Ausgabe 1 / 2002

Grenzübergang

Europa schaffen

Keine Frage – unser Leben wird anders ab Januar 2002. Die Einführung des „Euro“ als gemeinsame Währung in zwölf europäischen Ländern bedeutet mehr als nur anderes Geld. Der hohe symbolische Gehalt von „neuem Geld“ ist noch gut in der Erinnerung derer, die erlebt haben, wie die Reichsmark von der Deutschen Mark abgelöst wurde.

Europa war für die meisten von uns bislang ganz weit weg. „Die in Brüssel“ trafen Vereinbarungen, die für die nationale Wirtschaft schwer wiegende Folgen hatten, die die einzelnen BürgerInnen aber kaum zur Kenntnis nahmen. Sie erließen Richtlinien und Verordnungen zu allem und jedem – sollten sie doch! In den Gremien der europäischen Politik, so schien es manchen, wurden die PolitikerInnen „abgelegt“, für die es im eigenen Land so recht keine Verwendung mehr gab. Aber jetzt kommt Europa plötzlich bis in den sehr persönlichen Nahbereich einer und eines jeden von uns: ins Portmonee.

Zum Einkaufen oder zum Urlaub über Ländergrenzen fahren zu können ohne vorher Geld umzutauschen, in Österreich oder Frankreich etwas essen gehen, ohne die Preise immer erst „durch sieben“ oder „durch drei“ teilen zu müssen, das schafft ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Solche Verbindungen sind wie Brücken über Grenzflüsse hinweg, die Bilder von Brücken auf den Rückseiten der neuen Euro-Scheine werden uns täglich daran erinnern. In diesem Sinne ist die neue, gemeinsame Währung ein großer Schritt auf dem Weg zu einem geeinten Europa. Aber eben nur ein Schritt, noch nicht das Ziel. Viele weitere Grenzübergänge werden noch zu bauen sein, bis das „gemeinsame Haus“ für die europäischen Völker steht.

Zu dessen tragenden Säulen gehören ohne Frage die jüdisch-christlichen Wertvorstellungen, die die abendländische Kultur tief geprägt haben. Unsere Kollegin aus Frankreich, Danielle Hauss-Berthelin, setzt sich in einer Bibelarbeit damit auseinander, ob die Lebensworte Jesu in der Bergpredigt auch für das europäische „Bauvorhaben“ noch bedeutsam sind. Ähnlich Christa Sengespeick-Roos, die mit ihrer Bibelarbeit die – uralte und gerade jetzt wieder atemberaubend aktuelle – Vision des Propheten Micha vom kommenden Friedensreich für die von uns zu gestaltende Zukunft fruchtbar macht.

Scheinbar sichere Brücken können ins Wanken geraten, wenn sie nicht sorgfältig gepflegt werden. Einmal geschaffene Verbindungen aufrecht zu erhalten, braucht immer noch, immer wieder Versöhnung. In einer Andacht erinnern unsere polnischen Freundinnen, Kornelia Pilch und Halina Radacz, dass uns das Amt der Versöhnung zur Verkündigung und zum Dienst anvertraut ist. Es waren gerade auch die deutschen Kirchen, die nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs im besten Sinne „Versöhnung gepredigt“ haben. Dass auch das heutige Europa diesen Dienst noch dringend braucht, darauf verweist der Beitrag von Michael Mildenberger.
Zu den Grundlagen des europäischen Einigungswerkes gehört der noch lange nicht abgeschlossene Prozess der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Irene Harder geht der Frage nach, wieso innerdeutsche PartnerInnenschaften nach der „Wende“ oft eher einschliefen oder ganz abbrachen – statt erwartungsgemäß aufzublühen. Dass, so viele Jahre danach, rückblickende Gespräche zwischen Frauen aus Ost- und Westdeutschland für eine gemeinsame Zukunft immer noch höchst notwendig sind, haben Jannette Degenhardt und Petra-Edith Pietz festgestellt, als sie sich von Henny Engels zu ihren persönlichen Erfahrungen vor, während und nach der Wende befragen ließen. Begegnungen ganz eigener Art zwischen Frauen aus Ost- und Westdeutschland entstehen, wenn Gruppen sich auf Reisen zu den heiligen Frauen auf mittelalterlichen Schnitzaltären in Mecklenburg begeben. Astrid Utpatel-Hartwig berichtet.

Kleine Übergänge für große Grenzen entstehen auch dort, wo Kirchen die Gräben untereinander überwinden. Einen bildet die „Charta Oecumenica“, Antje Heider-Rottwilm und Barbara Rudolph regen an, die Leitlinien der Konferenz Europ. Kirchen und des Rates der Europ. Bischofskonferenzen für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa als Herausforderung für die eigene ökumenische Arbeit anzunehmen und mit Leben zu füllen. Von einem „christlichen Frauenzimmer“ im europäischen Haus erzählt Catherine Gyarmathy (Schweiz): Das „Ökumenische Forum Christlicher Frauen in Europa“ ist ein Beitrag christlicher Frauen für die Einheit der Kirche und Gesellschaft, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Auf ihre Art für Frieden und Gerechtigkeit geworben hat eine der großen alten Damen der Literatur: Cordula Lissner porträtiert die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf, die nicht „nur“ die Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen schrieb.

Die Evangelische Frauenhilfe überschreitet in ihrer Arbeit oft und gerne europäische Grenzen. Wichtige Partnerinnen, Freundinnen inzwischen, haben diese Arbeitshilfe mitgeschrieben. Eine von ihnen ist Inge Schintlmeister aus Österreich, die die Andacht zur Jahreslosung beitrug.

Europa, ein geeintes, Frieden liebendes, haltendes und stiftendes Europa – innerhalb der eigenen Grenzen und darüber hinaus – ist ein Traum. Antoine de Saint-Exupéry hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann suche nicht Männer, die Holz beschaffen, Eisen schmieden oder Segel nähen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. Diese Arbeitshilfe möchte beides: Frauen anstecken mit der Sehnsucht nach Europa – und konkrete Anleitung geben zum Bau vieler kleiner Grenzübergänge. Denn wenn viele mitmachen, werden Träume Wirklichkeit.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang