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Grenzwerte

Die bio- und gentechnische Herausforderung annehmen

„Viele Menschen versprechen sich von der Gentechnik, dass wir eines Tages Kinder nach Wunsch produzieren können. Was würden Sie an Ihrem Kind verbessern wollen?“ Die Meinung der Bevölkerung dazu ließ das evangelische Magazin chrismon erforschen. 42% der Befragten kreuzten an: „gar nichts, man sollte da nicht eingreifen“. Immerhin? Nur? Schon jetzt würden 58% der Befragten es tun. Dabei existiert dieser Markt der Möglichkeiten noch gar nicht wirklich. Wie würden die Zahlen sich entwickeln, wenn es möglich und erlaubt wäre, etwas an unseren Kindern „zu verbessern“?
Dass „Behinderung und Krankheiten verhindern“ mit 55% an der Spitze aller Wünsche liegt, verwundert nicht eigentlich. Auch, dass 16% der Befragten das Lebensalter ihrer Kinder erhöhen lassen würden, leuchtet in gewisser Weise noch ein. Ziemlich fassungslos habe ich allerdings zur Kenntnis genommen, dass Intelligenz, Charakter und Aussehen durchaus beachtliche Prozentpunkte auf der Wunschliste erreichen.
Bemerkenswert sind die Unterschiede in den Antworten von Männern und Frauen. Der Meinung, dass überhaupt nicht in das Erbgut der Embryonen eingegriffen werden sollte, sind Frauen zu 47%, Männer aber nur zu 37%. Aber auch bei denen, die nicht prinzipiell dagegen sind, gibt es deutliche Unterschiede. So würden 14% der Frauen die Intelligenz ihrer Kinder verbessern lassen, hingegen 23% der befragten Männer. Richtig spannend würde es wohl dann, wenn die Befragten sich geschlechterweise dazu äußern könnten, was eigentlich Intelligenz für sie bedeutet: Schneller rechnen oder schneller eine gute Idee entwickeln können, wie sich ein Konflikt in der Schulklasse gewaltfrei lösen ließe? Problemlos schon mit sechs Jahren die neuen Spiele auf dem PC installieren oder wahrnehmen können, dass das Abschießen von Menschen kein harmloses Spiel ist – weder virtuell noch in Wirklichkeit?

An der Suche nach den richtigen Antworten auf die ethischen Fragen, die mit der modernen Bio- und Gentechnologie einher gehen, beteiligt sich die EFHiD. Zusammenhänge und Hintergründe, Fragestellungen und Argumente, Pro und Kontra haben die Autorinnen dieser Arbeitshilfe dafür aufbereitet. Christa Wewetzer setzt, in gut protestantisch-ethischer Tradition, auf das Verantwortungsbewusstsein der/des Einzelnen. Die aktuellen Debatten sind ihrer Meinung nach geeignet, die ethische Urteilsbildung zu befördern. Zu den PolitikerInnen, die im Konflikt zwischen der unbedingt zu schützenden Menschenwürde und dem Auftrag der Medizin, zu heilen und Leid zu mindern, einen für alle erträglichen Ausweg suchen, gehört Andrea Fischer. Karin Nungeßer hat sie nach ihren Überlegungen zur Diskussion um den Import embryonaler Stammzellen gefragt. Zu prüfen – im Sinne des Paulus – wären von allen, die mitreden (wollen), nicht nur die Entwicklungen in Forschung und Wirtschaft, sondern auch die eigenen Ängste, möglicherweise Vorurteile. Angstfrei, offen und der eigenen Werte bewusst heranzugehen, dazu ermutigt die „Andacht im Zeitalter der Stammzellenforschung“ von Ulrike Metternich.

Geheilt, heil werden: diesen uralten Wunsch der Menschheit, der auch die medizinische Forschung antreibt, greift Ilona Eisner in einer Bibelarbeit zur Heilung der zehn Aussätzigen auf. Sie erschließt Wege, uns mit den Berührungsängsten zwischen Gesunden und Kranken auseinander zu setzen. Derselben Spur folgen Katja de Braganca und Bärbel Peschka, die mit voller Absicht und einfachen Methoden unseren Zweifel daran wecken wollen, dass nur „Gesunde“ ihr Leben genießen könnten.
Besonders kritisch stehen dem medizinischen Fortschritt, den bio- und gentechnologische Forschungen erwarten lassen, Beiträge gegenüber, die aus Sicht von behinderten Menschen geschrieben sind. Für Antje Bertenrath ist klar, dass in der jüdisch-christlichen Glaubenstradition Widerstand gegen jede Bedrohung menschlichen Lebens in der Absicht Gottes liegt: Die Hebammen Schifra und Pua handeln an Gottes statt, wenn sie die Tötungsabsichten Pharaos unterlaufen – und geben damit bis heute Orientierung. Wie schwer Entscheidungen im Einzelfall dennoch sind, davon erzählt Katja Weiske. Wer liest, was die Geburt ihres mit Down-Syndrom geborenen Sohnes Johannes und sein Tod für sie bedeutet hat, wird eigene Bewertungen pränataldiagnostischer Möglichkeiten erneut prüfen – und sicher nicht (mehr) allzu schnell über andere urteilen. Viele „Wenn und Aber“ sind aus Sicht von Katrin Grüber zu bedenken, bevor wir uns – einzeln und als Gesellschaft – auf die Möglichkeiten der Gendiagnostik einlassen sollten. Sie werden nicht weniger, wenn sie konsequent aus Sicht von betroffenen Frauen betrachtet werden. Als Hebamme erfährt Andrea Bosch täglich, dass medizinische Technik nicht nur Unterstützung für Schwangere bedeutet, sondern auch ganz bedrohliche Seiten hat.

Auch wenn das Thema undurchsichtig und schwierig erscheint: Klar ist, dass wir als Frauen zutiefst von den Entwicklungen betroffen sind. Das gilt nicht nur, aber insbesondere für den Bereich der Fortpflanzungsmedizin. Unser Wissen, unsere Erfahrungen und Meinungen können, dürfen und müssen wir in die Diskussion einbringen – als „Expertinnen in eigener Sache“. Oft wird es dabei hilfreich sein, schnell nachzusehen, was Begriffe wie „Klonen“, „DNA“ oder „Gendiagnose“ bedeuten. Katja Weiske hat dankenswerterweise ein kleines Wörterbuch für uns zusammen gestellt.

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