Alle Ausgaben / 2006 Andacht von Josefine Hallmann und Brunhilde Raiser

Gottes Geschenk erkennen

Andacht zur Jahreslosung 2007

Von Josefine Hallmann und Brunhilde Raiser


Die Frauen sollten zu Beginn darauf hingewiesen werden, dass die folgende Andacht aus einem Briefwechsel zwischen den Vorsitzenden von EFD und EFHiD zur Jahreslosung 2007 entstand. Die Briefe können mit verteilten Rollen vorgelesen werden; je nach verfügbarer Zeit kann das Vorlesen an mehreren Stellen unterbrochen werden – für die vorgeschlagenen Zeiten der Stille sollte evtl. geeignete Musik eingespielt werden. Als Material zur Andacht wird das Bild „Junges Mädchen“ von Paula Modersohn-Becker benötigt. (Jahreslosungskarte 2007 der EFHiD; Bezug: Ev. Frauenhilfe in Deutschland; Adresse im Impressum S. 83)

Lied: Wohl denen, die da wandeln
(EG 295, 1+4)

Einführung:

Gottes Wort vergeht nicht, haben wir gerade gesungen. Eines der unvergänglichen Worte Gottes kommt uns in der Jahreslosung entgegen: „Siehe, ich will ein Neues schaffen; jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?“ (Jes 43,19a) Dieses Wort wollen wir in der heutigen Andacht bedenken.

Liebe Josefine,

seit vielen Jahren lebe ich ziemlich bewusst mit den Jahreslosungen. Es tut mir gut, ein noch vor mir liegendes Jahr unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu sehen, anzugehen, für das Unbekannte oder für das, wovor ich mich fürchte, Mut zu bekommen, Zuversicht zu schöpfen. Und auch während eines Jahres beziehe ich mich immer wieder einmal auf den Text der Jahreslosung, etwa, wenn ich Andachten gestalte, Predigten schreibe und Gottesdienste verantworte.

Ich weiß nicht, ob Du mit der Jahreslosung ähnlich umgehst, oder ob sie Dir eher fremd ist, Dir vielleicht nur manchmal in einer Anzeige einer U-Bahn entgegen tritt oder wenn Du Karten mit entsprechendem Aufdruck bekommst?

Liebe Brunhilde,

die Jahreslosungen ermöglichen mir immer wieder, ein Jahr unter und mit einem biblischen Wort zu erleben. Ich lasse den Text gern einfach auf mich wirken. Manchmal ärgere ich mich über die Worte und entdecke dann oft etwas besonders Wichtiges für mich.

Die Leiterin kann hier das Vorlesen der Brieftexte unterbrechen und – evtl. nach einer kurzen Stille (leise Musik im Hintergrund) – Gelegenheit geben zu einem kurzen Austausch darüber, was die Jahreslosung für die Teilnehmerinnen bedeutet.

Die Losung für 2007 aber weckt spontan Hoffnung in mir – jenseits aller Realitäten. „Siehe, ich will ein Neues schaffen; jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?“ Warum, so frage ich mich, spüre ich und bewegt mich in erster Linie im Jesaja-Wort die Hoffnung? Liegt es daran, dass ich so viele Probleme und Schwierigkeiten sehe, aber keine Lösungen? Wo ist das Neue, das etwas verändert für die Millionen einzelner Frauen und Männer, die allein in Deutschland arbeitslos sind? Wo ist eine Veränderung zum Besseren zu sehen bei den drängenden Fragen eines solidarischen Gesundheitssystems, der Pflege, der Bioethik? Wo sind Ansätze zur Verminderung der Armut auch in Deutschland? Wer fällt den Krieg führenden Parteien in so vielen Regionen dieser Erde in den Arm? Den Folterern? Den Menschenhändlern? Und wie viele Menschen stehen in ihrem persönlichen Leben vor dunkler Zukunft?

Der Vers der Jahreslosung ist Teil einer Beschreibung der Allmacht Gottes, „weil ich in Wüste Wasser gebe und Ströme in die Öde, mein mir erwähltes Volk zu tränken“ (V 20). Ich erinnere mich gern an die gute jüdische Tradition, sich in schweren Zeiten zu erinnern, wo Gott gerade in solchen Situationen in meinem eigenen Leben oder im Leben von Gemeinschaften Neues schuf. Nie vergessen werden wir in Deutschland den Zusammenbruch der DDR. Niemand „sah“ es, und doch wuchs etwas in so vielen Menschen, das die friedvolle Veränderung ermöglichte. Es ist wahr: Es gibt solches Geschehen, das Neues schafft. Die segensreiche Arbeit von amnesty international beendet immer wieder Gefängnishaft und Folter von Menschen. Es ist wahr, dass oft das Lächeln eines Menschen mir den Weg erhellte, auf dem ich weitergehen konnte. Ein Mensch lächelte – in seinem Lächeln konnte ich Gottes Wirken spüren. Darum, so glaube ich, spiegelt sich die Suche nach dem Neuen, das Gott verspricht, oft in der Begegnung mit Menschen. Und so wird die Jahreslosung für mich zum Glauben, dass mir Gott in dieser Welt real begegnet. Und mir scheint, allzu oft sehe ich, sehen wir solche Begegnungen mit Gott und dem Neuen, das er anbietet, nicht. Das Neue ist ein Geschenk. Es ist da. Ich muss es „nur“ sehen und ihm Raum geben, damit es wachsen kann.

Liebe Josefine,

Jesaja verbindet die Heilszusage mit einer Aufforderung zum aufmerksamen Hinsehen, mit einer Bitte geradezu, sich doch für die beginnende Veränderung, für die Wende zum Guten, zu neuen Lebensmöglichkeiten zu öffnen. Zugleich erinnert der Prophet an die bitteren Erfahrungen von Gewalt und Zerstörung. Deren Symbole – „Wagen und Rosse, Heer und Macht“ – lässt Gott verlöschen wie einen Kerzendocht. Doch das ist nicht das Ende. Vielmehr eröffnet Gott eine Zukunft, indem die bestehenden Bedingungen so verändert werden, dass Leben neu möglich wird. Dazu bedarf es aber, so Jesaja, auch einer veränderten Sichtweise der Menschen. Der Blick nach hinten, das Verharren im Gestern blockiert. „Denkt nicht an das Frühere“ – es würde euch lähmen. „Auf die Vorzeit achtet nicht“ – deren Bedingungen diktieren nicht mehr eurer Leben. Vielmehr nehmt wahr und ernst, was jetzt beginnt, was jetzt neu beginnt, auch wenn es noch nicht vollständig entfaltet ist. „Siehe, ich mache Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht?“ übersetzt die Bibel in gerechter Sprache diesen Vers.

Es fällt mir nicht leicht, mit dieser Jahreslosung auf das kommende Jahr zuzugehen, wenn ich ihren Aufruf „Erkennt ihr es nicht?“ wirklich ernst nehme. Es fällt mir schwer wahrzunehmen, dass „in der Wüste ein Weg, in der Einöde Wasserströme“ von Gott gemacht werden. Während ich Dir diesen Brief schreibe, tobt in Israel, Palästina, und dem Libanon ein blutiger Krieg. Das östliche Mittelmeer ist durch diesen Krieg verseucht, die Gewaltspirale im Gaza-Streifen dreht sich immer schneller. Ob die Wahlen im Kongo eine Chance für den Frieden bieten, ist mehr als ungewiss. Pakistan verstärkt sein Atomprogramm… „Siehe, ich mache Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht?“ Muss ich wirklich sagen: Nein, ich sehe es nicht? Oder erwarte ich zu viel – eine zu große „Pflanze“, eine zu leuchtende und prächtige unverwüstliche „Blume“?

Unterbrechung des Vorlesens – Impuls: Wenn wir auf unser persönliches Lebensumfeld / unsere Gemeinde / unser Land / die Welt schauen: Wo haben wir gesehen und erlebt, dass durch Veränderung von äußeren Bedingungen und Umständen neues Leben sprießen konnte? Die Leiterin lädt die Frauen ein, in einer kurzen Zeit der Stille die Erinnerung an eine solche Erfahrung in sich lebendig werden zu lassen. Wenn die Zeit reicht, wird zum Erzählen angeregt.

Zurückführend zum Brieftext erhält jede Frau eine der Jahreslosungskarten „Junges Mädchen“. Die Leiterin lädt ein, in einer kurzen Zeit der Stille (leise Musik im Hintergrund) die Karte zu betrachten, evtl. auch, sich kurz darüber auszutauschen. Danach wird der Brief weiter vorgelesen:


Vor uns beiden liegt ein Bild, gemalt von Paula Modersohn-Becker: eine junge Frau, die einen Glaspokal mit Huflattich, den ersten Frühjahrsblumen, und einem immergrünen Zweig vor sich hinhält. Oder trägt sie ihn vor sich her? Bewegung ist jedoch keine in diesem Bild. Hat sie die Blumen bereits lange angesehen oder betrachtet sie unter fast geschlossenen Lidern? Hat sie das Immergrüne und das neu Erblühte verinnerlicht – sieht sie also mit ihren inneren Augen? Und was sieht sie dann? Es würde mich interessieren, was Du in diesem Bild siehst, wie es auf dich wirkt. Ich kann mich für mich an keine solche Geste erinnern, habe auch noch nie einem anderen Menschen auf diese Weise Blumen, etwas „Erblühtes“ entgegengebracht. So jedenfalls wirkt dieses Bild auf mich. Ich spüre sowohl die ungemeine Verinnerlichung dieser jungen Frau als auch die Wirkung des kredenzten Pokals…

Zugleich irritiert mich etwas an diesem Bild: Die junge Frau hat nur gepflückte Blumen und relativ spärliches Immergrün in ihrem Glas. Nur für eine kurze Weile leben sie so – selbst das Immergrün stirbt in der Vase. Und die gelben Frühjahrsblumen bleiben nicht lange aufgeblüht – gepflü-ckter Huflattich schließt sich in kürzester Zeit. Aber vielleicht ist gerade das die Botschaft: jeweils das Lebendige im Augenblick zu erkennen, darin das Neue zu sehen, die Chance für die Zukunft? Ermutigt Jesaja mich, uns zu einem zeichenhaften Sehen? Schreib mir doch, liebe Josefine, was Dir der Text und das Bild sagen!

Liebe Brunhilde,

in diesem Sinne irritiert auch mich das Bild von Paula Modersohn-Becker: Wenn die Blumen in der Vase des Mädchens für das Neue stehen, dann ist dieses Neue nicht lange lebensfähig. Den Blumen ist der Erdboden genommen, im Wasser werden sie bald welken. Den Gedanken, dass wir das Neue nicht zu achten und zu pflegen wissen, will ich nicht denken. Darum hoffe ich, die Blumen schlagen im Wasser Wurzeln, und das Mädchen pflanzt sie wieder ein.

Der blaugrüne Hintergrund vermittelt mir Kühle und Distanz und in gewisser Weise Emotionslosigkeit. Ich kann mir vorstellen, dass das Mädchen sich so fühlt. Den Blumen in ihrer Hand kann sie nicht so recht als Zeichen des Lebens trauen, sie wirken in dieser Umgebung befremdlich. Wenn dies ihre Lebenssituation spiegeln sollte, dann wäre es gut, wenn ihr jemand laut sagen würde: „Gott spricht: Siehe, ich will eine Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennst du's denn nicht?“ Manchmal müssen Worte und erfahrene Lebenssituation zusammen kommen, damit wir hörend und sehend erkennen.

Und noch etwas kommt mir bei der Betrachtung von Jahreslosung und Bild in den Sinn: Im kommenden Jahr werden EFD und EFHiD einen neuen Frauenverband bilden. Mir ist wichtig, dass wir darauf vertrauen, unseren Teil zu einem guten Wurzelgrund beitragen zu können, damit der neue Frauenverband in guter Umgebung wachsen und gedeihen kann. Denn dafür tragen wir alle die Verantwortung.

Liebe Josefine,

da kann ich Dir nur zustimmen! Mir ist darüber hinaus wichtig, dass es allen Beteiligten gelingt, das Neue, das Aufkeimende, die neuen Möglichkeiten im Kleinen, vielleicht noch Unscheinbaren zu entdecken, konkret: die künftige Lebenschance für beide Frauenverbände, die unverändert in ihrer Existenz mehr als bedroht gewesen wären. Daher hoffe ich sehr, dass uns die Gedanken der Jahreslosung frei machen, unseren Blick auf das Neue zu konzentrieren, darin Gottes Geschenk zu entdecken, und dabei das rechte Maß zwischen Bewahren und Wachsen lassen zu finden.

Die Leiterin bittet die Frauen, die Briefe in einer kurzen Zeit der Stille in sich nachklingen zu lassen; anschließend kann ein Austausch darüber erfolgen, welche – ähnlichen oder anderen – Gedanken den Frauen zu dem Bild kommen.

Wenn genügend Zeit zur Verfügung steht, können die Frauen eingeladen werden, nun ebenfalls ihre Gedanken zu Bild und Jahreslosung in einem Brief (an eine Freundin, die eigenen Kinder, die Autorinnen der Andacht…) fest¬ zuhalten; ggf. wären ausreichend Papier, Stifte und Schreibunterlagen vorzusehen.

Segen:

Gott segne euren Blick zurück
und euren Schritt nach vorn.

Gott segne euch,
dass ihr nicht von Gedanken
an das, was war
gelähmt werdet.

Gott segne euch,
dass ihr erkennt,
welche Fülle des Lebens
vor euch liegt.

Gott segne euch,
bewahre und behüte euch
auf euren Wegen.

Amen.

Lied: Manchmal (s. Seite 45) oder: Bewahre uns Gott (EG 171)

Josefine Hallmann, 63 Jahre, ist Studienrätin für Biologie und Chemie. Bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand war sie Pädagogische Referentin im Frauenwerk der Ev. Landeskirche Hannovers. Sie ist Vorsitzende der Ev. Frauenarbeit in Deutschland (EFD).
Brunhilde Raiser, 52 Jahre, ist Theologin und Germanistin. Sie ist die Vorsitzende der Ev. Frauenhilfe in Deutschland (EFHiD), Mitglied im Präsidium der EFHiD und Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.

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