Ausgabe 1 / 2005 Artikel von Andrea Franziska Thali

Gute Reise!

Mit Erwartungen, Ängsten und Realitäten unterwegs

Von Andrea Franziska Thali

Wie wird eine Reise gelungen und für uns „richtig“? Ein Rezept dafür gibt es nicht. Reisen ist ein sehr individuelles Unternehmen und der Erfolg oder Nicht-Erfolg hängt von sehr vielen Faktoren ab. Es liegt in der Natur des Reisens – und das macht auch dessen Faszination aus – dass es in den Maßstäben von richtig und falsch nicht zu fassen ist. Was wir beitragen können ist, so wach wie möglich auf der Reise zu sein: wach für unsere Bedürfnisse und Erwartungen, wach für die Menschen, für das Fremde und Neue, wach für unsere eigenen Grenzen und die Grenzen anderer. Die folgenden Gedanken bleiben in dem weiten Feld „Reisen“ sehr bruchstückhaft. Unzählige Aspekte könnten bedacht werden. Ich werde aus der Erfahrung als Flughafenseelsorgerin und aus persönlicher Sicht versuchen den Blick zu schärfen für die Komplexität des Reisens und hoffe, zu Diskussionen und eigenen Gedanken anzuregen.


Vorbereitung

Die meisten Menschen wollen die unbekannte Zukunft mit so viel vorhersehbarer und planbarer Struktur wie möglich belegen. Eine Reise ist – wie das Leben überhaupt – ein Schritt ins Unbekannte. Wir können nur vermuten, dass es so kommt, wie wir es geplant haben. Wir können nicht wissen, welche Wendung unser Leben in der nächsten Stunde nimmt. Im vertrauten Alltag können wir das Risiko zu einem guten Teil kalkulieren. Wir kennen uns aus, wir greifen auf Gewohnheiten und Erfahrungen zurück. Das gibt uns Sicherheit, (Selbst-) Vertrauen und Furchtlosigkeit. Das Risiko für Fehltritte und Gefahren sinkt. Eine Reise aber konfrontiert uns mit mehr Unvorhergesehenem und mit zahlreichen Momenten von Unsicherheit. Wir müssen viel Energie aufwenden, um wach zu sein, uns zu orientieren und Eindrücke zu verdauen. Aber gerade um der neuen Eindrücke willen sind wir ja aufgebrochen. Wir sehnen uns nach Erfahrungen, die das Gewohnte und den bekannten Horizont aufbrechen. Es ist allerdings interessant, wie wir doch immer wieder – bei aller Neugier und Sehnsucht – dazu neigen, in der Fremde das Vertraute suchen. Was immer unsere innere oder äußere Triebfeder für eine Reise ist, wir tun gut daran, uns auf eine bevorstehende Reise vorzubereiten.

Äußerliche Vorbereitung ist das Eine, und die Menschen gehen je nach Charakter und Lebenseinstellung verschieden damit um: Wir wappnen uns mit einer Reiseversicherung, informieren uns genau über die medizinischen Verhältnisse an unseren Reisezielen, packen unsere Koffer sorgfältig gemäß statistischen Wetterverhältnissen, bezahlen unsere Rechnungen, organisieren die Versorgung unserer Pflanzen, das Leeren des Briefkastens. Wir besorgen alle notwendigen Papiere, Medikamente, genügend finanzielle Mittel in geeigneter Form. Wir gehen noch einmal im Lieblingsrestaurant um die Ecke essen, genießen den gewohnten Blick vom Balkon und verabschieden uns von all den Menschen, die uns am Herzen liegen.

Innerliche Vorbereitung ist komplexer, weil die Beweggründe für unsere Reisen so unterschiedlich sind. Es ist oft nicht einfach, ehrlich mit sich selbst zu sein und die Frage nach den Bedürfnissen und Absichten zu stellen: wir fliehen aus dem Alltag; wir suchen Erholung; wir fliehen aus festen Beziehungen, suchen das Abenteuer; wir brauchen Zeit zum Nachdenken; wir wollen schlicht ein wenig Spaß; wir suchen Stille, wollen abschalten; wir hoffen auf neue Einsichten, auf neue Beziehungen auf der großen Reise unseres Lebens. Eine Reise wird „besser gelingen“, und wir vermeiden Enttäuschungen, wenn uns unsere versteckten Motive klarer sind und wir uns bewusst innerlich vorbereiten und uns bemühen, unseren Absichten, Beweggründen und Erwartungen auf die Spur zu kommen. Und: Es ist hilfreich, den unberechenbaren Aspekt des Reisens zu erinnern! Erwartungen „Der Stoff, aus dem die Länder gemacht sind, ist überall derselbe. Glaubst du wirklich, dass es irgendein Land gibt, in dem man nicht Milch kocht, Kinder wickelt, Reisig brennt und Fische kocht? Was irgendwo wahr ist, ist überall wahr. Und du kannst hingehen wohin du willst, du kannst immer nur soviel Schönheit und Wert vorfinden, als du selber mitbringst.“1

Oft hängen wir eine Unmenge von Erwartungen an eine Reise. Deshalb ist es so wichtig, unsere Motive gesichtet zu haben und uns zumindest ein wenig über unsere Erwartungen im Klaren zu sein. Selbst dann, wenn wir uns intensiv mit dem Land unserer Wahl auseinandergesetzt, viel über Kultur und Bevölkerung gelesen haben, und wir denken, dass wir offen und ohne Vorbehalte auf der Reise sind, schleichen sich unbewusste Erwartungen ein. Gerade die Konfrontation mit dem, was wir meinen am meisten zu ersehnen, kann Aspekte unserer Persönlichkeit auf den Plan rufen, mit denen wir nicht gerechnet haben. In der Regel sind Beziehungen auf Reisen mehr und anders auf die Probe gestellt und herausgefordert als zu Hause, weil die gewohnten (Sicherheits-) Strategien wegfallen und die erträumte Romantik leider oft auf der Strecke bleibt. Denn was wir in der Fremde antreffen, ist nicht allein und immer das, was uns der geschliffene Reiseprospekt weismachen wollte. Und die guten Erfahrung- en der besten Freunde sind auch keine Garantie. „Binnen kurzem dämmerte mir, dass die Insel sich anders erweisen würde als das, was ich mir vorgestellt hatte – nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt was ich mir vorgestellt hatte. … einen Strand mit einer Palme bei Sonnenuntergang, einen Hotelbungalow, … einen azurblauen Himmel. … In meinen vorauseilenden Erwartungen hatte schlicht eine Lücke zwischen dem Flughafen und meinem Hotel geklafft.“2 Was begegnet mir zwischen Flughafen und Hotel, zwischen Sonnenbad und Dinner am Strand? Diese „Momente dazwischen“ blenden wir in der Regel in unserer Vorbereitung auf eine Reise aus. Sie entsprechen nicht dem, was wir suchen, eher dem, was wir meiden und vielleicht sogar fliehen.
Es ist mein Blick, meine Befindlichkeit, mein Ich, das mir meine Reise erschließt. Und meine Befindlichkeit wird von vielen Dingen abhängen: von meinen Erwartungen, von meinem körperlichen und seelischen Zustand, von der Tagesstimmung, vom Verhalten meiner ReisepartnerInnen und all der Menschen, die mir begegnen werden, vom Wetter, der Verträglichkeit des Essens, dem Film, den sie im Flugzeug zeigen. Eine Reise versetzt uns nicht nach außerhalb – vielmehr erwachen wir mit uns im „anderen Alltag“. Was will ich? Was bringe ich mit? Bin ich bereit für Überraschungen, für Neues und Unerwartetes? Der Reise-Alltag kann mir zum Spiegel werden. Und ich kann so einiges (über mich) lernen.

Neue Horizonte

Neben Erwartungen, die wir besser zu Hause lassen, gibt es Voraussetzungen, die positiv, anregend und notwendig sind, um wirklich auf Reisen zu sein: etwa die Neugier zu entdecken, das Interesse an Menschen mit anderen Ansichten, Freude und Spontaneität. Die Sehnsucht nach neuen Horizonten treibt uns um: Eine fremde, unbekannte Umgebung kann der Lebensfreude neuen Auftrieb geben. Es gibt Orte auf dieser Welt, die in uns Gefühle wecken, zu denen wir zu Hause keinen Zugang haben. Ein fremder Ort kann zu Gedanken und Ideen inspirieren und neue Perspektiven ermöglichen. Es heißt, dass der Mensch drei Arten von Nahrung notwendig braucht, um überhaupt leben zu können: physische Nahrung, Luft zum Atmen und Eindrücke. Unsere Seele braucht Eindrücke, die uns nähren: Landschaften, Orte, die wir nicht in Verbindung mit unserem gewohnten Alltag bringen, der Duft einer anderen Welt. All dies können wir auf Reisen finden, wenn wir nicht vergessen, dass wir uns diesen Reichtum erlauben müssen. Denn wir sind es gewohnt, uns das, was uns gut tut, zu verwehren.

Wir sind immer mit uns auf Reisen. Wir bleiben von uns selbst und vom „anderen Alltag“ nicht verschont. Wer fähig ist, sich auch zu Hause gut zu „nähren“, sich Inseln zu schaffen, wird für die Schönheiten einer Reise offener sein und nicht einem Bild aus dem Reiseprospekt nachrennen, das nur die halbe Wahrheit ist. Die neuen Horizonte öffnen sich denen, die sie suchen. Eine Reise eröffnet einem nicht selbstverständlich neue Welten. Wir müssen uns darum bemühen. Wir müssen also „wissen“, was wir suchen. Dann kann eine Reise für uns zu einem Wendepunkt, zu einer tief greifenden Erfahrung werden, und wir können reich beschenkt und verwandelt zurückkehren. Reisen kann eine verborgene Sehnsucht in uns berühren, die mit der existentiellen Frage nach Sinn und der Suche nach uns selbst verbunden ist. Wir sind immer auf der Reise. Wir sehnen uns danach, ein erfülltes, reiches Leben zu leben. Das steht oft in strengem Gegensatz zu der gnadenlosen Gewöhnung und Eintönigkeit, die eben auch zum Leben gehört. Neue Horizonte sind Augenblicke von Aufwachen. Wir sehen die Dinge und uns selbst aus der Distanz und in einem anderen Licht. Erkenntnisse und Einsichten brechen unerwartet durch die Schleier unserer durch neue Eindrücke genährten Wahrnehmung. In der Rückschau können wir sehen, wo wir vorher gestanden haben, und sagen: Diese Reise hat in mir etwas verändert.

Abschied und Rituale

Bevor wir auf Reisen gehen, verabschieden wir uns. Die meisten Menschen sagen zumindest den nächsten Freunden und Liebsten „Auf Wiedersehen“ – auf dass wir uns wieder sehen! Wir glauben fest daran, dass wir wiederkommen, und wissen doch, dass es dafür keine Garantie gibt. Der Abschied steht für einen Schritt ins Unbekannte, den wir auf Reisen nicht vermeiden können. An diesem heiklen Punkt sitzt die Angst, aber auch die Freude. Wenn wir uns verabschieden, dann brechen wir auf, geben dem Neuen eine Chance hereinzukommen. Es ist sicher gut, wenn wir uns von den Menschen und Dingen verabschieden, die uns lieb sind. Es hilft uns zu vertrauen und uns zu öffnen für die Schönheiten, die auf uns warten.

Viele Menschen greifen dabei ganz intuitiv zu Ritualen. Das Ritual bringt eine andere Dimension ins Spiel: wenn da einer ist, der uns beschützt; wenn da etwas ist, das die Bestimmung lenkt; wenn da eine ist, der ich vertrauen kann…
Im Andachtsraum am Flughafen Zürich können wir Zeichen für das Rituelle bei den Menschen finden: „Ich bitte um einen guten Flug und dass wir heil wieder nach Hause kommen.“ Sätze wie dieser stehen in dem Buch, das die Reisenden zum Aufschreiben ihrer Anliegen und Bitten einlädt. Sie zünden eine Kerze an. Sie setzen sich für einige Minuten still in den Raum, der für Menschen aller Religionen offen ist. Dieser Raum kann ihnen zum Symbol werden: Meine Reise ist offen, voller Überraschungen, voller fremder Menschen, ein Geschenk, in das ich vertraue und für das ich danke.

Aus allen Himmelsrichtungen strömen tagtäglich unzählige Reisende an und durch den Flughafen. Sie kommen mit ihren Geschichten, ihren Gedanken und Gefühlen, ihren Gewohnheiten und Erwartungen. Sie kommen mehr oder weniger vorbereitet, kommen erfüllt, verwandelt oder enttäuscht. Einige kommen mit den unerfüllten Erwartungen nur schlecht zurecht, andere werden von der Wucht unvorhergesehener Ereignisse aus der Bahn geworfen, manchmal bis an die Grenzen des Verkraftbaren. Neben den vielen gelungenen Reisen, von denen die Texte im Anliegenbuch Zeugnis ablegen, ist die Seelsorge in der Regel mit den Enttäuschten, den Gestrandeten und Verlassenen konfrontiert. Die Reise hat diesen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen genommen. Für viele wird Abschied zur endgültigen Realität.

Unberechenbares

Menschen nehmen Abschied. Manchmal bleibt ein Abschied ohne das erwartete freudige Wiedersehen. Immer wieder müssen wir uns in der Flughafenseelsorge aufmachen zu Angehörigen, die ihre Liebsten nicht mehr sehen und nicht mehr von den Schönheiten ihrer Reisen erzählen hören werden. Ich erinnere mich an diesen Mann, der braun gebrannt, in sommerlicher Kleidung, tief eingesunken mir gegenüber auf dem Stuhl saß. Jetzt, nach seiner Pensionierung wollten sie endlich die gemeinsame Zeit genießen. Sie waren schon über 30 Jahre verheiratet, hatten viel zusammen durchgemacht. Der Suizid des Sohnes hatte sie von Freunden isoliert. Keine Freundschaft war darum so wichtig wie die Beziehung zueinander. Unerwartet verstarb die Frau auf dem Flug zurück in die Schweiz. Er konnte sie sterben sehen – direkt neben ihm tat sie den letzten Atemzug.

Man erwartet den Tod nicht – hier an diesem Nicht-Ort. Die Gedanken waren schon beim Ankommen oder gerade noch in der Erinnerung an die vergangenen Tage. Die Realität, die mit dem Tod in eine Reise einbricht, ist grausam. Damit kann und will man nicht rechnen. Wer sich bereits mit dem Tod und der Brüchigkeit des Lebens auseinandergesetzt hat, findet manchmal einfacher einen Weg mit diesem Schlag umzugehen. Die SeelsorgerInnen versuchen aufzufangen, was da ist: Hilflosigkeit, Apathie, Wut, Trauer, Angst. Ein wichtiger Moment für die Angehörigen kann ein stiller Abschied im „Mortuarium“ sein. In diesem Raum – am (symbolischen) Ort des Geschehens – wird die oder der Verstorbene wenige Stunden später nochmals aufgebahrt. Vielleicht wird in diesen Minuten der Same dafür gesetzt, dass das Gefühl von Verlorenheit und Unverständnis mit der Zeit der Glaubens-Gewissheit oder Hoffnung Platz macht: Gott hat sie, hat ihn zur rechten Zeit am rechten Ort gerufen. Nicht selten aber fühlen sich Angehörige zunächst persönlich angegriffen und schuldig: Weshalb hat Gott es zugelassen, dass er/sie ausgerechnet jetzt, hier, auf Reisen, fern von zu Hause sterben musste? Menschen sterben auf Reisen, in der Fremde, fernab von ihren Lieben, oftmals allein und auf grausame Weise.

Wenn wir auf Reisen gehen, wagen wir uns aufs offene Meer hinaus. Immer wieder stranden Menschen an den Info-Schaltern des Flughafens. Sie wissen nicht weiter, weil sie den Flug verpasst haben, bestohlen wurden, nicht an alle nötigen Papiere gedacht haben, ohne genügend Geld auf die Reise gegangen oder plötzlich überfordert sind von all den Strapazen und den unverarbeiteten Geschichten, die sie mit sich herumtragen. Da war dieser junge Mann, der in Panik auf dem Flughafengelände umherirrte und schließlich bei der Seelsorge landete – eine Institution, die ihm bis dahin unbekannt war. Er hatte sich in einem fernen Land auf etwas eingelassen, das er niemals für möglich gehalten hätte. Die Vernünftigkeit des Alltags war von den neuen, überwältigenden Eindrücken der Fremde aufgeweicht worden. Jetzt hatte er Angst vor Aids. Das Aufwachen kam plötzlich und überforderte ihn. „Wie konnte ich nur?!“ Schritt für Schritt musste er in der neuen Realität Fuß fassen, musste sich dem stellen, was wie in Trance geschehen war. Ich unterstützte ihn in den ersten Stunden. Drei Monate später hatte er den Befund: Gott sei Dank negativ!

Da war diese Frau die kurz vor Abflug von der Sanität aus der Maschine geholt werden musste. Die latenten Beziehungsprobleme, die sie zu verdrängen suchte, waren hier an diesem Ort mit erbarmungsloser Vehemenz auf sie eingestürzt. Sie schrie und schlug wild um sich. Sie brauchte viele Stunden, um sich zu beruhigen und um ihre Gefühle einigermaßen in den Griff zu bekommen. Nach einer langen Nacht war sie bereit für den Weiterflug. Viele Menschen scheitern an ihren Erwartungen und an der anderen Realität in der Fremde. Diese Frau in mittlerem Alter, gebürtige Vietnamesin, kam mit ihrem Schweizer Ehemann nach Zürich, um dessen Mutter zu besuchen. Sie war in ihrem Land eine angesehene Geschäftsfrau. Hier war sie „nur“ die Ehefrau. Die vielen Probleme entluden sich so maßlos, dass sie schließlich bei uns anklopfte – ohne Geld und mit nur dem einen Wunsch, so schnell wie möglich nach Vietnam zurück zu kehren. Die Familie des Ehemannes konnte ihr keine Gefühle von Heimat und Geborgenheit vermitteln. Sie fühlte sich fremd und überfordert. Sie konnte mit ihrer völlig veränderten Rolle nicht umgehen. Die Enttäuschung über die fehlgeschlagenen Erwartungen war gross. Menschen träumen und hoffen, wenn sie losziehen. Das ist eine grosse Kraft. Trotzdem decken sich die Bilder unserer Vorstellung oft nicht mit der Wirklichkeit und wir wachen unbarmherzig auf.

Freiheit, Schönheit, Glück

Steckt hinter dem Verlangen zu reisen und der Tatsache, dass Menschen sich aufmachen, nicht die Sehnsucht nach Freiheit? Die Sehnsucht, dem zu begegnen und etwas zu erfahren, was uns unserer Bestimmung näher bringt, das uns Aufschluss darüber gibt, was unser Leben denn eigentlich wert ist? Ich vermute, wir gehen beim Reisen immer auch auf diese Suche. Wir suchen Nachhaltigkeit, Glück und Sinn. Die Erfahrung von Schönheit kann uns Sinn vermitteln und Momente von Glück. Schönheit bringt uns in Berührung mit den ewigen Fragen des Menschen: Woher komme ich, wohin gehe ich? Warum bin ich? Wer hat mich gewollt? Auf Reisen haben wir die Muße zu genießen, hin zu schauen, uns von Bildern und Begegnungen zu nähren. Lassen sie mich abschließen mit einem Eintrag in unserem Anliegenbuch, der von einem wohltuenden Humor begleitet ist: „… und ob ich schon flöge mit einer billigen Chartergesellschaft, fürchte ich kein Unheil, denn Du – Gott – bist bei mir.
Abgeänderter Psalm 23. Eine Pauschaltouristin.“ Mit einem Augenzwinkern drückt diese Touristin ihr Vertrauen und ihre Hoffnung aus, dass da einer ist, der begleitet. Und wenn da einer ist, dann ist die Reise in guten Händen.

Wenn wir mit den ewigen Fragen und den tiefen Sehnsüchten auf Reisen sind, dann werden wir durch den Reise-Alltag hindurch die vielen Schönheiten entdecken.
Wir werden offen sein für Begegnungen, für die Schätze fremder Kulturen, für den „anderen Alltag“ mit seinen Gewöhnlichkeiten, offen für die Erhabenheit einer Landschaft und den ungewohnten Duft einer anderen Welt.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Die Frauen erarbeiten die verschiedenen Erwartungshaltungen, die das Gelingen einer Reise fördern oder behindern können und sensibilisieren sich durch die Diskussion und Auseinandersetzung in der Gruppe gegenüber ihren eigenen Erwartungen.

Ablauf
1. Schritt: „Utopische Erwartungen“
Jede Frau schreibt in Stichworten auf je einen Zettel drei Erwartungen, die sich ihrer Meinung nach nicht erfüllen können. Kann ich auf eigene, enttäuschende Erfahrungen zurückgreifen?
Die Zettel werden gruppiert links auf den Boden gelegt.

2. Schritt: „Realistische Erwartungen“
Drei Erwartungen aufschreiben, die durchaus auf einer Reise eintreffen können und erstrebenswert sind.
Die Zettel werden gruppiert rechts auf den Boden gelegt.

3. Schritt: „Versteckte Erwartungen“
Drei Erwartungen, die viel Ehrlichkeit sich selbst gegenüber erfordern, die man vor Partnern, Kindern und Mitreisenden oft verschweigt.
Die Zettel werden links unterhalb der utopischen Erwartungen abgelegt.

4. Schritt: „Offene Erwartungen“
Erwartungen beschreiben, die für die eine Person unerreichbar und utopisch, für andere aber sehr realistisch sein können. Welche Voraussetzungen braucht die Erfüllung einer Erwartung unter bestimmten Umständen?
Fallbeispiele überlegen (z.B. auf Reisen mit Kindern etc.) und die Zettel unterhalb der realistischen Erwartungen anordnen.

5. Schritt: Die verschiedenen Aussagen an Ort und Stelle betrachten; dann dazu auffordern, einige Aussagen, die man einem anderen „Ort“ zuteilen würde, herauszunehmen und zu diskutieren.

6. Schritt: Jede Teilnehmerin wählt eine Erwartung aus, die ihr für eine Reise besonders wichtig erscheint, und eine, die sie absolut vermeiden möchte.
Die anderen Zettel wegräumen und einen Austausch zu den gewählten Stichworten anleiten.

7. Abschluss: Hat sich im Verlauf dieser Gespräche meine Wahrnehmung verändert? Bin ich einigen meiner eigenen Erwartungen auf die Spur gekommen? Habe ich Anregungen für mein eigenes auf der Reise Sein, meine Lebensreise erhalten? Einen „persönlichen Leitsatz“, ein „persönliches Fazit“ verfassen aufgrund der in Schritt 6 gewählten Erwar-tungen und als Abschluss in der Runde vorlesen.


Andrea Franziska Thali ist 1967 in Luzern (Schweiz) geboren und hat dort die Schule für Gestaltung sowie ein Studium der Theologie absolviert. Sie arbeitet Teilzeit in der Flughafen-Seelsorge in Zürich-Kloten nd als freischaffende  Künstlerin.


 

Fußnoten
1 Ralph Waldo Emerson: Von der Schönheit des
Guten, hg. v. Egon Friedell, Diogenes (Zürich) 1992
(1906)

2 Alain de Botton, Kunst des Reisens, S. Fischer 2002

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