Alle Ausgaben / 2005 Material von Sigrid Glockzin-Bever

Gottesbilder können tragen

Von Sigrid Glockzin-Bever


Unsere Bilder von Gott haben ihre Geschichte. Sie reichen zurück in unsere Kindheit, wandeln sich in unserem Leben, können sich als tragfähig erweisen.
Als der Krieg schon zu Ende war, so schreibt eine Frau, die aus dem Sudetenland stammt, begann im September 1945 die Vertreibung. Sie, damals ein Mädchen von acht Jahren, erzählt: „Angetan mit meiner besten Wintergarderobe in Dunkelblau – mitten im Sommer – wurde ich mit vielen anderen von berittener Polizei zum Bahnhof getrieben, nachdem uns vorher noch alle Wertsachen abgenommen worden waren. In offene Kohlenwagen verladen, von einem wilden Gewitter, Hagel- und Regengüssen begleitet, die den Kohlenstaub am Boden der Waggons aufweichten, wurde der Zug über die Grenze geschoben und blieb als nicht erwünscht liegen…“
Die Vertreibung aus dem Paradies ihrer Kindheit hinterließ tiefe Verletzungen. Ihr Vater überlebte die Kränkung der Vertreibung nicht, er starb, kaum dass sie wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Aber auch sie ringt seitdem mit ihrem Leben, und soviel sie auch verloren hat, ihr Gottesbild ist dabei nicht zerbrochen. Sie hat früh gelernt, das Unrecht, das Menschen ihr angetan haben, nicht auf Gott zu schieben, sondern gerade im Vertrauen zu ihm ihre Zuflucht zu finden. Merkwürdig, dass ein Mensch so zu Gott findet und ein anderer durch solche Erlebnisse Gott verliert. Das Wechselspiel unserer Erfahrungen und der Wirkung Gottes in unserem Leben lässt sich nicht allein psychologisch erklären. Die Frau aus dem Sudetenland sucht noch heute ihre Heimat bei Gott gegen alle Erfahrungen der Heimatlosigkeit. Ihr Vertrauen hat sich bewährt, auch wenn kein Weg zurück ins Paradies führt. Manchmal hadert sie, wenn sie ihren Lebensweg Stück um Stück dem Gefühl der Vergeblichkeit abtrotzen muss. Aber sie macht Ernst mit ihrem Glauben, stellt sich den Zumutungen der Liebe, die auch dann weiterkämpft, wenn sie nicht erwidert wird und ohne Antwort bleibt. Sie stellt sich ihrer Angst, kämpft mit dunklen Bildern, kann sich aber auch versöhnen mit dem, was ist.
Vor einer großen Reise, erzählte sie mir, träumte sie vom Ritt auf einem Elefanten, der sie durch die Wüste trägt. So erlebe ich sie: Getragen und bedroht, beides zugleich, mit einem Bild von Gott im Herzen, das die Sehnsucht nach dem Himmel wach hält. 


aus: Beziehungsreich. Religiöse Texte aus dem Alltag für den Alltag
© Spener Verlag

 

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