Mit der Sprache bringen wir die Welt „auf den Begriff“. Begriffe, in denen wir denken und die wir benutzen, prägen nicht nur das Bild unserer sozialen Wirklichkeit, sondern beeinflussen auch unser Verhalten.
Im großen Wahljahr 2013 leuchtet das sofort ein. Begriffe entfalten ihre Wirkung aber nicht nur in Wahlkämpfen, sondern beeinflussen tagtäglich, wie wir denken und handeln, was und wie wir wahrnehmen. Oft bekommen wir den Einfluss der Worte gar nicht mit. Deshalb kann man uns so gut manipulieren, etwa mit Werbung. Unsere Wahrnehmung ist also alles andere als objektiv, sie lässt sich von Begriffen leiten. Der Begriff „Organspende“, wie er immer wieder von den VertreterInnen der Transplantationsmedizin im öffentlichkeitswirksamen medialen Bereich benutzt wird, macht das deutlich.
„Organspende“ ist ein metaphorischer Begriff. Metaphern (von griech. metapherein, mit-hinüber-nehmen) sind Sprachbilder. Sie helfen, uns in Bereichen zurechtzufinden, in denen wir uns gerade nicht gut auskennen. Wir verwenden dann Denkstrukturen aus einem anderen Bereich, in dem wir uns auskennen, und stülpen sie einem neuen Bereich gleichsam über. Genau das passiert mit dem Begriff „Organspende“. Im Wesentlichen handelt es sich bei dem dahinter liegenden Vorgang der Transplantation um eine binnenmedizinischen Vorgang, bei dem ein Organ einem Körper entnommen und einem anderen Körper implantiert wird. Mit Schöpfung der Metapher „Organspende“ wird dieser medizinische Vorgang geweitet auf einen außermedizinischen Bezugspunkt, nämlich auf den der Spende. Ein Begriff, der sofort positive Assoziationen weckt. Eine Spende ist eine Zuwendung, die einer anderen Person oder Institution zu Gute kommt, ohne dass eine (materielle) Gegenleistung erwartet wird. In der Literatur wird Spenden zudem häufig als „altruistisches Handeln“ bezeichnet, also ein Handeln, das nicht das eigene Wohl, sondern das wenigstens einer oder eines anderen zum Ziel hat. Wer spendet, handelt im moralischen Sinne gut. Die Kraft der Metapher „Organspende“ liegt deshalb in den Assoziationen, die sie weckt. Die konkrete Erfahrung hinter dem Begriff „Spende“ wird auf das abstrakte, fachwissenschaftliche Feld der Organtransplantation übertragen.
Die Nutzung dieser Metapher bewirkt noch etwas anderes: Sie fordert zum Handeln auf. Wann immer Metaphern verwendet werden, muss eine Idee verdaut, eine Theorie untermauert, ein Argument geschärft werden. Metaphern stehen deshalb an der Schnittstelle zwischen Wahrnehmen und Handeln auf der einen und Denken auf der anderen Seite. Und damit sind sie weit mehr als rhetorische Figuren und sprachliche Spielerei, wie uns im Deutschunterricht vermittelt worden ist.
Die Psychologin Lera Boroditsky von der Stanford University (Kalifornien, USA) hat in einem Versuch nachgewiesen, wie groß der Einfluss von Metaphern auf unsere Wahrnehmung und unser Handeln ist. Sie legte den ProbandInnen zwei Versionen eines Textes vor, der das Kriminalitätsproblem in der fiktiven Stadt Addison beschrieb. Sie unterschieden sich nur im ersten Satz. Einmal wurde die Kriminalität dort als „wildes Tier“ bezeichnet, einmal als „Virus“. Die Versuchspersonen sollten Vorschläge machen, wie die Verbrechen in Addison reduziert werden könnten. Das Ergebnis war eindeutig: Diejenigen, denen die Kriminalität als wildes Tier präsentiert worden war, plädierten dafür, die Verbrecher hartnäckig zu jagen, sie einzusperren und strengere Gesetze zu erlassen. Die anderen, denen Kriminalität als Virus vorgestellt worden war, schlugen dagegen meist vor, die Ursachen zu erforschen, Armut zu bekämpfen und die Bildung zu verbessern. Ein einziges Wort hatte den Ausschlag gegeben!
Metaphern aktivieren im Gedächtnis ein ganzes Netz an Assoziationen, das Gedanken und Handlungen beeinflusst. „Metaphors hide and highlight“, sagt der Metaphernforscher George Lakoff. „Metaphern verbergen und heben hervor.“ Das birgt die Gefahr, dass wir wichtige Fakten übersehen und andere überbewerten. So ist es auch bei der Metapher „Organspende“. Sie hebt den altruistischen Akt – jemandem etwas zu gute kommen lassen – hervor, verbirgt jedoch den notwendig vorausgegangenen Vorgang des eigenen Sterbens, den gesamten transplantationsmedizinischen Vorgang sowie die offenen ethischen Fragen, die daran anknüpfen. Eine mit diesen Charakteristiken aufgeladene Metapher sagt deshalb wenig über den Vorgang der Transplantation aus, aber viel über eine Gesellschaft, die sie so anwendet. Schauen wir uns die Slogans der Organspende-Werbung einmal ein wenig genauer daraufhin an.
Werbung dient in erster Linie dazu, andere für die eigenen Zwecke zu gewinnen. Werbung operiert also immer mit einem gewissen Vorsatz und ist niemals uneigennützig. Wie aber funktioniert der Werbe-Slogan „Ich schenke Dir mein Herz“?
Ein Großteil der Organspende-Werbung arbeitet mit einfachen Bekenntnissen so genannter OrganpatInnen. Hierbei wird der Aspekt des einem anderen geschenkten Lebens ganz stark gemacht, sämtliche Aspekte der Transplantationsmedizin bleiben ausgeblendet. Geschenkt werden hier nicht Geld, Sachwerte oder Schmuck, sondern etwas viel Wertvolleres – das eigene Organ. Nicht von ungefähr eignet sich das Herz besonders für diesen Werbeslogan, hat es doch von allen Organen die größte symbolische Bedeutung. Das Herz drückt symbolisch eine Beziehung der Nähe zu einem anderen Menschen aus, Liebe und Zuwendung zu einem Menschen sind eine Herzenssache. „Ich schenke Dir meine Herzklappen“ – dieser Spruch hätte bei Weitem nicht die gleiche mediale Kraft.
„Ich schenke Dir mein Herz.“ – Sprachtheoretisch betrachtet ist dieser Satz ein so genannter Sprechakt. Die Grundannahme der Sprechakttheorie ist, dass SprecherInnen immer eine Handlung vollziehen, wenn sie einen Satz äußern. Dahinter steht die Überzeugung, dass Sprechende, wenn sie eine Äußerung machen, immer etwas tun, so dass es – anders als im Alltagsbewusstsein angenommen – keinen Gegensatz zwischen „tun“ und „sprechen“ gibt. „Ich habe heute 150 Seiten von Barths Kirchlicher Dogmatik gelesen.“ Auch eine solche, vermeintlich bloße Feststellung wird nicht „einfach so“ gemacht, um eine Tatsache zum Ausdruck zu bringen. Wer eine solche Äußerung macht, verbindet damit Absichten, die weiter gehen: Er oder sie hat Gründe, dies mitzuteilen, das heißt: Er oder sie handelt immer kommunikativ. Wer sagt, 150 Seiten von Karl Barths Dogmatik gelesen zu haben, will, dass wir ihr oder ihm glauben. Mit der Äußerung wird also der Anspruch verbunden, dass sie wahr ist und wir das ebenso sehen und vielleicht sogar denken: Was für eine fleißige Person!
In direkter Rede wird der Sprechakt „Ich schenke dir mein Herz“ greifbar. Er wird in der Absicht vollzogen, einen Kontakt mit den Adressierten herzustellen. In dem Moment, wo „ich schenke dir mein Herz“ geäußert wird, ist das Ausgesprochene in die Tat umgesetzt. Hier wird eine Wirklichkeit, eine Realität erzeugt. Und die will bei den EmpfängerInnen eine Handlung auslösen. Denn das „ich schenke dir“ setzt die Einseitigkeit der Gabe voraus – und hinterlässt damit eine Form der „Schuld“ bei den Adressierten. Der Satz suggeriert, dass die Person, die ihn geäußert hat, bereits gehandelt hat, während das Handeln auf Seiten der EmpfängerInnen noch aussteht. Den Satz zu äußern ist somit ein deklarativer Sprechakt, der besonders die Empfängerseite zum Handeln motivieren will.
Kein Geringerer als der Philosoph Jacques Derrida bürstet dieses Gelingen eines deklarativen Sprechaktes gegen den Strich: als unernst und parasitärer im Gebrauch. Zum einen lebt der Satz „ich schenke Dir mein Herz“, der auf den Werbeplakaten prangt, promiskuitiv. Jedem, der ihn liest, wird das Herz geschenkt. Das anonyme Auditorium, an das er sich richtet, lässt den Satz auf durchschaubare Weise unernst werden: Es bedarf vieler Herzen der einen Person, damit alle eines geschenkt bekommen können! Zudem wohnt dem Satz ein gewisser Unernst inne, da er völlig losgelöst von seinem Kontext steht. Während „ich schenke dir mein Herz“ mir eine einmalige, nicht wiederholbare Gabe suggeriert, nämlich das Herz einer Person, ist ein Kontext nötig, der diese Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit in Serien produzieren kann. Dieser Kontext findet sich in den OP-Sälen der Transplantationskliniken.
Neben einfachen PatInnen prägen prominente MeinungsbildnerInnen
die Werbung für die Organspende. Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Roland Emmerich, Box-Weltmeister Arthur Abraham – sie alle verkündeten auf 5.000 Plakaten deutschlandweit: „Du bekommst alles von mir. Ich auch von Dir?“ Die erste bundesweite Kampagne des Deutschen Herzzentrums Berlin ist über mehrere Jahre angelegt und wird unter anderem unterstützt von der Deutschen Bahn, der Techniker Krankenkasse und Air Berlin.
„Du bekommst alles von mir.“ – Auch hier wird sprachlich suggeriert, dass einseitig in Vorleistung gegangen wurde. Das verstärkt das Gewicht des zweiten Slogan-Teils: „Ich auch von Dir?“ Mit dieser Frage soll eine positive Haltung motiviert werden, nämlich OrganspenderIn zu werden. Das „Du“ schafft ein Näheverhältnis zwischen den prominenten MeinungsbildnerInnen und den EmpfängerInnen dieser Botschaft und suggeriert, neben dem Interesse an der Sache, vor allem auch ein Interesse an der adressierten Person.
Rhetorisch handelt es sich um eine geschlossene Frage, die nur ein „Ja“ oder „Nein“ erlaubt. Solche Fragen werden besonders in Verkaufsgesprächen eingesetzt, um eine Zustimmung zu erreichen. Im Hintergrund des Werbeslogans „Du bekommst alles von mir. Ich auch von Dir?“ steht nicht das Geschenk, sondern das lateinische Rechtsprinzip do ut des – Ich gebe, damit du gibst. Als Sprichwort beschreibt do ut des einen Grundsatz sozialen Verhaltens: Mir wird etwas gegeben und mein Gegenüber darf eine Gegenleistung dafür erwarten. Hier herrscht also nicht mehr ein altruistisches Motiv vor, sondern das des gerechten Gegenwertes. Und so verzichten die Macher dieser Werbeaktion auch darauf, auf die Tränendrüse zu drücken, sondern überhöhen die Organspende als einen status confessionis für gelingendes soziales Verhalten. „Wir wollen dazu ermutigen, sich die Frage nach der Bereitschaft zur Organspende zu stellen und sie mit JA zu beantworten“, so Prof. Dr. R. Hetzer und Dr. R. Pregla vom Herzzentrum Berlin. „Pro-Gesellschaft ist dabei die Vision eines neuen Miteinanders in unserer Zeit, eines Füreinander-Daseins in zumindest einer elementaren Frage von Leben und Tod, der Frage nach einer Organspende.“
Aber: Das Prinzip do ut des findet sich nicht umsonst vor allem im Wirtschaftsleben. Es kommt vor allem dort zum Einsatz, wo eindeutig identifizierbar sein muss, dass sich jemand nicht an die Regeln des Austauschs hält. Es will also keinesfalls zu einem Miteinander aktivieren, sondern unser Miteinander organisieren. Wer gegeben hat, darf eine äquivalente Gegenleistung erwarten. „Du bekommst alles von mir. Ich auch von Dir?“ Der Slogan gründet nicht auf wechselseitigen Tauschakten, sondern vielmehr in einem Schuldverhältnis. Meine Organe und mein Gewebe werden hier zu einem ultimativen Mittel einer Kontrakterfüllung. Nicht der Organtausch steht hier im Mittelpunkt, sondern der Organkredit. Zum Fundament der Organwerbung wird hier das aus der Geldwirtschaft bekannte Verhältnis von GläubigerIn und SchuldnerIn. Für eine ergebnisoffene Diskussion zum Thema Organspende eignet sich dieser Slogan daher nicht.
Welchen moralisch hohen Anstrich die Organspende-Werbung sich auch zu geben vermag: Sie sagt nur viel über eine Gesellschaft aus, die auf der Suche nach ihren gemeinschaftstragenden Überzeugungen in einer hochkomplexen Welt ist, aber wenig über die Prämissen der medizinischen Ethik, geschweige denn über die Transplantationsmedizin selbst. Eine ethische Verpflichtung zur Organspende, wie uns die Werbung suggeriert, kann es daher nicht geben. Und schon gar nicht reicht ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ zur Organtransplantation.
– Wer beim Thema „Organspende“ unschlüssig ist, zieht häufig das Internet zu Rate. Schauen Sie sich die ersten zehn Treffer bei einer Suchmaschinenanfrage an: Wie wird die Organtransplantation auf den jeweiligen Seiten dargestellt?
Alternativ können Sie sich Informationsmaterial schicken lassen, z.B. bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Ostmerheimer Str. 220,
51109 Köln, Tel.: 0221/8992-0, E-Mail: poststelle@bzga.de
– In der Organspende-Werbung wird häufig mit geschlossenen Fragen gearbeitet, die entweder ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ als Antwort fordern. Aber nur offene Fragen eignen sich, um ein Thema in seinen vielen Facetten zu erörtern. Durch leichte Veränderungen und Hinzufügen einzelner Wörter lassen sich aus geschlossenen Fragen offene Fragen machen. Hilfreich sind Wörter wie „was“, „wie“, „welche“, „könnte“. Verändern Sie die sich häufig anzufindenden geschlossenen Fragen der Organspende-BefürworterInnen in offene Fragen und beantworten Sie diese dann für sich:
FRAGE 1 (geschlossen): Haben Sie schon einen Organspendeausweis?
offen: … (z.B.: Welche Gründe sprechen dafür/dagegen, einen Organspendeausweis zu führen?)
FRAGE 2 (geschlossen): Haben Sie ein Problem mit einer Organspende?
offen: …
FRAGE 3 (geschlossen): Sind sie bereit zu gestatten, dass nach Ihrem Tod, nachdem alles für Sie getan wurde, um Ihr Leben zu erhalten, mit Ihrem Körper das Leben anderer gerettet wird?
offen: …
Dr. Kristina Dronsch, 41 Jahre, ist Theologin. Zurzeit arbeitet sie als Leiterin des Projekts „Frauen und Reformationsdekade“ in der EFiD-Geschäftsstelle.
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