Bitte nicht! Weil Bauwerke von Macht und Ohnmacht, vom Einreißen und Aufbauen zeugen und so zu wichtigen Symbolen werden. Ein Besuch an Orten der deutschen Hauptstadt, die davon Geschichten erzählen.
„Da wurde ein wichtiger Ort der deutschen Demokratiegeschichte entsorgt“, sagt Konrad Weiß. Der Filmemacher und spätere Bundestagsabgeordnete saß in der ersten freigewählten Volkskammer der DDR. Die tagte von März bis Oktober 1990 im Ost-Berliner Palast der Republik. „Das ist der Ort, an dem das erste Parlament zusammenkam, das aus einer erfolgreichen Revolution der Deutschen hervorgegangen ist“, sagt Weiß, der maßgeblich zur Friedlichen Revolution und dem darauffolgenden Mauerfall beigetragen hat.
Doch das geschichtsträchtige Gebäude sollte weg. Um jeden Preis. 2003 hatte der Deutsche Bundestag seinen Abriss beschlossen. Tausende protestierten – ohne Erfolg. „Reißt die Paulskirche ein!“ schrieb Konrad Weiß damals in einem provokanten Beitrag für eine Berliner Zeitung. Sein Vergleich mit der berühmten Kirche in Frankfurt/Main hatte durchaus seine Berechtigung: Den Protestierenden gegen den Abriss des Palastes der Republik auf der Spreeinsel inmitten von Berlin ging es nicht um die Feierhalle der SED, nicht um die freundliche Erinnerung an Konzerte, Essen oder Kinderfeiern. Es ging ihnen, wie Weiß sagt, um einen Ort, an dem die zweite deutsche Diktatur endgültig zu Grabe getragen und die Weichen gestellt wurden für den demokratischen Aufbau Ostdeutschlands, für die Wiedervereinigung. Es war eine Zeit der kühnen Alternativen und des Aufbruchs. Mit diesem Ort, ist Weiß überzeugt, sollte das Gedächtnis daran zerstört werden, dass die Deutschen in der DDR ihre Demokratie der eigenen Kraft, der erfolgreichen Friedlichen Revolution verdanken. In Berlin steht dafür auch der 4. November 1989. Fünf Tage vor dem Mauerfall zog etwa eine Million Menschen am Palast der Republik vorbei. Eineinhalb Millionen Einwohner*innen hatte Ost-Berlin damals. Berliner Künstler*innen hatten die Demonstration mit dem damals neu gegründeten Neuen Forum initiiert. Unvergesslich sind die Bilder der jungen Menschen, die auf dem Dach des „Palastes“ saßen. Plötzlich befand er sich inmitten der Friedlichen Revolution. Die Begründung, das Gebäude sei asbestverseucht und ästhetisch nicht tragbar, lässt Konrad Weiß nicht gelten. „Dann müsste auch im westlichen Berlin so mancher Klotz, der das Stadtbild verschandelt, fort.“
Aufgrund der Proteste und Klagen verzögerte sich der Abriss. So konnten Künstlerinnen und Künstler noch ein Jahr nach der Bundestagsentscheidung 2004 das Gebäude auf ihre Weise beleben. Dazu gaben sie dem Gebäude den Namen „Volkspalast“ und luden zu Ausstellungen, Theater und Aktionen ein. Die für 87 Millionen Euro asbestentkernte, graffitiverschmierte Ruine wurde zum Schau-Ort von mehr als 900 Kunst-Events mit schätzungsweise 650.000 Besucher*innen. Im Rahmen eines weiteren Kunstprojektes regte der norwegische Künstler Lars Ramberg im Januar 2005 mit den mehr als sechs Meter hohen, neonbeleuchteten Großbuchstaben „Zweifel“ auf dem Dach des Palastes der Republik zum Nachdenken an. Ramberg wollte die Diskussionen um die Geschichte fördern. Es ging ihm um den Diskurs über verloren gegangene Utopien, das Suchen nach neuen Perspektiven und Identitäten. Die Aktion lief bis zum Mai 2005. Ein Jahr später lehnte der Bundestag endgültig die Verschiebung des Abrisses ab, Bagger und Kräne rückten an, der freigelegte Keller wurde mit 20.000 Kubikmetern Sand aufgefüllt. Eine Wiese sollte die Brache begrünen, damit – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras über ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte wächst.
Heute steht ein ganz anderes Gebäude hier: das wiedererrichtete preußische Stadtschloss. Pompös bestimmt das riesige barocke Bauwerk das alte Stadtzentrum, in unmittelbarer Nachbarschaft zum DDR-Fernsehturm aus den 1970er Jahren und dem wiedererrichteten Berliner Dom. Nach den Plänen des italienischen Architekten Franco Stella gebaut, ist das Schloss eine Erinnerung an die deutsche Kaiserzeit. Revolution, nein danke! Dieses Gebäude demonstriert vor dem Hintergrund des Palastes der Republik, der hier einst stand, sehr anschaulich, dass Bauten unser Bewusstsein prägen und immer auch eine Demonstration von Macht sind. Auch eine Macht über die Geschichte, darüber, woran wir uns erinnern oder eben auch nicht. Bauen heißt immer Macht, Einreißen auch. Nicht die Leuchtbuchstaben „Zweifel“ bekrönen heute das pompöse Schlossgebäude, sondern – in 70 Metern Höhe – ein weithin sichtbares goldenes Kuppelkreuz.
Auch das hatte Diskussionen ausgelöst. Genauso wie das blaue Spruchband am Fuß der Kuppel. Es geht auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurück, der im Zuge der von ihm abgelehnten Revolution von 1848/49 zwei Zitate aus dem Neuen Testament als Inschrift festlegte. Etwas holprig heißt es: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama hatte damals an die Bischöfe in der Hauptstadt appelliert, sie sollten „an der Spitze einer Bürgerinitiative dafür plädieren“, die Inschrift zu beseitigen, denn „im Jahr 2020 sollte es einen solchen Rückfall in die Gedankenwelt eines Preußenkönigs nicht geben.“ Friedrich Wilhelm IV. habe „sich einen Namen bei der blutigen Niederschlagung der Revolution von 1848 gemacht“, begründete der jüdische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit seine Position. Bedenken äußerte auch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Dass der Bibelspruch beim Wiederaufbau eins zu eins übernommen worden sei, sehe man kritisch: „Der Spruch zeigt eine Mischung aus Bibelzitat und seltsamer Königstheologie, eine restaurative Betonung von machtvollen Alleinvertretungsansprüchen“, so EKBO-Sprecherin Amet Bick. Die Rekonstruktion des Kuppelkreuzes verteidigte sie wie auch die evangelischen und katholischen Bischöfe Stäblein und Koch. Das Kreuz habe schließlich in seiner Geschichte viel Missbrauch und Missverstehen überstanden.
Ob diese Diskussion die Menschen unten überhaupt berührt? Manche, die an diesem Sonntag zur Besichtigung hergekommen sind, lehnen entspannt an den hohen Eingangssäulen zum Schloss. Schwarze Info-Tafeln verkünden, warum sie hier sind: wegen des Humboldt Forums, einem Universalmuseum. Breite Rolltreppen führen zu den modern und interessant präsentierten Ausstellungen. Sie sind frei zugänglich, auch große Familien können sie problemlos besuchen, ohne aufs Portemonnaie zu schauen. 20.000 Exponate auf 16.000 Quadratmetern sind zu bewundern.
Am Eingang der zweiten Etage, im Ethnologischen Museum, in dem die Kunst Ozeaniens und Afrikas präsentiert wird, basteln Kinder Masken. Auch Patrick aus Schweden sitzt mit seinem vierjährigen Sohn Noah an dem langen Holztisch. Die ungezwungene Atmosphäre gefällt dem jungen Vater. Doch unumstritten ist diese Etage mit vielen aus der Kolonialzeit stammenden Exponaten nicht. Die Kunsthistorikerin Benedicte Savoy, die dem Beirat des Humboldt Forums angehörte, aus dem sie demonstrativ austrat, brachte das Problem auf den Punkt: Sie sieht einen unlösbaren Widerspruch zwischen „Schloss-Kopie“ und Ausstellung. Die Architektur signalisiere, man könne Geschichte „rückgängig“ machen. Doch Nationen, die um Rückgabe gestohlener Objekte bitten, erkläre man das Gegenteil: Geschichte lasse sich nicht rückgängig machen.
Die Kritik reißt auch nach der Eröffnung des Humboldt Forums am 20. Juli 2021 nicht ab: Viele der Exponate seien insbesondere in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg unrechtmäßig aus damals deutschen Kolonien entwendet oder als Hehlerware aus anderen Kolonien erworben worden. Allen voran die Benin-Bronzen, einzigartige Kunstwerke, allesamt 1897 von britischen Kolonialtruppen aus dem damaligen Königreich Benin geraubt. Sie zeugen von der einzigartigen handwerklichen und künstlerischen Fähigkeit der Bevölkerung und gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück: Altäre, Thronhocker, Köpfe aus dem königlichen Palast, Armbänder und kunstvoll geflochtene Körbe. Beim Betrachten lassen sie neben der Demut vor so vielen Fertigkeiten den bitteren Beigeschmack zurück, dass all das gestohlene Gegenstände sind.
Viele der Besucher*innen haben auf bunt beschriebenen Zetteln genau diesen Zwiespalt hinterlassen. Und dann erfährt man auf einer der sehr pädagogisch aufbereiteten Schautafeln, dass der Protest gewirkt hat: Am 1. Juli 2022 unterzeichneten Deutschland und Nigeria ein Abkommen über die Rückgabe der Benin-Bronzen in deutschen Museen. Sie sollten in nigerianisches Eigentum übergehen, zunächst aber überwiegend als nigerianische Leihgaben an ihren jeweiligen Standorten verbleiben. Nur zwei Objekte wurden direkt zurückgegeben. Den schalen Beigeschmack kann diese Information nicht nehmen.
Wer unter den hohen Sandsteinportalen mit den Erinnerungstafeln an Friedrich I. und Friedrich II. das Schloss zur Südwestseite verlässt, stößt dann doch noch auf eine Erinnerung an die Rolle des Volkes in der Geschichte. Es ist allerdings noch eine Baustelle.
Das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das hier entstehen soll, steht für das geschichtsträchtige Jahr 1989. Eine langgezogene Wippe soll an die Friedliche Revolution erinnern, ohne die Mauerfall und Einheit nicht möglich gewesen wären. Die Idee des Stuttgarter Architektenbüros Milla und Partner, das den langwierigen und umstrittenen Wettbewerb schließlich gewann, sieht eine bewegliche Wippe vor, auf der sich mindestens 20 Menschen versammeln müssen, um sie in Bewegung zu setzen. An ihrer Unterseite sind Fotos der bewegenden Tage aus dem Herbst 1989 vorgesehen. Die Baukosten betragen 17 Millionen Euro. Die Fertigstellung, für 2024 angekündigt, steht in den Sternen. Die kann man unterdessen in dem nur wenige Schritte entfernten neuen U-Bahnhof Museumsinsel an einer atemberaubenden blauen Decke besichtigen. Für nicht wenige Besucher*innen ein guter Grund, herzukommen.
Nicht 20, wie für die Wippe nötig, sondern 150.000 Menschen haben sich an diesem regnerischen Februartag 2024 vor dem Reichstag versammelt. „Weil dieses Haus für Demokratie und ein freiheitliches Parlament steht, das wir erhalten müssen“, sagt Jana Frank. Sie ist aus NRW angereist, steht neben ihrer Freundin aus Berlin auf dem aufgeweichten Rasen vor dem Parlamentsgebäude. Kurz zuvor hatten sich Tausende hier die Hände gereicht und eine „Brandmauer“ um das Gebäude gebildet. Dass sie sich ausgerechnet diesen Ort mit der Aufschrift Dem deutschen Volke ausgesucht haben, ist naheliegend. Steht doch das Gebäude wie kein zweites in der Hauptstadt für eine offene Gesellschaft und Demokratie. Die allermeisten haben an diesem Tag selbstgebastelte Plakate mitgebracht. „Höckste Gefahr“ steht darauf, „Nazis essen heimlich Döner“, „Mein Freund Mali bleibt“ und „Hass macht hässlich“. Sie vereint die Ablehnung der AfD und damit die Sorge um dieses Haus, um das freiheitliche Parlament.
Dabei steht das Reichstagsgebäude in den 120 Jahren seiner Geschichte nicht nur für Demokratie, sondern auch für Macht und Ohnmacht. Als die Reichsregierung unter Otto von Bismarck ein Haus für das deutsche Parlament suchte, fiel die Wahl auf diesen Ort: wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Ein damals eher unbekannter Architekt, Paul Wallot, hatte den Wettbewerb gewonnen. Dass er mit dem Bau auch eine zutiefst demokratische Idee verband, haben wohl nur wenige geahnt. Am wenigsten Kaiser Wilhelm I., dem die „Schwatzbude“ oder das „Affenhaus“, wie er das Parlament verächtlich nannte, zutiefst suspekt war. Paul Wallot rang ihm schließlich die Idee ab, die große Kuppel aus Stahl und Glas auf dem Gebäude direkt über dem Parlament thronen zu lassen. Eine Referenz an das Parlament als Vertreterin der Demokratie. Auch die am Westportal vorgesehene Inschrift Dem deutschen Volke musste gegen den Kaiser und die Verfechter der Monarchie erstritten werden. 1916 wurde sie schließlich von der Gießerei der jüdischen Firma Loevy angebracht.
Um Demokratie wurde in diesem Haus auch damals schon erbittert gestritten. So etwa, als 1912 hier der erste Frauenkongress stattfand, der nicht nur im Blick auf das Wahlrecht Gleichberechtigung für Frauen einforderte. Oder 1920, als 37 weibliche Abgeordnete in das Parlament einzogen. Er war der Beginn einer einzigartigen Emanzipationsbewegung. „Schneid dir ab den alten Zopf, schneid Dir einen Bubikopf!“ Das forderten die Frauen nicht nur, sondern taten es auch.
Auch heute wölbt sich wieder eine weithin sichtbare Kuppel über dem Plenarsaal der Abgeordneten. Die begehbare Glaskonstruktion stammt von dem Londoner Architekten Norman Forster und soll nicht nur eine offene, selbstbewusste Gesellschaft symbolisieren, sondern auch von der Last der Geschichte befreien. Die hatte auch dieses Haus hart getroffen. Bekanntlich tagte das Parlament der Weimarer Republik nicht lange hier, und nur 28 Tage nach der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 ging es in Flammen auf. Es folgten der Zweite Weltkrieg mit massiven Bombenschäden und die Befreiung 1945, zu der russische Soldaten nicht nur die rote Fahne auf dem Gebäude hissten, sondern auch kostbare Inschriften für die Nachwelt hinterließen.
Nach dem Krieg fiel der Reichstag, nunmehr auf westlicher Seite unmittelbar an der Nahtstelle zwischen Ost und West gelegen, für lange Jahre in einen Dornröschenschlaf – nur gelegentlich von hohen Staatsbesuchen unterbrochen. Das sollte sich nach der Friedlichen Revolution und dem Mauerfall grundsätzlich ändern. Nach dem Hauptstadtbeschluss im Juni 1991, als sicher war, dass der Bundestag hier einziehen würde, wurde die Planung in Angriff genommen. Dabei war vielen Menschen in Deutschland das Gebäude längst fremd geworden. Das sollte sich erst ändern, als das Künstlerehepaar Christo und Jeanne- Claude das Gebäude mit einem feuerfesten, silberglänzenden Gewebe verhüllte. Gut 20 Jahre hatte die Debatte darum gedauert, jetzt kam die Aktion gerade zur rechten Zeit. Fünf Millionen Besucher*innen aus Ost und West strömten herbei und veranstalteten rund um den „eingepackten Reichstag“ ein gigantisches Volksfest. In genau 14 Tagen, vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995, hatte das Gebäude seiner Inschrift Dem deutschen Volke alle Ehre gemacht. Und das sollte sich auch nicht ändern, nachdem Bundestagspräsident Wolfgang Thierse am 19. April 1999 die Schlüssel übernahm und seither der Bundestag hier tagt. Dabei wird er immer begleitet von Menschenscharen, die die Glaskuppel über dem Plenarsaal besuchen – nah am Parlament und mit einem herrlichen Ausblick auf die grüne Hauptstadt und das nahegelegene Brandenburger Tor.
Am Brandenburger Tor kündet im nördlichen Torhaus ein blauer Aufsteller von einem besonderen Ort: dem „Raum der Stille.“ Den Anstoß dazu hatten der evangelische Pfarrer Johannes Hildebrandt und der katholische Pater Adolf Kegebein aus dem ehemaligen Ostteil der Stadt gegeben. Angeregt durch die Friedensgebete und Mahnwachen im Oktober 1989 waren sie auf der Suche nach einem Raum der Ruhe und des Nachdenkens, der von ?allen Konfessionen getragen wird: einem Ort, an dem persönliche Schicksale verarbeitet werden können, und einem Raum, der zeigt, wie notwendig das Erinnern des Vergangenen und das bewusste Wahrnehmen der Gegenwart ist. Durch einen Förderkreis mit einer engagierten Maria Diefenbach an der Spitze und mit Unterstützung des Berliner Senats wurde er hier am Brandenburger Tor Wirklichkeit. Bis zu 100 Menschen kommen täglich her. „Der Raum soll allen Menschen, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion und Weltanschauung, Gelegenheit geben sich zu besinnen“, heißt es. Seit 30 Jahren besteht dieser Raum. Adelgrund Lissy, die seither hier Dienst tut, weiß von vielen jungen Menschen aus aller Welt zu berichten, die herkommen, in der Stille meditieren, über Geschehenes nachdenken. „In Berlin kann man Geschichte unterrichten, ohne dass man in einem Klassenraum ist“, sagt Johannes Weischede, der ebenfalls hier Dienst tut.
Draußen hat sich eine große Gruppe für ein Foto versammelt, andere tanzen zum Spiel eines Geigers. Ob sie alle wissen, dass dieser Ort vor dem Brandenburger Tor in Zeiten der Teilung für Menschen aus dem Osten unerreichbar war? Etwa 200 Meter davor versperrten Absperrgitter und Blumenkübel aus Beton den Weg. Wer weitergehen wollte, begab sich in Lebensgefahr. Dann die Maueröffnung an diesem atemberaubenden 9. November, an dem das Brandenburger Tor zum weltweiten Symbol für das Ende der Teilung Deutschlands wie auch ganz Europas wird. Unvergessen die jubelnden Menschen damals in Ost und West und mittendrin das „Tor des Friedens“. Das war nicht immer so. Erst zogen Napoleons Truppen durch das Tor, dann die preußischen. Dunkel die Nächte, in denen die SA hier marschierte. Eine Perversion, dass zwischen den Säulen des Architekten Carl Gotthard Langhans, der sich bei der Errichtung des Tores 1789 bis 1793 die griechische Akropolis zum Vorbild nahm, riesige Hakenkreuzfahnen hingen. 1961 rollten hier DDR-Kampftruppen Stacheldraht aus und errichteten unmittelbar hinter dem Brandenburger Tor, das auf der Ostseite lag, eine meterdicke Mauer.
Bei besonderen Anlässen wurde es auch von der DDR-Führung mit Fahnen zugehängt: beim Besuch John F. Kennedys 1963 etwa, oder als Ronald Reagan kam. Der hatte bei seinem Besuch in Berlin 1987 Michael Gorbatschow aufgefordert: „Öffnen Sie das Tor.“ Dass das schon zwei Jahre später – auch dank Gorbatschow und vieler gewaltlos für Veränderung streitender Menschen – Wirklichkeit wurde, hat niemand geahnt. Und so ist dieses Brandenburger Tor auch ein Wahrzeichen dafür, dass Todesstreifen überwunden werden können. Hier in Berlin und ganz gewiss auch anderswo in der Welt.
Bettina Röder hat Kunsterziehung, Kunstgeschichte und Deutsch studiert. Sie hat als Lehrerin, Redakteurin und Journalistin gearbeitet, zuletzt als Verantwortliche Redakteurin im Berliner Büro der Zeitschrift Publik Forum. Heute lebt sie als freie Journalistin in Berlin.
www.publik-forum.de/Autor/bettina-roeder
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