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Gott vertrauen?

Hand auf's Herz: Haben Sie nicht auch erst einmal geschluckt, als Sie hörten, welche Schriftstelle da als Jahreslosung für 2002 ausgesucht worden war? „Ja, Gott ist meine Rettung, ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.“ Dieser Satz aus dem zwölften Kapitel des Jesaja-Buches steht da, will mir scheinen, wie ein Fels des Glaubens in der Brandung all der Sorgen und Ängste, der Nöte und Zweifel, der kleinen und großen inneren und äußeren Katastrophen, in denen Menschen untergehen können. Ist ein solcher „Fels“ ein möglicher Halt – oder in seiner Massigkeit eher bedrohlich, weil ich aufprallen und zerschmettert werden könnte? Unverblümter gefragt: Können Menschen in Not so glauben, Gott so vertrauen, wie das Prophetenwort es nahe zu legen scheint?

Vor jedem Versuch, diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf den Zusammenhang vonnöten, aus dem der Vers genommen wurde. Ute Sauerbrey bereitet in ihrer Bibelarbeit zu Jesaja 12 den Kontext dieser Jahreslosung so auf, dass ihre Vertrauen erweckenden und Mut machenden Potentiale sichtbar werden. Um die ermutigende und tröstliche Hoffnung, dass die beängstigenden Dunkelheiten in persönlichen wie politischen Zusammenhängen nicht endgültig sind, kreist auch die Andacht von Rosemarie von Orlikowski, die die Jahreslosung im Zusammenhang mit dem Bild „Sonnenaufgang“ deutet.

„Gott ist meine Rettung, ihm will ich vertrauen“: Manche Menschen beschleicht ein durchaus „mulmiges“ Gefühl, wenn sie einen solchen Satz hören. Ganz tief sitzt die Erinnerung von Generationen daran, wie der Glaube – auch von wohl meinenden Eltern und ErzieherInnen – als Pflicht, als ein bedrohliches „Muss“ vermittelt, nicht selten buchstäblich eingebläut wurde. Sorge um den „richtigen“ Glauben treibt auch heute viele Menschen um. Die Erkenntnis, dass der Glaube, wie das Leben selbst, ein lebenslanger Prozess ist, ein sich ständig wandelndes und weiter entwickelndes Bewusstsein von Gott, kann da ausgesprochen entlastend sein. Anhand persönlicher Erfahrungen macht Dietlind Schaale auf diese Verbindungen zwischen Lebens- und Glaubenswegen aufmerksam. Ebenso hilfreich kann es für Menschen mit vermeintlichen Glaubenszweifeln sein, sich wieder einmal daran erinnern zu lassen, dass der Glaube sich nicht machen oder gar erzwingen lässt, sondern eine der vielfältigen Gaben des Heiligen Geistes ist. Janette Degenhardt setzt sich in einer Bibelarbeit zu den im Ersten Korintherbrief aufgezählten Gnadengaben mit der Frage auseinander, was Einzelne wie Gemeinden gewinnen können, wenn sie der paulinischen Theologie folgen.
Vor einem anderen, unter Umständen verhängnisvollen Missverständnis der Jahreslosung als „Durchhalteparole“ für Menschen, die ein schweres Los getroffen hat, warnt Hanna Sauter-Diesing in ihrer Andacht. Menschen, die Elend, Schmerz und Leid erfahren haben, brauchen Zeit für ihre Heilung. Sich selbst und anderen diese Zeit zu nehmen und zu geben ist der Weg der „Rettung“. Zeit allein heilt aber auch nicht alle Wunden! In der seelsorglichen Begleitung Kranker, Sterbender und Trauernder hat Lucia Zimmer erfahren, wie tröstlich, ja heilsam es sein kann, hemmungslos klagen und – auch Gott – anklagen zu dürfen. Die Psalmen der jüdisch-christlichen Glaubenstradition legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie eng Leben und Glauben in existentiell bedrohlichen Situationen zusammen gehören (können).

Zwei Beiträge dieser Arbeitshilfe sprechen von der Zu-Mutung des Gottvertrauens in sehr konkreten Situationen, durch die unser Leben bedroht sein kann. Maria Pulkenat arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern oft mit Frauen, die direkt oder indirekt von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind. Sie gibt die Erfahrung weiter, wie Angebote aussehen müssen, damit sie von den Frauen auch angenommen werden können. Iris Susen-Pilger war beteiligt an der Gründung und Leitung einer Selbsthilfegruppe von Eltern, deren Kind vor oder kurz nach der Geburt gestorben ist. Eindrücklich schildert sie die Möglichkeiten, Orte der Trauer – und damit der Heilung und des Weiterlebens – zu schaffen und Sprachlosigkeit zu überwinden.

Eine Frau mit großem Gottvertrauen war Erdmuth Dorothea Gräfin von Zinzendorf. Ihr tiefer Glaube wird ihr geholfen haben, die harten Schicksalsschläge ihres Lebens zu ertragen – vor dem Schmerz schützen konnte er sie nicht. Regine Seifert erinnert an diese große Frau anlässlich ihres 300. Geburtstags im vorigen Jahr.

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