Mit den apokryphen Texten des Neuen Testaments habe ich mich bisher noch nie beschäftigt, wohl aber mit Anna, der Heiligen, die mir in vielen unserer alten Kirchen begegnet ist. Anna galt als Schutzpatronin der Bergleute, der Witwen, Mütter, Ammen, schwangeren Frauen und derer, die in Unwetter geraten sind. Darüber hinaus war sie „zuständig“ für glückliche Heirat und Kindersegen. (1) Seit langem fasziniert mich die Gestalt Annas, die als Mutter Marias und Großmutter Jesu über Jahrhunderte hinweg von Christinnen und Christen hoch verehrt wurde. Angeregt durch den Bildband „Heilige Frauen in den Kirchen Mecklenburg-Vorpommerns“ habe ich mich mit ihrer Geschichte und ihrer Legende näher befasst und dabei viele wertvolle Entdeckungen gemacht. Ich denke, es lohnt sich, diese mit anderen Frauen zu teilen.
Im Neuen Testament finden wir keinen Hinweis auf Anna, obwohl ihre Legende bereits in den ersten Jahrhunderten der Christenheit einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hatte. In der ältesten Fassung begegnet sie im apokryphen (2) Jakobusevangelium, das vermutlich um 150 n.Chr. entstanden ist. Wenn ich zu einer Entdeckungsreise in diesen Text einlade, will ich damit natürlich nicht den biblischen Kanon erweitern. Jedoch hat die Legende der Heiligen Anna und ihre Gestalt bei mir durchaus einiges von Gotteserkenntnis in Bewegung gebracht. Und ihre Verehrung, vor allem im Mittelalter, und ihre hohe kunstgeschichtliche Bedeutung erlauben m.E. einen positiven Rückschluss auf Annas „Beitrag zur Offenbarung“. Insofern lohnt es sich auf jeden Fall, wenn wir uns einmal diesen Texten zuwenden.
Die Legende erzählt, dass Maria, die spätere Mutter Jesu, einem wohlhabenden und frommen Elternhaus in Jerusalem entstammt. Joachim, ein reicher Herdenbesitzer, und seine Frau Anna sind lange kinderlos geblieben. Eines Tages wird Joachims großzügiges Opfer im Tempel wegen seiner Kinderlosigkeit zurückgewiesen. Tief getroffen zieht er sich aus der Stadt zurück und geht mit seinen Herden für vierzig Tage in die Wüste. Anna, die von all dem nichts weiß, glaubt, ihrem Mann sei etwas zugestoßen oder er habe sie für immer verlassen. Sie versinkt in Trauer. Die Trauer ihrer Verlassenheit wird verstärkt durch die Verzweiflung über die Kinderlosigkeit. Dennoch verschließt sie sich nicht in ihrer Trauer. Jakobus erzählt von einem Gespräch Annas mit ihrer Magd Judith. Diese schenkt ihr ein kostbares Kopfband, den Brautschmuck einer reichen Frau. Nach anfänglichem Zögern öffnet sich Anna und lässt sich beschenken. Und sie wagt den Ausbruch aus alten Konventionen: Sie legt die Trauerkleidung ab, zieht ihr Hochzeitsgewand an, geht aus dem Haus heraus und trägt ihre Trauer in ihren Garten. Unter einem Lorbeerbaum betet sie um Kindersegen: „Gott meiner Väter, segne mich, erhöre mein Flehen, so wie du Sarah in ihrem Leibe gesegnet und ihr Isaak, ihren Sohn geschenkt hast!“
Angesichts des Lebens in der blühenden Natur bricht die Trauer über ihre Unfruchtbarkeit erneut über Anna herein. Sie bringt sie in einem eindrück lichen Klagelied vor Gott. Da erscheint ihr ein Engel, der ihr die Geburt eines Kindes ankündigt: „…und dein Same wird überall auf der Erde genannt werden!“ Daraufhin gelobt Anna, dieses Kind dem Dienste Gottes zu weihen. Im selben Moment wird ihr die Nachricht von der Rückkehr des Ehemannes überbracht. Auch Joachim hat in der Wüste die Verheißung eines Kindes durch einen Engel empfangen und sich mit seinen Herden auf den Weg heim zu seiner Frau gemacht.
Glücklich empfängt Anna ihren Mann an der Tür und umarmt ihn stürmisch: „Jetzt weiß ich, dass mich der Herr reich gesegnet hat, denn ich war wie eine Witwe und bin es nicht mehr; ich war unfruchtbar, und jetzt wird mein Schoß empfangen.“ Und wirklich: Schon in der folgenden Nacht wird Anna schwanger. Tags darauf bringt Joachim seine Opfergaben im Tempel dar – und diesmal werden sie angenommen.
Als Anna „ihre Monde erfüllt“ hat, gebiert sie ihr Kind: „Da fragte sie die Hebamme: ‚Was habe ich zur Welt gebracht?‘ Die antwortete: ‚Eine Tochter!'“ Selig vor Glück nimmt sie ihr Kind in Empfang, stillt es entsprechend den Reinheitsvorschriften und gibt ihm den Namen Maria.
Die Tochter wächst und gedeiht. Jakobus erzählt, dass sie im Alter von sechs Monaten bereits sieben Schritte gegangen sei. Sorgfältig und unter Beachtung sämtlicher religiöser Vorschriften hütet und behütet Anna das Töchterlein. Am Abend seines ersten Geburtstages stillt Anna ihr Kind und stimmt anschließend ein überschwängliches Danklied für Gott an.
Als Maria zwei Jahre alt ist, überlegen ihre Eltern, wie sie Annas Gelübde erfüllen können, die Tochter dem Dienste Gottes zu weihen. Anna will damit noch warten: „Warten wir noch das dritte Jahr ab, damit das Kind nicht nach Vater und Mutter verlange!“ Mit vier Jahren wird Maria schließlich zu den Priestern in den Tempel gebracht. Voller Selbstvertrauen und ohne sich umzusehen läuft sie die Altarstufen hinauf und lässt sich vom Priester auf den Arm nehmen. Tanzend empfängt das Kind Gottes Segen. „Und das ganze Haus Israels gewann sie lieb.“ (3)
Auffällig sind in dieser Legende die Parallelen zur alttestamentlichen Geschichte von Hannah und der Geburt ihres Sohnes Samuel (1 Sam 1-2). Schon der Name „Anna“ hat einen starken Anklang an „Hannah“ und bedeutet so viel wie „Gnade/Barmherzigkeit“ oder: „Jahwe hat sich erbarmt.“ (4) In späteren Jahrhunderten wird die Anna-Legende weiter ausgeschmückt, vor allem in der Legenda aurea (5) des Jacobus de Voragine aus dem 13. Jahrhundert. Dessen Überlieferung, dass die Umarmung Joachims nicht an der Haustüre, sondern an der Goldenen Pforte des Tempels unter einer goldenen Wolke stattgefunden habe und Anna dadurch schwanger geworden sei, erfreute sich großer Beliebtheit in der kirchlichen Kunst (6) und untermauerte in der Theologie des Mittelalters die Lehre von der „unbefleckten Empfängnis Mariens“. (7) Zudem habe Anna nach Joachims Tod noch zweimal geheiratet und mit jedem der späteren Ehemänner eine weitere Tochter gehabt, Maria Salome und Maria Cleophae. Der Volksmund hat diese Legenden weitererzählt und diesen beiden Marien die späteren Jünger Jesu Jakobus Alphäus und Simon sowie Johannes und Jakobus Zebedäus als Söhne angedichtet. (8) Hieraus entwickelte die mittelalterliche Kunst das beliebtes Motiv der „Heiligen Sippe“. (9) In der Reformationszeit war diese Art der Verbreitung der Anna-Legende und ihres Kultes einer der wichtigsten Ansatzpunkte theologischer Kritik. Heftig literarisch gestritten wurde um das „Tribunium“ (die Dreiheirat) Annas. Auch Luther war ein erklärter Gegner des Annen-Kultes. (10) Umso bemerkenswerter finde ich es, dass die „Laufbahn“ unseres großen Reformators – im Gewitter bei Stotternheim – mit einem Stoß gebet zur Heiligen Anna begann: „Hilf, Heilige Anna! Und ich will ein Mönch werden!“
Von allen kunsthistorischen Darstellungen fasziniert mich am meisten die „Anna-Selbdritt“. (11) Im Spätmittelalter, der Blütezeit des Annenkultes, wurde das Motiv in verschiedensten Varianten immer wieder aufgenommen. Meist wird uns die Mutter Anna sitzend gezeigt, mit ihrer jugendlichen Tochter Maria und ihrem Enkelsohn Jesus als Kleinkind auf dem Schoß. Oft hält Jesus eine Frucht, manchmal auch eine Kugel in der Hand, die ihm von Maria oder Anna übergeben wird; häufig ist es auch ein Buch, das Anna oder Maria weitergeben. Auch die Aufstellung der Figuren in der Dreiergruppe verändert sich im Laufe der Zeit. (12) Zunächst wird Maria als jugendliche, mädchenhafte Gestalt dargestellt, steht die Mutter Anna als Hauptperson da, der Maria und Jesus „in Miniatur“ als „Attribute“ beigefügt sind, die leicht auf ihrem Arm Platz finden. Später rückt Maria mehr in den Mittelpunkt, als „Himmelskönigin“ und eigenständige, manchmal sogar größere Figur deutlicher hervorgehoben. (13)
Was mich an der Anna-Legende besonders bewegt, ist die deutliche Eigenständigkeit der Anna neben ihrem Ehemann Joachim. Während er in die Ferne, in die Wüste geht, findet sie ihren eigenen Weg, aus sich herauszugehen. Mich beeindruckt auch ihr kraftvoller Glaube und ihre innige Beziehung zu Gott. Sie kann flehen und bitten, kann ihre Klage vor Gott in eindrückliche Worte fassen und schließlich auch ein überschwängliches Danklied singen. Anna fühlt sich in großer Ernsthaftigkeit an ihr Gelübde gebunden, ihr Kind dem Dienste Gottes zu weihen und es Gott zurückzugeben, und lebt darauf hin, ihr Versprechen zu erfüllen. Sie kann das größte Geschenk ihres Lebens annehmen, aber offenbar auch zur rechten Zeit wieder loslassen. (14) Alle wichtigen Geschehnisse und Entscheidungen in dieser Geschichte des Jakobus-Evangeliums gehen von ihr als Frau aus. (15) Dabei wird aber die Ursache der vorläufigen Kinderlosigkeit nicht von vornherein ihr als Frau angelastet. Von Anfang an übernimmt auch der Ehemann Joachim Mitverantwortung und trägt auf seine Weise zur Veränderung der Situation bei.
Beim Betrachten der Anna-Selbdritt-Darstellungen ist es die Ausstrahlung von starker mütterlicher Kraft und Würde, die mich immer wieder neu anzieht. Mit tiefer Gelassenheit hält Anna die große Tochter und das spielende, manchmal scheinbar zappelnde Kleinkind im Arm, dazu oft geschickt noch ein schweres Buch, die Heilige Schrift. Und auch die Kugel, die meist mit auf dem Bild ist, scheint keine kleine, leichte Frucht zu sein. Die Kugel in dieser Dreiergruppe erinnert an Darstellungen der Heiligen Dreifaltigkeit, bei denen Gott-Vater oft mit der Weltkugel in der Hand gezeigt wird. Auch wenn dieser Anklang von manchen Theologen abgestritten wird, (16) ist er m.E. doch nicht von der Hand zu weisen. (17) Selbst Luther soll schon gegen die Anna-Selbdritt-Darstellungen polemisiert haben, dass sie ihm vorkämen wie eine „zweite Trinität“. (18) Eben dies ist einer der Aspekte, die mich am meisten bewegen und die wohl auch die Menschen des Mittelalters, vor allem natürlich die Frauen, bewegt haben mögen. „Die massenhafte Hinwendung der Gläubigen dieser Epochen zur Andacht vor der heiligen Anna selbdritt erscheint in diesem Zusammenhang wie eine spirituelle Vorankündigung des Reformationsgeschehens. Die Gläubigen aller Schichten blicken nicht mehr sehnsuchtsvoll auf den (päpstlich erscheinenden) Gott-Vater, sondern auf die liebevolle und in Alltagsnöten hilfreiche heilige Mutter und sanfte Jungfrau Maria, deren Leben und Wirken zu dem erlösenden Jesuskind führt.“ (19) In Anna-Selbdritt begegnet uns das mütterliche Pendant zur patriarchalischen Dreieinigkeit. (20)
Dennoch ist es nicht allein die Mutter- und Großmutterschaft, die Annas Würde ausmacht. Anna trägt mehr: Mit der Kugel trägt sie das Symbol für Macht und Herrschaft, sie trägt damit deutlich auch Verantwortung für die Welt. Mit dem Buch erscheint sie als Lehrende, als weise Frau, die Tochter und Enkel unterrichtet und die Lehre an sie weitergibt. Und Anna wird auch von mehr getragen als von ihrer Mutterschaft. Es ist nicht allein die Mutterschaft, die ihr Selbstbewusstsein ausmacht. Anna strahlt Lebenserfahrung und Weisheit, Halt und Kraft aus. Und diese Kraft hat, wie wir in der Legende sehen, viel mit ihrer Gottesbeziehung zu tun. Anna kann halten ohne festzuhalten, und sie ist selbst gehalten durch ihren Halt bei Gott.
Ist es eine innige Beziehung zu Gottes mütterlicher Kraft, die Anna in ihrer Mütterlichkeit bestätigt? Offenbar ist es Anna gelungen, auch mütterlich mit sich selbst umzugehen. Ich sehe das darin, dass sie fertig bringt, in all ihrer Trauer und Verzweiflung für sich zu sorgen. Sie folgt ihrer Intuition, die ihr sagt, was gerade in ihrer Situation wichtig für sie ist: Sie zieht sich überaus festlich an und geht in ihren Garten, ins Lebendige hinaus.
Beim Betrachten der Heiligen Anna spüre ich oft den großen Halt in ureigenster, heilsamer Mütterlichkeit, der von diesen Figur ausgeht. Ich glaube, dass diese mütterliche Kraft von Gott kommt, und dass Anna genau dies ausstrahlt. Das macht für mich ihre Faszination aus. Sie kann so viel halten, weil sie in sich selbst einen starken Halt hat. Sie kann gewähren und loslassen, weil sie in sich selbst Gelassenheit und Liebe trägt.
Ziel: Die Spurensuche nach mütterlicher Kraft im persönlichen Leben und in der Begegnung mit der Heiligen Anna und ihrer Geschichte soll die Frauen bestärken und dazu anregen, sich gegenseitig zu stärken, um Mütterlichkeit in sich selbst und für sich selbst (ganz unabhängig von biologischer Mutterschaft) als Gottes Geschenk wachsen zu lassen.
Zeit: 2 Stunden (Sollte die Variante „Skulptur“ mit aufgenommen werden: 3 Stunden)
Material: Tischrunde mit „gestalteter Mitte“: Kerze, evtl. in runder Tonschale; ein üppiger Blumen- oder Blätterstrauß, entsprechend der jeweiligen Jahreszeit;
rote, braune und grüne Seidentücher ineinander verschlungen, evtl. auch ein „goldenes“ Tuch (oder ein weißes/“golddurchwirktes“): häufige Farben der Anna-Gewänder: grün= die Farbe des Wachstums, der Fruchtbarkeit, der Hoffnung / braun= die Farbe der Erde, der Mütterlichkeit / rot= die Farbe des Lebens;
so frau hat, eine „gewichtige“ Kugel, z.B. eine Kegel-Kugel oder eine aus der Sporthalle („Kugelstoßen“); wenn keine Kugel aufzutreiben ist, werden eben besonders schöne Äpfel, Birnen und andere Früchte aus unseren Breiten dazu gelegt;
Liedtext „Nun danket alle Gott“ von M. Rinckart (EG 321); Fassung von Gerhard Schöne (siehe Seite 47 der gedruckten Ausgabe); Anna-Legende in Ausschnitten aus dem Text des Protevangelium des Jakobus (siehe S. 48); Foto „Anna Selbdritt“ (siehe S. 17); Arbeitsblatt „Stammbaum meiner Mütter“: auf A4-Blatt quer mit leeren Kästen für Namen aufgezeichnet und kopiert (für AbonnentInnen unter Service / zum Herunterladen vorbereitet), Stifte;
Evtl. für Variante „Skulptur“: verschiedenfarbiges Transparentpapier oder Seidenpapier, Scheren, Klebstoff, Zeichenblätter
Ablauf: Nach dem Entzünden der Kerze stimmen wir uns ein mit dem Choral „Nun danket alle Gott“. EG 321,1-3 (3 min)
„…der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an“: Am Anfang unserer Spurensuche nach Gottes Kraft in der Mütterlichkeit wollen wir in unser eigenes Leben schauen, auf die Erfahrungen von Mütterlichkeit, die uns geprägt haben mit unseren Müttern, Großmüttern, Urgroßmüttern. Ich bitte Sie, sich einzulassen auf diesen „Stammbaum meiner Mütter“: Kennen Sie noch die Vornamen aller Großmütter und Urgroßmütter? Und vielleicht auch die Geburtstage? (Arbeitsblatt und Stifte austeilen; Einzelarbeit ca. 5 min)
Unsere Mütter, Großmütter, Urgroßmütter… haben uns das Leben geschenkt und unser Leben geprägt oder prägen es noch. Manches Gute haben wir durch sie erfahren. Sicherlich gibt es auch schwierige Erfahrungen, Verletzungen, Narben. Bei einigen von uns leben Mütter und Großmütter noch, andere von uns mussten das Sterben der Mutter betrauern. Wie auch immer – es ist wichtig, dass wir unseren Müttern einen Platz in unserem Leben, auch in unserem Herzen einräumen, nicht nur wenn sie gestorben sind, sondern selbstverständlich auch dann, wenn wir noch mit ihnen leben.
Ich bitte Sie nun, die Namen und damit die Gestalten Ihrer Mütter und Großmütter noch einmal „mit dem inneren Auge“ anzusehen unter zwei Aspekten: (1) Wir bedenken, was diese Frauen für uns bedeutet haben, wofür wir zu danken und was wir für unser Leben zu bewahren haben. (2) Wir bedenken, was wir bei ihnen zu verstehen und zu vergeben haben. (Einzelarbeit, 5 min, danach Einladung zum Austausch, evtl. in Dreiergruppen, 15 min)
Variante „Skulptur“:
Die Einheit setzt voraus, dass in der Ankündigung des Themas noch nicht der direkte Bezug zur Heiligen Anna genannt wurde, bzw. dass bei den Teilnehmerinnen nicht sofort mit der Assoziation „Anna-Selbdritt“ zu rechnen ist.
Einführung: Stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten als Gruppe den Auftrag, eine Skulptur zu gestalten, die die Beziehungen von Großmutter, Mutter und Kind ausdrückt. Der Vorentwurf ist auf diesem weißen Blatt zu gestalten. Bitte wählen Sie aus den verschiedenen Farben des Transparentpapiers für jede Person der Familie die entsprechende Farbe. Die Umrisse der Figuren und ihre entsprechenden Größen können Sie selbst festlegen und gemeinsam schneiden oder reißen. Auch die Anordnung auf dem Blatt, wie Sie die Beziehungen der Familienmitglieder ausdrücken, entscheiden und gestalten Sie in Ihrer Gruppe.
Nach 20 Min: Präsentation im Plenum; Reaktionen der anderen Gruppenmitglieder ermöglichen, danach kurze Stellungnahme der gestaltenden Gruppe
insgesamt: ca. 40 min
Bildbetrachtung „Heilige Anna“
Ich lade Sie ein zu einer Begegnung mit einer Großmutter und Mutter, die das Mutterbild unserer Vorfahrinnen sehr geprägt hat, und die fast immer mit dem Zusammenhang ihrer Familienbeziehungen dargestellt wurde – die Heilige Anna. Sie gilt als die Mutter Marias und damit als Großmutter Jesu. (Bild verteilen)
Auf diesem Bild begegnen wir ihr als Heiligenfigur unter 40 anderen Heiligen in einem der größten und schönsten Altäre des nordeuropäischen Raumes. Er stammt von 1430, aus der im 2. Weltkrieg zerstörten St. Georgenkirche in Wismar und befindet sich z.Zt. in der Nikolaikirche in Wismar.
Zunächst lassen Sie bitte diese Gestalt auf sich wirken, dann betrachten Sie sie gemeinsam mit der Frau, neben der Sie sitzen. Was spricht Sie besonders an? Was ist Ihnen fraglich? Wie empfinden Sie Gesichtszüge und Körperhaltungen der Figuren? (3 min / 10 min)
Zusammentragen der Gedanken in der Gesamtgruppe; evtl. kurze Erläuterungen zur Annen-Verehrung und Anna-Selbdritt-Darstellung im Mittelalter. Weiterer Gesprächsimpuls: Was fällt Ihnen zu diesen Kugeln ein? Bei anderen Darstellungen spielt das Jesuskind manchmal mit einer Frucht. Hier auch? Was gibt dieser Annenfigur Halt? Was mag ihr helfen, die Gewichte ihres Lebens so voller Würde zu tragen? (15 min)
Legende der Heiligen Anna (siehe unten):
Kurze Einführung der im apokryphen Jakobus-Evangelium überlieferten Legende und Nacherzählung. Dann erhält jede Teilnehmerin eine Kopie der Textausschnitte. Vor dem Lesen des Textes werden die Teilnehmerinnen gebeten, auf einen Satz zu achten, der ihnen wichtig scheint, um mit Anna in Beziehung zu treten, und diesen zu markieren. (10 min)
Vorlesen des Jakobus-Textes; evtl. abschnittweise durch verschiedene Frauen oder mit verteilten Rollen (10 min)
1 min Stille, dann werden die Teilnehmerinnen gebeten, einfach der Reihe nach „ihren“ Satz vorzulesen, ohne Kommentar. Dann werden die Frauen aufgefordert, sich erneut in den Dreiergruppen vom Anfang zu finden und die Gestalt der Anna unter zwei Aspekten anzuschauen: (1) Was könnte diese Frau für uns bedeuten, was könnten wir von ihrer Gestalt mit in unser Leben hineinnehmen? (2) Was können wir aus unserer Sicht nicht oder nur schwer verstehen? Wo haben wir unsere Fragen und Anfragen? (ca. 20 min)
Zusammenfassung im Plenum: Die Äußerungen zur 1. Fragestellung sollten kommentarlos aufgenommen werden. Aufgekommene Fragen sollten soweit möglich geklärt werden; m.E. schadet es auch nicht, manche Frage offen stehen zu lassen. (10 min)
Zusammenfassung durch die Leiterin: Ich hoffe, dass in dieser Begegnung mit Anna positive Erfahrungen mit Mütterlichkeit in uns wach geworden sind. Für mich strahlt Anna Gottes mütterliche Kraft in Liebe und Gelassenheit aus. Ich wünsche uns, dass wir Gottes mütterliche Kraft in uns selbst entdecken, damit wir mit uns selbst und anderen mütterlich umgehen können! Am Anfang haben wir Gottes väterliche Kraft und die männlich geprägte Dreieinigkeit besungen; es gibt ein mütterliches Pendant dazu, besungen in drei neuen Strophen des Liedermachers Gerhard Schöne. (Lied singen, 3 min)
Segen:
nach dem ganzheitlichen Segen von Georg Kugler (EG 902; evtl. von zwei Frauen im Wechsel gelesen)
Gott
voller Liebe wie eine Mutter
und gut wie ein Vater:
Er segne dich.
Sie lasse dein Leben gedeihen,
sie lasse deine Hoffnung erblühen,
sie lasse deine Früchte reifen.
Gott behüte dich.
Sie umarme dich in deiner Angst,
sie stelle sich vor dich in deiner Not.
Gott lasse leuchten
sein Angesicht über dir.
Wie ein zärtlicher Blick erwärmt,
so überwinde sie bei dir, was erstarrt ist.
Er sei dir gnädig.
Wenn Schuld dich drückt,
dann lasse sie dich aufatmen und mache dich frei.
Gott erhebe sein Angesicht über dich.
Sie sehe dein Leid,
sie tröste und heile dich.
Er gebe dir Frieden.
Das Wohl des Leibes,
das Heil deiner Seele,
die Zukunft deinen Kindern.
Gudrun Schmiedeberg, geb.1965, ist seit 14 Jahren Pastorin in Hohen Mistorf / Mecklenburgische Schweiz. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern (7 und 9 Jahre).
Derweil weinte Anna, sein Weib, denn sie hatte zweierlei Grund zur Klage: „Ich härme mich über meine Witwenschaft“, sprach sie, „ich härme mich, dass ich unfruchtbar bin.“ Als der festliche Tag des Herrn herangekommen war, sprach zu ihr Judith, ihre Magd: „Wie lange noch ist deine Seele betrübt? Siehe, der festliche Tag des Herrn ist da; du hast nicht das Recht, zu weinen. Doch nimm dieses Kopfband, das mir meine frühere Herrin geschenkt hat; ich kann mich nicht damit schmücken, denn ich bin Leibeigene, und es trägt das Zeichen des königlichen Stammes.“ … Da legte Anna ihre Trauerkleider ab in ihrem großen Kummer; sie wusch ihr Haupt, tat wieder ihr Hochzeitsgewand an und stieg um die neunte Stunde in den Garten hinab, um sich dort zu ergehen. Sie erblickte einen Lorbeerbaum, setzte sich unter sein Laubdach und rief den Allmächtigen an: „Gott meiner Väter, segne mich, erhöre mein Flehen, so wie du Sarah in ihrem Leibe gesegnet und ihr Isaak, ihren Sohn geschenkt hast!“
Und als sie zum Himmel emporschaute, sah sie ein Sperlingsnest im Lorbeerbaum; da begann sie wieder zu seufzen und sprach in ihrem Herzen: „Weh mir! Wer hat mich nur erzeugt und welcher Schoß hat mich geboren, dass ich verflucht ward unter den Kindern Israels und sie mich in Schande davonjagten aus dem Tempel des Herrn? Weh mir! Wem gleiche ich nur? Nicht einmal den Vöglein im Himmel, denn die Vögel im Himmel sind fruchtbar vor Dir, o Herr!“ … Und siehe, ein Engel des Herrn erschien ihr und sprach: „Anna, Anna, der Herr hat deine Klage gehört. Du wirst empfangen, du wirst gebären, und dein Same wird überall auf der Erde genannt werden!“ Anna erwiderte: „So wahr der Herr, mein Gott lebt: Sollte ich ein Kind gebären, Sohn oder Tochter, so weihe ich es dem Herrn, meinem Gott, damit es ihm diene sein Leben lang!“ Da traten zwei Boten zu ihr und sprachen: „Siehe, Joachim, dein Mann, zieht dir entgegen mit seinen Herden, denn ein Engel des Herrn stieg zu ihm herab und sprach zu ihm: Joachim, Joachim, der Herr hat dein Flehen erhört. Gehe von hinnen, denn siehe, Anna, dein Weib, wird in ihrem Schoße empfangen.“…
Es erfüllten sich aber Annas Monde, und am neunten gebar sie. Da fragte sie die Hebamme: „Was habe ich zur Welt gebracht?“ Die antwortete: „Eine Tochter.“ Anna sprach: „Verklärt ist meine Seele an diesem Tage!“ und bettete das Kind. Als sodann die vorgeschriebenen Tage vorüber waren, erhob sie sich, wusch sich, reichte ihrem Kinde die Brust und nannte es Maria. … Als der erste Jahrestag des Kindes herangekommen war, gab Joachim ein großes Festmahl… Und seine Mutter trug es ins Heiligtum seiner Schlafkammer und reichte ihm die Brust. Dann stimmte Anna ein Lied für den Herrn an mit diesen Worten:
„Singen will ich ein Lied dem Herrn, meinem Gott! Denn er hat mich besucht und die Schmach fortgenommen, die meine Feinde mir angetan! Denn der Herr schenkte mir eine Frucht seiner Gerechtigkeit, die eins ist und vielfältig. Wer kündet es jetzt den Söhnen Rubens, dass Anna Mutter ist? Hört es, hört es, zwölf Stämme Israels, dass Anna Mutter ist!“
Die Monde gingen dahin, und als das kleine Mädchen zwei Jahre alt war, sprach Joachim: „Wir wollen es in den Tempel des Herrn bringen, um unser Versprechen zu erfüllen; sonst könnte uns der Allmächtige gram sein und unsere Opfergaben verwerfen!“ Doch Anna erwiderte: „Warten wir noch das dritte Jahr ab, damit das Kind nicht nach Vater oder Mutter verlange!“ Und Joachim sprach: „Warten wir also ab!“
Als aber das Kind drei Jahre alt war, sprach Joachim: „Ruft die Töchter der Hebräer reinen Blutes; eine jede nehme eine Fackel, eine Fackel, die nicht erlischt! Denn das Kind darf sich nicht rückwärts wenden und sein Herz fortschenken außerhalb des Tempels des Herrn!“ Sie taten, wie er geheißen hatte, und stiegen zusammen zum Tempel des Herrn hinauf.
Und der Priester empfing das Kind, nahm es in seine Arme, segnete es und sprach: „Verherrlicht hat der Herr deinen Namen von Geschlecht zu Geschlecht! In dir wird er am Ende der Tage die Erlösung offenbaren, die er den Kindern Israels gewährt!“ Dann ließ er Maria auf der dritten Stufe des Altars niedersitzen. Und Gott der Herr goss seine Gnade über sie aus. Da sprang sie auf die Füße und begann zu tanzen. Und das ganze Haus Israels gewann sie lieb.
Übersetzung aus: Henry Daniel-Rops (Hg.), Die apokryphen Evangelien des Neuen Testaments, Zürich 1956
andere Übersetzung verfügbar unter: www.heiligenlexikon.de, Stichwort „Anna“
Anmerkungen:
1 Vgl. Utpatel-Hartwig / Schrama, S. 97
2 „Apokryph“ hat im Griechischen mit „verbergen“, „geheim halten“ zu tun. Im Fremdwörterbuch finden wir für dieses Wort eine Erklärung, die bereits die Bewertung der apokryphen Schriften im Blick hat: „zweifelhaft, unecht“ (vgl. Großes Fremdwörterbuch, Leipzig 1977, S. 63). So stellt zum Beispiel Daniel-Rops in seiner 1956 erschienenen Ausgabe der apokryphen Evangelien des NT fest, „dass die ,apokryphen Evangelien‘ nichts zur Offenbarung beitragen; dass sie durchaus nicht den ,Schlüssel der Erkenntnis‘ überliefern und sich in keiner Weise an geistigem Reichtum, moralischer Lauterkeit, ja nicht einmal an formaler Schönheit mit den kanonischen Evangelien messen können“. (Daniel-Rops, S. 9)
3 In diese Nacherzählung sind Zitate aus dem Originaltext eingefügt, wie er bei Daniel-Rops, S. 34-38, wiedergegeben ist; vgl. ausführlicher: S. 48f
4 Grün, S. 24
5 Zender, S. 752
6 Vgl. dazu auch Ströter-Bender, S. 176ff
7 Vgl. Kufner, S. 70f
8 Kleinschmidt, S. 252ff
9 Ebd., S. 263ff; vgl. Utpatel-Hartwig / Schrama, S. 66 und 97
10 Vgl. Art. „Anna“ in: LThK, Bd. 1, S. 32
11 „Selbdritt“ ist keine Name, sondern bedeutet ungefähr so viel wie „zu dritt“. Der Begriff – manchmal auch „Metterze“ von lat. „medius“, mittel und „tertius“, dritter) – steht für die gemeinsame Darstellung von Anna mit Maria und dem Jesuskind.
12 Vgl. Kleinschmidt, S. 217ff
13 Utpatel-Hartwig / Schrama, S. 48
14 Interessant ist die mystische Deutung des Aspektes des Loslassens durch Ströter-Bender, S.179: „Mit dieser uns heute fremd erscheinenden Weihegabe hat sie ihr Kind in symbolischer Geste Gott vertrauensvoll zurückgegeben. Sie hat es dadurch vorbereitet, die Mutter des Erlösers, Gottesgebärerin, zu werden. Nur wenn wir loslassen, verdeutlicht die Gestalt der Anna, was uns das Liebste im Irdischen ist; nur wenn wir nicht daran festhalten, wird der Weg zur geistigen Erlösung geöffnet.“
15 Vgl. hierzu auch Schneider, S. 47
16 Vgl. Kleinschmidt, S. 223
17 Vgl. Ströter-Bender, S. 167
18 Vgl. Kufner, S. 78
19 Ströter-Bender, S. 169
20 Interessant ist hierbei auch die von Lore Kufner aufgezeigte Verbindung zum matriarchalischen Mythos der Bethen-Dreiheit (vgl. Kufner, S. 78f).
Literatur:
Astrid Utpatel-Hartwig, Ilse Schrama: Heilige Frauen in den Kirchen Mecklenburg-Vorpommerns, Stralsund/Amsterdam 2004
Jutta Ströter-Bender: Heilige. Begleiter in göttliche Welten, Stuttgart 1990
Lore Kufner: Getaufte Götter. Heilige zwischen Mythos und Legende, München 1992
Beda Kleinschmidt: Die Heilige Anna. Ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und Volkstum, in: Forschungen zur Volkskunde, hg. v. Georg Schreiber, Heft 1-3, Düsseldorf 1930
Anna Selbdritt: Auf den Spuren der heiligen Anna in Kunst, Volksfrömmigkeit und Lebensvollzug. In: Schritte ins Offene, Heft 6/2001
Erika Wisselinck: Anna im Goldenen Tor. Gegenlegende über die Mutter der Maria. Zürich 1990
Anselm Grün: Fünfzig Helfer in der Not. Die Heiligen fürs Leben entdecken, Freiburg 2002
Reinhold Schneider: Heilige Frauen, Freiburg 1959
Joh. H. Emminghaus: Anna, Recklinghausen 1968
Johannes Halkenhäuser: „Dass man der Heiligen gedenken soll…“ Evangelische Annäherung zum Thema „Heilige und Heiligenverehrung“. In: Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern, Nr. 30/1996
Hans-Joachim Maaz: Der Lilith-Komplex. Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit. München 2003
Henry Daniel-Rops (Hg.): Die apokryphen Evangelien des Neuen Testamentes, Zürich 1956
Matthias Zender: Anna, Heilige, in: TRE Bd.2, 1978
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