in der Stadtkirchengemeinde Wittstock/St.-Marien-Kirche jede Woche mittwochs ein Friedensgebet statt. Es war die erste, entschlossene Reaktion auf die Ungeheuerlichkeit dieses Angriffskrieges, nur zwei Grenzen von uns entfernt, und auf die Proklamation der „Zeitenwende“, die dem folgte. Die Menschen in der Gemeinde wollten das tun, was die Gläubigen in der letzten von ihnen erlebten „Wende“, der Friedlichen Revolution 1989, taten: Friedensgebete halten.
Seit über 100 Wochen betet die Gemeinde nun in der Eingangsliturgie des Friedensgebetes den Psalm 46, gemeinsam oder im Wechsel gesprochen. Der Psalm ist vielen der Betenden in dieser Zeit zu einem Anti-Kriegstext geworden, betont er doch, dass Gott gerade nicht, wie an anderer Stelle im Ersten Testament, Krieg führt (Josua 10). Vielmehr betont er, dass Gott den Kriegen ein Ende setzt – überall auf der Erde: „Gott vernichtet die Waffen, zerbricht die Bogen, zerschlägt den Speer, verbrennt die Streitwagen im Feuer.“ So haben wir es gerade im Vers 10 gesprochen. Diese Unfassbarkeit des Wirkens Gottes (Vers 9) ist getragen von der gleichen visionären Gewissheit wie in den prophetischen Texten von Jesaja 2 und Micha 4: „Sie werden ihre Schwerter zu Flugscharen und ihre Spieße zu Sicheln schmieden.“ Gott setzt den Kriegen ein Ende überall auf der Erde – darauf trauen die Betenden von Ps 46. Sie hoffen auf Gott und sind gewiss, dass Gott nicht mit Wehr und Waffen kommt.
In Vers 2 wird Gott mit der weiblichen Form ezra, „Helferin“, bezeichnet. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt: „Die Gottheit ist uns Zuflucht und Macht, als Helferin in Nöten lässt sie sich finden.“ Die Bibel spricht (nicht nur) in Ps 46 von Gott Geschlechter umfassend4 und in vielen tröstenden Bildern. Darin liegt unsere Zuversicht, auch in den gegenwärtigen Friedensgebeten: dass wir die vielfältigen Gottespreisungen der Betenden vor uns und mit uns gegenwärtig halten.
Das Bild von der Fluchtburg, dem festen und unverrückbaren Zufluchtsort, ist das erste und herausragende Motiv, das sich durch unseren Psalm webt – ein Motiv, das die naheliegenden Assoziationen wehrhafter Unbezwingbarkeit und winterkalter Verliese weckt.
Eine gänzlich andere, eine mystische Sicht auf das Bild der Burg legt uns die Heilige
Teresa von Avila (1515-1582) ans Herz. Geboren und aufgewachsen in der kastilischen Stadt Avila, hat sie die mit wehrhaften Türmen bestückten, granitenen Stadtmauern vor Augen. Als junge Frau beschloss sie ins Kloster einzutreten und ihr Leben am Gebet und der sie fordernden Arbeit auszurichten: ora et labora, bete und arbeite. Die Gemeinschaft der Schwestern vom Karmel war ihre geistliche Heimat und sollte zugleich ihre Lebensaufgabe werden. Sie besuchte die Konvente ihres Ordens und war Seelsorgerin, nicht allein für die karmelitischen Schwestern. Sie sah die Missstände und Auswüchse des Ordenslebens, und es wurde ihr zum Auftrag, den Orden zu seinen „Kernaufgaben“ und Quellen zurückzuführen. So wirkte sie als Reformatorin des Klosterwesens, gründete selbst 18 Frauenklöster und 15 Männerklöster.5
Als Zeitgenossin Luthers, der in Spanien als Ketzer galt, wurde ihr Reformeifer von der kirchlichen Hierarchie argwöhnisch beäugt. Der päpstliche Nuntius nannte sie das „ruhelose, streunende Weib“,6 das im Eselskarren kreuz und queer durch die spanische Halbinsel reiste. Ihre so gemachten Erfahrungen, buchstäblich er-fahren, schrieb sie schließlich auf Bitten Gleichgesinnter nieder: zur Klärung für sich selbst, zur geistlichen Ausrichtung für ihre Mitschwestern, aber angesichts der allgegenwärtigen Inquisition ausdrücklich auch zur standhaltenden Prüfung durch Gelehrte. Mehrere Bände kamen so im Laufe der Jahre zustande. Ihre letzte Schrift, gleichsam ihr Vermächtnis und Summe ihrer mystischen Erfahrungen, schrieb sie mit 62 Jahren. In der Schrift „Die innere Burg“ beschreibt sie den Weg ihrer Seele zu Gott als das Durchschreiten einer Burg mit sieben Wohnungen, „bis sie zu der strahlenden Mitte gelangen kann, wo die tief geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen. Der Schlüssel ist für Teresa das Gebet, jene absolute Hinkehr zum Höchsten in der Tiefe des eigenen Wesens.“ Hier ersehnt sie den, wie sie schreibt, „Freundschafsverkehr“ mit der Ewigen, in einer ständigen selbstlosen Bewegung des Suchens und Gefundenwerdens.
Mit der „inneren Burg“ eröffnet uns Teresa einen mystischen, stillen Weg zum inneren Zufluchtsort in und mit Gott. In allen Ängsten, Krankheiten, Kriegen und Krisen, die sie selbst betroffen haben, kann sie von dem Weg „in der inneren Burg“ ihren Schwestern und uns heute zurufen: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich beunruhigen, Gott allein genügt. Basta.“
Lied
Nada te turbe, Durch Hohes und Tiefes, Nr. 130
Bei der neuerlichen Umrundung des Psalms wird deutlich: Das Bild der Burg ist gedanklich eng verbunden mit meinen Bildern von Gott: als wehrhafter Burgherr oder als „fürsorgliche aufnehmende Helferin“ oder…
Ich lade Sie jetzt ein, sich über Erfahrungen der Gegenwart Gottes in Ihrem Leben auszutauschen. In die Stille nehmen wir zunächst die Frage mit: Welches Bild oder Trostwort kommt mir in den Sinn, wenn ich an Zuflucht und Bewahrung durch Gott denke?
circa 3-5 Minuten Stille
Sind Ihnen in der Stille gerade Worte in den Sinn gekommen, die Sie in Ihrer Wohnung aufhängen oder an Ihr Haus schreiben würden?
Die Anwesenden werden eingeladen, solche Worte/Sätze auf je ein DIN-A4-Blatt zu schreiben. Wer will, kann seine/ihre Worte laut nennen und in die Mitte legen (oder an den Wänden des Raums aufhängen). Abschließend kann die Gruppe sich kurz über die Worte austauschen.
Nachdem wir den Psalm 46 jetzt umrundet haben, singen wir abschließend einen neuen Text auf die alte Melodie von „Ein feste Burg ist unser Gott“ eg 362.
Ein fester Zufluchtsort ist Gott, | bewährt, doch ohne Waffen. | Gott steht uns bei in aller Not, | lehrt uns den Frieden schaffen: | Barmherzig und fair, | so sei unsre Wehr, | friedliebend und frei | sei unser Gedeih, | sei Stärke und nicht Schwäche.
Und wenn die Welt voll Chaos wär‘, | voll Hass und Grausamkeiten, | so fürchten wir uns nicht so sehr, | denn Gott will uns begleiten. | IHR Hilf‘ und Geleit | stärkt uns allezeit, | lässt uns widerstehn, | wo wir in Sorge gehn, | IHR Wort kann uns doch trösten.
Die Seelenburg steht fest und schön, | Gott hält die Tore offen. | Dort kann ich kommen, bleiben, gehn‘, | kann glauben, lieben, hoffen. | Von Geistkraft bewegt, | die Gott in mich legt, | will wandern darin | zu wandeln meinen Sinn, | nicht auf der Stelle treten.7
Hinweis für Leiter*innen: Wenn Sie die Stationen in verteilten Rollenlesen wollen,finden Sie den Andachtstext als Download im Material zur Ausgabe unter www.leicht-und-sinn.de.
Carola Ritter ist ev. Theologin, Pfarrerin der EKBO und amtierende Superintendentin im Ev. Kirchenkreis Wittstock-Ruppin. Zuvor war sie elf Jahre lang Leiterin der Frauenarbeit in der EKM und Mitglied im Präsidium der Ev. Frauen in Deutschland sowie von 2020 bis 2022 Theologische Referentin im Ev. Zentrum Frauen und Männer in Hannover.
Textquellen
1) Durch Hohes und Tiefes, Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, München 2008
2) Christl Maier in: Bibel in gerechter Sprache – Infoletter Nr. 7; zugänglich unter https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/wp-content/uploads/info7.pdf
3) Claus Westermann. Ausgewählte Psalmen, Göttingen 1984, S. 201
4) Christl Maier a.a.O.
5) Vgl.: https://www.feinschwarz.net/teresa-von-avila-und-die-die-innere-burg/
6) Hier und i.F. zitiert nach: Teresa von Avila, Die innere Burg. Herausgegeben und übersetzt von Fritz Vogelsang, Zürich 1979, S. 7
7)©Text Carola Ritter
Eine letzte Ausgabe der leicht&SINN zum Thema „Bauen“ wird Mitte April 2024 erscheinen.
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