Alle Ausgaben / 2013 Editorial von Margot Papenheim

Gott nahe kommen

Von Margot Papenheim

Ach du lieber Gott! Ich bin nicht stolz drauf – aber das war mein erster, durchaus ablehnender Gedanke, als ich von der Auswahl der Jahreslosung 2014 erfuhr. „Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ (Ps 73,28) In welche Richtung kann das schon gehen? Weltlose Frömmigkeit, unpolitischer Glaube, gefühlige Spiritualität? Mystik eben …

Mystik, sagt der Duden, ist eine „Form der Religiosität, bei der durch Versenkung, Hingabe, Askese u.ä. eine persönliche, erfahrbare Verbindung mit dem Göttlichen gesucht wird.“ Versenkung, Hingabe, Askese? Wenn das so ist, kann ich Fulbert Steffensky nur zustimmen. Den stört an der Mystik, „dass sie einfach nichts für einfache Leute ist“.

Im Gespräch mit Dorothee Sölle, dokumentiert im Vorwort zu deren Buch über „Mystik und Widerstand“, wird allerdings sehr bald klar, dass ich mit meiner Spontanabwehr einem großen Irrtum aufgesessen bin. Denn ja – Mystik ist tatsächlich Versenkung, Frömmigkeit, Schau Gottes. „Erfahrung der Einheit und Ganzheit des Lebens“, keineswegs nur wenigen vorbehalten, sondern jeder und jedem zuzugestehen. Und nein – Mystik ist ganz und gar keine Nähe zu Gott mit dem Rücken zur Welt. Mystische Schau ist „auch die unerbittliche Wahrnehmung der Zersplitterung des Lebens. Leiden an der Zersplitterung und sie unerträglich finden, das gehört zur Mystik. Gott zersplittert zu finden in arm und reich, in oben und unten, in krank und gesund, in schwach und mächtig, das ist das Leiden der Mystiker.“ Dorothee Sölle wäre nicht Dorothee Sölle, wenn sie aus diesem Gedanken nicht sofort die politische Konsequenz zöge: „Der Widerstand von Franziskus oder Elisabeth von Thüringen oder Martin Luther King wächst aus der Wahrnehmung der Schönheit. Und das ist der langfristigste und der gefährlichste Widerstand, der aus der Schönheit geboren ist.“ Und das sollte nichts für einfache Leute sein? Für wen denn sonst?

Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück. Möge Ihr Weg mit der Jahreslosung spannend und gesegnet sein.

Die Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. trauern um Kerstin Möller,
die am 11. September im Alter von 49 Jahren gestorben ist. Sie war seit 2008 die Stellvertretende Vorsitzende des Verbands. Wir widmen ihr – der eine politische Frömmigkeit zeitlebens so wichtig war – diese Ausgabe der ahzw in dankbarer Erinnerung.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang