Alle Ausgaben / 2004 Andacht von Sylvia Puchert

Gottes großes Schöpfungsspiel

Von Sylvia Puchert

Als ich mich über Psalm 104, seinen Zusammenhang und speziell die Verse 25 und 26 kundig machte, kam ich zu einem ungewöhnlichen Ergebnis: Die Übersetzungen aus dem hebräischen Text sind äußerst unterschiedlich, offensichtlich je nach Vorstellungskraft derer, die übersetzt haben.

Für eine Bibelarbeit in der Frauengruppe lohnt es sich, diese Verse aus Psalm 104 in unterschiedlichen Bibeln nachzuschlagen und dann auf verschiedene Kärtchen zu schreiben. Es ist interessant darüber nachzudenken, was die Beweggründe für die unterschiedlichen Übersetzungen gewesen sein könnten.

Hier einige Beispiele:
Am stärksten in der Nähe zum hebräischen Urtext befindet sich Arthur Weiser in seinem Kommentar „Das Alte Testament Deutsch. Die Psalmen“ aus dem Jahr 1926: Da ist das Meer, so groß und so weit, drin wimmelt es ohne Zahl, das kleine Getier und das große. Seeungeheuer (das gleiche Wort bedeutet auch „Schiffe“) schwimmen darin, Levjathan, den du schufst dir zum Spielzeug.“
In der Lutherbibel von 1912 steht: Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt's ohne Zahl, große und kleine Tiere. Daselbst gehen die Schiffe, da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie darin spielen.
In der aktuellen Lutherbibel steht: Da ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt's ohne Zahl, große und kleine Tiere. Dort ziehen Schiffe dahin; da sind große Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen.
In der Einheitsübersetzung von 1980 steht:
Da ist das Meer, so groß und weit, darin ein Gewimmel ohne Zahl: kleine und große Tiere. Dort ziehen die Schiffe dahin, auch der Leviathan, den du geformt hast, um mit ihm zu spielen.
Die Zürcher Bibel, Textfassung 1931, schreibt:
Da ist das Meer, so groß und weit; darin wimmelt es ohne Zahl, kleine Tiere samt großen. Da wandeln Ungeheuer, der Leviathan, den du gebildet hast, damit zu spielen.
Und zuletzt aus der Guten Nachricht, Textfassung von 1990:
Da ist das weite, unermessliche Meer, darin wimmelt es von Lebewesen, von großen und kleinen Tieren. Schiffe ziehen dort ihre Bahn und die gefährlichen Meerungeheuer – du hast sie geschaffen, um damit zu spielen.

Psalm 104 singt von der Schöpfungsgeschichte, von der Schaffenskraft Gottes, die sich über Himmel und Erde, Mond und Sonne, Tier und Mensch erstreckt. Die Verse 25 und 26 beschreiben, dass die Fülle göttlicher Weisheit und Werke bis in die Tiefe des Meeres hinabreicht. Gottes Unendlichkeit im Großen wie im Kleinen. Die weite Fläche des Meeres, die Kraft der Wellen, die sich zum Sturm aufbäumen kann. Und im Meer „wimmelt“ es. Tiere in allen Größen – bis hin zu dem im hebräischen Text genannten Leviathan.
In der Mythologie wird erzählt, dass Leviathan ein Chaosdrache aus der Urwelt war. Als er im Kampf mit Gott unterlag, veränderte er sich zum Geschöpf Gottes. Im Psalm heißt es sogar, Gott habe Leviathan geschaffen, um mit ihm zu spielen. Aber halt – wer spielt hier womit? Und – spielt Gott überhaupt? Die Übersetzungen sehen das unterschiedlich.
In jedem Falle aber kommt durch das Wort „spielen“ Gottes Freude an der Schöpfung zum Ausdruck. Interessant ist auch, dass die „Schiffe“ aus dem hebräischen Text nicht in allen Übersetzungen genannt sind. Dass sie als Ergebnisse menschlicher Handwerkskunst nicht unbedingt in den Zusammenhang passen, mag ein Grund sein. Andererseits ist das Volk Israel der Seefahrt und dem Meer gegenüber immer skeptisch gewesen – kein Wunder also, wenn die Worte für Schiffe und Seeungeheuer den gleichen Wortstamm besitzen.
Ausgewählt wurden die Psalmverse wegen des Stichworts „spielen“. Dies wird auch Schwerpunkt der folgenden Andacht sein.

Liedvorschläge: Unser Leben sei ein Fest (EG 555), Lasst uns danken unserm Gott (Weltgebetstagsliturgie 2004)

Spielraum

Kinder erkunden die Welt im Spiel, können selbstvergessen und mit Ernst bei der Sache sein. Spiele sind ihre Schlüssel zur Welt. So vielfältig wie das Leben selber. „Wenn Kinder spielen, dann sind sie gesund“, heißt es. Und wer hat es nicht schon fasziniert beobachtet: das eifrige und konzentrierte Spiel von Kindern am Strand, wie sie bauen, Wasser hineinfließen lassen, kleine Kunstwerke gestalten und genau wissen, die Flut spült alles wieder fort. Selbst an Computer oder Gameboy lassen sich Kinder voll und ganz vom Spielgeschehen einfangen (und auch manche Erwachsene packt der Ehrgeiz, auf die jeweils noch kniffligere Ebene zu kommen). Kinder eignen sich Fähigkeiten an, erproben Situationen im Rollenspiel, finden Wege zur Entspannung oder Anregung zum Lernen. Kinder spielen allein oder mit anderen – auch heute noch. Freilich müssen in einer Ein-Kind-Gesellschaft anregende Milieus geschaffen werden. Hier sind Kindergärten und Schulen gefragt, aber auch diejenigen, die verantwortlich im Freizeitbereich arbeiten, also Kirche und Kultur.

Spielen ist eine elementare Erfahrung der Menschen. Eine Erfahrung, die wir freiwillig machen, die Raum braucht und erschließt. Spielraum, der unterschiedliche Möglichkeiten zulässt und wo wir nicht gleich zur Rechenschaft gezogen werden. Spielraum, der im Rahmen bestimmter Spielregeln zu finden ist oder darüber hinausweist und Platz zum Entfalten bietet.

Wann haben Sie zum letzten Mal gespielt? Und was war das für ein Spiel? Spielen zieht sich auch durch das Erwachsenenleben. Da sind es oft die organisierten Spiele, an denen die meisten passiv teilhaben. Große Sportereignisse wie die Olympiade oder die Fuß-ballweltmeisterschaft. Hier wird mit großem Aufwand und Ernst gespielt, dabei ist allerdings der Kommerz von starker Bedeutung. Als organisiertes Spielen möchte ich auch all das bezeichnen, was Theater, Musik, Film und Fernsehen bieten. Dabei gibt es unterschiedliche Rollen: Einige spielen aktiv, andere sind gefragt als die, die zuhören oder zuschauen.

Im alltäglichen Erwachsenen-Leben aber gebrauchen wir den Begriff „spielen“ meist anders: Das Abitur ist spielend bestanden. Die Führerscheinprüfung war das reinste Kinderspiel. Etwas geht spielend von der Hand. Manche spielen ihre Trümpfe zur rechten Zeit aus, andere sind häufig Spielverderber. Es ist wichtig, Dinge ins Spiel zu bringen. Eine Spielernatur ist mit Vorsicht zu genießen. Für manche ist alles nur Spiel…: Vieles aus dem Spiel der Kinder geht im Erwachsenenleben verloren, und „Spiel“ wird meist als Gegensatz zur ernsthaften Beschäftigung mit einer Sache verstanden.

Ich halte das Spielen für lebensnotwendig. Spielräume schaffen Platz zum Leben und Gestalten. So ist Spiel viel mehr als die freiwillige Beschäftigung, wenn gerade nichts Besseres zu tun ist. Spiel ist das Ausloten von Fähigkeiten, das Erproben dessen, was möglich ist. Auch der sinnvolle Abschluss gehört dazu, gewinnen oder verlieren, feiern oder traurig sein.

Gott kommt ins Spiel

In der Bibel ist an etlichen Stellen vom Spielen die Rede. Im Psalm 104 kommt Gott sogar selber ins Spiel. Nach der Bibelübersetzung der „Guten Nachricht“ heißt es: Da ist das weite, unermessliche Meer, darin wimmelt es von Lebewesen, von großen und kleinen Tieren. Schiffe ziehen dort ihre Bahn und die gefährlichen Meerungeheuer – du hast sie geschaffen, um damit zu spielen.

Gott spielt. Darin spiegelt sich die Freude über die Schöpfung, losgelöst von aller Zweckmäßigkeit. Gott spielt, und die gesamte Schöpfung ist einbezogen. Selbst Leviathan, der im hebräischen Text für die „Meerungeheuer“ steht. Leviathan, in der Mythologie als mehrköpfiger Drachen oder als Schlange dargestellt, einstmals von Gott besiegt, ist etzt gezähmt, ein Spielgefährte Gottes.
Im Buch Hiob, in Kapitel 40,29 wird gesagt, dass es für Menschen unmöglich ist, mit Leviathan zu spielen. Nur Gott kommt hier ins Spiel. Was für die Menschen höchst bedrohlich ist, kann Gott spielend entzaubern. Gott hat die vielfältigen bizarren und vollendeten Lebensformen geschaffen, gerade im Meer sind sie an Fülle nicht zu überbieten. Spiel Gottes in der Schöpfung, die an Fantasie und Einfallsreichtum ohne Beispiel bleibt. Gottes Spiel mit der Schöpfung geht bis heute weiter.

Gott spielt – und nimmt dabei die Welt ernst, nimmt die ganze Schöpfung ernst. Wir sind nach dem Ebenbild Gottes gestaltet. Alles, was wir Menschen sind und haben, kommt von Gott. Auch die Fähigkeit zum Spiel. Spielen ist eine Gabe Gottes. Auch Lachen und Humor gehören dazu. Gott selber spielt!
Es gibt noch einen Aspekt, der Spielen aus biblischer Sicht ins Licht rückt. Wir lesen in Jesaja 11,8: „Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.“ In diesem Bibelabschnitt geht es um die kommende Zeit des Heils. Es wird dann einen tiefen Frieden geben, in dem alles, was bislang verfeindet war, friedlich neben- und miteinander leben wird. Zu diesem Bild gehört auch das spielende Kind. Es kann dort friedlich spielen, wo erfahrungsgemäß Gefahr lauert. Zeichen des Friedens, der von Gott kommt, wird das Spiel sein. Der Frieden, der von Gott kommt, wird der wahre Spielraum für glückliche Menschen werden.

Das Leben als Spiel

In der Bibel wird mehrfach vom fröhlichen Ackerboden geschrieben (Psalm 96,12; 1. Chronik 16,32) oder von jubelnden Bäumen. Grund: Gott kommt. Wenn Gott kommt, dann kann die Schöpfung lachen und sich freuen. Und dann wird aus dem Ernst unbeschwertes Spiel. Dann spielt ein Eisbär mit einem Schlittenhund. Delphine nützen die Bugwelle von Supertankern um zu surfen, und eine Amsel macht mehrfach hintereinander eine Schlittenpartie über einen schneebedeckten Abhang hinunter. Tiere spielen.

Im Spiel leuchtet etwas auf vom Frieden Gottes. Im Spiel kann sich eine besondere Wirklichkeit zeigen, die erahnen lässt, wie menschliches Zusammenleben sein könnte. Gott spielt und nimmt in diesem Spiel die Spielgefährten ernst. Lässt sie so, wie sie sind, mit allen Eigenarten und Fähigkeiten.

Das Leben spielen. Nicht mehr und nicht weniger. Mit vollem Ernst und indem wir uns hundertprozentig darauf einlassen. Den Spielraum schafft Gott selber. So jedenfalls verheißt es die Bibel. Der Spielraum wird erschlossen sein, am Ende der Zeit. In Gottes Reich werden die Kinder Gottes spielen. Frieden und Spiel gehören zusammen. Die Propheten Micha, Joel und Jesaja reden davon, dass eine Zeit kommt, in der Menschen Schwerter in Pflüge umschmieden. Und Waffen zu Spielgerät, möchte ich hinzufügen.

Die Spielräume, die schon jetzt zur Verfügung stehen, gilt es auszufüllen und das Spiel des Lebens zu spielen – mit vollem Ernst. Das bedeutet, immer wieder Raum zu schaffen zum fair play, der Gerechtigkeit den Weg zu bereiten. Im Spiel des Lebens im Hier und Jetzt ist das sinnvolle Spiel der Kräfte gefragt und auch die nötige Arbeit. Das Spielen Gottes lädt ein zum Spiel des Lebens, in dem am Ende Gott zum Tanz aufspielt und nicht mehr der Tod.


Sylvia Puchert ist seit fünf Jahren Landespfarrerin und Geschäftsführerin der Evangelischen Frauenhilfe in Hessen und Nassau e.V. Sie ist 47 Jahre alt und lebt in Freiensteinau im Vogelsbergkreis.

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