Alle Ausgaben / 2006 Material von Sybille Fritsch-Oppermann

Gottes Zukunft gebären

Von Sybille Fritsch-Oppermann


Das, was ist, ist nicht alles. Solange man Geschichten von Befreiung erzählt, geschieht – ansatzhaft – Befreiung. Der Beginn der Exodusgeschichte ist eine von vielen Geschichten über die Zukunft, in der die Befreiung aus Ägypten geschehen wird und in der das erinnernde Erzählen die Befreiung immer wieder ins Gedächtnis holt und neue Befreiungserfahrungen und Befreiungsgeschichten ermöglicht.

Ziviler Ungehorsam tut Not: die Gottesfurcht zeigt sich etwa als mutige Weigerung, Pharaos Tötungsbefehl nachzukommen. Die Hebammen geben Leben – in ihrem alltäglichen Beruf und im Widerstand. Sie unterscheiden die Neugeborenen nicht nach dem Geschlecht. Mit List gelingt es ihnen, sich nicht der Opposition zwischen Leben und Tod, Ägyptern und Hebräern, Söhnen und Töchtern zu beugen.

Auch die Rettung des Moses kann nur gelingen, weil zwei Frauen gemeinsam sich gegen die Macht Pharaos zur Wehr setzen – zwei sehr unterschiedliche Frauen, die eine die Tochter des Herrschers Pharao selbst. Miriams – Moses Schwester – Rede aber erst bringt über ethnische und soziale Grenzen hinweg diese beiden Frauen zusammen: hoffend bleibt sie dabei, initiiert Kommunikation…

Der zivile Ungehorsam dieser Frauen ist subversiv, muss es sein in dem ihnen zugedachten Rahmen. Gerade deshalb machen sie Mut, sind Impuls für neuen Widerstand und neue Befreiung. So gehen immer Hoffnung und Realismus in dieser Welt Hand in Hand. Das lehrt uns auch Offenbarung 21. Es gilt alles zu erhoffen und gerade darum ganz realistisch zu sehen, was dieser Hoffnung entgegensteht, auf dem Weg ihr entgegen getan werden muss. So ist die Gefahr eines Utopieverlustes, dass die Gegenwart als einzige Zeit übrig bleibt. Wir vergessen, dass wir in Gott und jenseits von Zeit und Raum geborgen sind. Statt uns Gottes Zuspruch und Anspruch auszusetzen – und das ist wahrlich kein Kinderspiel, vielmehr eine Sache auf Leben und Tod – hetzen wir nur dem Eigenen nach – Rechthaben, Gewinn, Einfluss: Pharaonen der Moderne.

Die Gefahr der Utopien andererseits ist es, um der Zukunft willen die Gegenwart zu vernachlässigen – also eine falsche Hoffnung gegen die Gegenwart auszuspielen. Aber etwa auch in Micha 4 geht es als Verheißung zukünftiger Gottesgegenwart nicht um „Ruhe statt Arbeit“, sondern um „Ruhe nach der Arbeit“. Das Reich Gottes ist etwas qualitativ Neues, ein Gottesgeschenk auch – das ist wahr. Aber wie es u. a. in der These V der Barmer Theologischen Erklärung heißt, gilt es eben dies Reich Gottes zu erinnern. Es ist nämlich weder ausstehende Perfektionierung allen Fortschritts noch jenseitige Kompensation irdischen Leids. Es ist (so Jes 65) vielmehr die Verwandlung des realen Lebens, Arbeitens und Betens.

Nicht ein Text für Frauen ist dieser Text sondern ein Frauen-Text. Die feminine Liebe zum Leben bringt das Eis patriarchischer Allmachtsphantasien zum Schmelzen. Von Glaube (Religion), Hoffnung (Utopie) und Liebe (gegenwärtiges solidarisches und realistisches Handeln) ist die Liebe die Größte. Und wo wir, Männer und Frauen, alles, was gut ist, an unserer weiblichen Seite wieder entdecken, wo die „anima“ aus dem Schatten des „animus“ heraustritt, lernen wir, die notwendige Schärfe und Kritik und die notwendige Behutsamkeit des Bewahrens zu vereinbaren: gebären wir Gottes Zukunft.

Sybille Fritsch-Oppermann

aus:
Schatzsuche
Loccumer Andachten
© Evangelische Akademie
Loccum 2002

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