Ausgabe 2 / 2007 Artikel von Inge v. Bönninghausen

Hart erkämpft und heftig umstritten

Das Prostitutionsgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Von Inge v. Bönninghausen

Hure, Dirne, Kurtisane, Bordsteinschwalbe, Nutte, Prostituierte,  Straßenmädchen, Sexarbeiterin – mehr oder weniger verächtliche Namen für Frauen, die Sex verkaufen.

Prostituierte ist die gängigste, wenn auch bei weitem nicht diskriminierungsfreie Bezeichnung für die seit Jahrhunderten Ausgestoßene, an der sich immer wieder heftige Debatten über Moral, Sexualität und Geschlechterbeziehungen entzünden. Im Zuge der neuen Frauenbewegung, die wie nie zuvor Sexualität im Spannungsfeld von Befreiung und Unterdrückung thematisiert hat, gingen Prostituierte offensiv gegen die Tabuisierung ihrer Existenz und Arbeit vor. Zwanzig Jahre hat es gedauert, bis 2002 nach heftigen Debatten und mit vielen Kompromissen das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz, ProstG)“ zum ersten Mal die rechtliche Situation von Prostituierten in Deutschland verbesserte.


Bis hierher …

Der Bundestag hat damals die Regierung aufgefordert, nach drei Jahren über die Wirkung des neuen Gesetzes zu berichten. Die „Studie im Rahmen der Untersuchung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“ (1) kommt zu dem Ergebnis, dass die bloße Existenz des Gesetzes von den betroffenen Gruppen – Prostituierten, BordellbesitzerInnen, Fachberatungsstellen und Strafverfolgungsbehörden – weitgehend positiv bewertet wird, auch wenn es bisher wenig spürbare Wirkung zeigt. Sehr ähnlich urteilen auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (2) und die „Bundesweite AG Recht in der deutschen Hurenbewegung“. (3)

Das Prostitutionsgesetz stellt fest, dass zwischen der Prostituierten und dem Kunden ein legaler Vertrag besteht. Dieses Rechtsverhältnis war bis dahin unmöglich, weil Prostitution als Verstoß gegen die guten Sitten galt. (4) Das war so seit 1927, als einerseits das Verbot der Prostitution aufgehoben, andererseits aber die Prostituierte über die „Sittenwidrigkeit“ völlig entrechtet wurde. Die Sittlichkeit ist in dieser Debatte so wichtig, weil der Begriff sowohl ein moralisches als auch ein rechtliches Bezugssystem hat. Dass das Bürgerliche Gesetzbuch „Sittenwidrigkeit“ definiert und zum Beispiel auch Mietverträge oder Testamente gegen die „guten Sitten“ verstoßen können, tritt im Falle der Prostitution völlig zurück hinter der moralischen Bewertung. Rechtlich gesehen beutet der Kunde den „Mangel an Urteilsvermögen“ oder die „erhebliche Willensschwäche“ der Prostituierten aus, und deshalb kann es keinen Vertrag geben.

Diese Diskriminierung beseitigt das Prostitutionsgesetz. Als äußerst problematisch erweist sich aber, dass die Abschaffung der Sittenwidrigkeit nicht im Gesetz selbst, sondern nur in der Begründung steht. Diesen Mangel machen sich einige Landesministerien und Behörden zunutze, um an der Sittenwidrigkeit festzuhalten. Dafür bietet ihnen die nach wie vor gültige Sperrbezirksverordnung (Länderhoheit) die eine Möglichkeit, eine andere liegt in der Gewerbeordnung und dem Gaststättengesetz. Für beide galt die Unsittlichkeit als Maßstab. Folglich konnte Prostitution nicht als Gewerbe angemeldet werden und konnten Cafés, Bars und Kneipen die Konzession verlieren, wenn dort „der Unsittlichkeit Vorschub geleistet“ wurde. Ob dies immer noch gilt, ist unklar, denn der Gesetzgeber hat im ProstG zur Gewerbeordnung nichts gesagt. Er hat leichtfertig angenommen, das Prostitutionsgesetz würde auf die Anwendung anderer Gesetze „ausstrahlen“. Die Uneindeutigkeit des Gesetzes führt dazu, dass das „rechtliche Urteil über die Sittenmäßigkeit oder Sittenwidrigkeit sexueller Dienstleistungen dem Moralempfinden und der Interpretation Einzelner aus Behörden und Ämtern überlassen bleibt.“ (5)

Artikel 2 des Gesetzes schafft die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, der wiederum die Voraussetzung ist für den Zugang zur gesetzlichen Sozialversicherung. Dass von diesen Möglichkeiten bisher nur wenige Prostituierte Gebrauch machen, bedeutet nicht, dass sie generell keinen Versicherungsschutz haben. Die meisten sind krankenversichert, aber nicht als Prostituierte. Nebenberuflich Tätige sind es über ihren Hauptberuf oder als Familienangehörige. Hauptberufliche versichern sich privat überwiegend unter einer anderen Berufsbezeichnung. Für ihr Alter sorgen hauptberuflich tätige Prostituierte signifikant seltener vor als Nebenberuflerinnen. Die Befunde zeigen, dass auch vor dem Prostitutionsgesetz ein großer Teil der Prostituierten auf unterschiedliche Weise sozialversichert war, wenn auch nur zu geringem Anteil in der Pflichtversicherung.

Ihre soziale Sicherung zu verbessern ist für Prostituierte zurzeit (noch) kein hinreichender Grund, um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen. Das darf auch niemanden wundern, denn drei Jahre sind ein viel zu kurzer Zeitraum, um rechtsverbindliche Verträge in einem Milieu attraktiv zu machen, dem von außen seit jeher Rechtlosigkeit aufgezwungen wurde. Das Gesetz war nie auf Seiten der Prostituierten, und staatliche Instanzen wurden als Kontrolleure erlebt, vor denen Anonymität am ehesten schützt. Es ist auch zu bedenken, dass Unabhängigkeit von Prostituierten sehr hoch eingeschätzt wird, weil gerade die Rechtlosigkeit sie ständig der Gefahr der Ausbeutung und Abhängigkeit ausgesetzt hat.

 … und wie weiter?

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen fordern BefürworterInnen des Gesetzes vor allem eine eindeutige Klarstellung zur „Sittenwidrigkeit“, einheitliche Durchführungsrichtlinien für die Behörden und die Überprüfung der Sperrgebietsverordnung.

Die GegnerInnen des Gesetzes argumentieren entweder, die geringe Wirkung beweise nur, wie überflüssig das Ganze von Anfang an war, oder sie machen das Prostitutionsgesetz für alles und jedes Übel verantwortlich – von widerlichen Kontaktanzeigen im Internet bis zum Menschenhandel. (6) Wer ernsthaft diskutieren will, sollte aber Ursache und Wirkung klar auseinander halten. So haben Anzeigen in Zeitungen, Magazinen und im Internet nichts mit dem ProstG zu tun, sondern mit der laxen Handhabung des gültigen Werbeverbots für Prostitution. (7) Der Vorwurf, das ProstG begünstige Zwangsprostitution und Menschenhandel, vermischt völlig verschiedene Sachverhalte. Freiwillige Prostitution war auch vor dem neuen Gesetz legal, Zwangsprostitution war und ist strafbar, „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ ist ein Verbrechen. Ob die Ermittlungen gegen Menschenhändler infolge des Gesetzes schwieriger sind, schätzen Strafverfolgungsbehörden unterschiedlich ein. (8) Viele befürworten eine Lizenzierung von Bordellbetrieben, was der Polizei den Zugang erleichtern würde.

Diesen Vorschlag will die Bundesregierung aufgreifen, wie aus ihrem Ende Januar vorgelegten Bericht zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes hervor geht. (www.bmfsfj.de – Menüpunkt „Forschungsnetz“, Forschungsberichte) Sie will das Gesetz nicht ändern, aber neue Maßnahmen einleiten. So wird das Schutzalter von 16 auf  18 Jahre erhöht, und die Freier von Zwangsprostituierten sollen bestraft werden. Zwei weitere Vorhaben sind allerdings Ländersache: nämlich eine Genehmigungspflicht für Bordelle und die Verbesserung der Ausstiegsmöglichkeiten.

Wie der Staat mit Prostitution umgehen soll, ist eine Frage, die insbesondere unter Frauen immer wieder zu Kämpfen mit harten Bandagen führt. Die „Sittlichkeitsfrage“ wirkte schon Ende des 19. Jahrhunderts in der Frauenbewegung polarisierend. Einig war man sich in der Kritik an einer bürgerlichen Doppelmoral, die von der Frau Keuschheit und Treue verlangt, dem Mann aber Dirnen und Geliebte zugesteht. Einigkeit bestand auch darüber, dass der Staat, der doppelzüngig die verbotene Prostitution dann duldete, wenn die Prostituierte registriert war und regelmäßig zu polizeilichen Zwangsuntersuchungen ging, Männer aber unbehelligt ließ, ungerecht und frauenfeindlich agierte. Unversöhnlich standen sich aber die Auffassungen gegenüber, wie darauf zu reagieren sei. Hanna Bieber-Böhm trat mit ihrem 1889 gegründeten Verein „Jugendschutz“ für strikte Bestrafung, Kasernierung und Umerziehung der Prostituierten ein. Anders Minna Cauer, Anna Pappritz und Lida Gustava Heymann. Auch sie lehnten die staatliche Kontrolle ab, setzten aber auf Beratung, freiwillige Gesundheitsfürsorge und Sexualaufklärung. Die offene Kritik der Herrenmoral musste zwangsläufig eine Debatte über die Ehe auslösen. Rechtlich, wirtschaftlich und moralisch erschien sie Gemäßigten wie Radikalen reformbedürftig, aber schon die Frage, welche Moral denn die Doppelmoral ersetzen sollte, war strittig. „Sollte die männliche Moral des Sichauslebens nun auch für Frauen gelten, die Frau also ‚zum Mann hinabsteigen'? Oder sollte die weibliche Moral des Sichbewahrens auch für den Mann bindend sein, die Frau den Mann also kraft ihrer ‚Keuschheit' und ihrer ‚höheren Sittlichkeit' zu sich hinaufziehen?“ (9)

Die mutigste unter den Reformerinnen war Helene Stöcker (1869-1943). Ausgehend von der Gleichstellung der ledigen Mutter und des unehelichen Kindes kämpfte sie konsequent für die rechtliche Anerkennung „freier Liebe“ und wagte als erste von weiblicher Sexualität und einem Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper zu sprechen. Als „Neue Ethik“ fasste sie ihr umfassendes Konzept zusammen, das sie mit dem 1905 gegründeten „Bund für Mutterschutz“ sehr aktiv öffentlich vertrat. Helene Stöcker betonte, „dass in allen sexuellen Verbindungen – Prostitution, Verhältnis und Ehe – die Frau der ‚pekuniär abhängige Teil' sei, der ‚für seine Dienste entlohnt' werde. Eine Verbindung von gleichwertigen Partnern schließe aber eine finanzielle Abhängigkeit aus.“ (10) Die prominenteste Repräsentantin der gemäßigten Frauenbewegung, Helene Lange, weigerte sich, Vertreterinnen der „Neuen Ethik“ überhaupt noch zur Bewegung zu zählen.

Hundert Jahre später haben eine „sexuelle Revolution“, die neue Frauenbewegung und der Zugang zu sicheren Verhütungsmethoden das Verhältnis zur Sexualität in einer Weise gewandelt, die wahrscheinlich nicht einmal Helene Stöcker sich hätte vorstellen können. Der Staat hat auf die tiefen Einstellungs- und Verhaltensänderungen reagiert. Im Scheidungsrecht ersetzt das Zerrüttungs- das Schuldprinzip, uneheliche Kinder sind gleichberechtigt, Vergewaltigung in der Ehe ist strafbar, ein Schwangerschaftsabbruch ist unter bestimmten Bedingungen straffrei möglich. Jede dieser Gesetzgebungen war von leidenschaftlichen Debatten begleitet, in denen die Selbstbestimmung eine zentrale Rolle spielte. Auch der Streit um das Prostitutionsgesetz dreht sich im Kern um die Frage, ob jede Frau das Recht auf eigenverantwortliches Handeln hat. Wenn Ja, dann muss der Staat dieses Recht schützen.

Dr. Inge v. Bönninghausen, Jg. 1938, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und Geschichte als freie Journalistin, bevor sie 1974 als Fernsehredakteurin zum WDR ging. Neben und nach ihrer beruflichen Tätigkeit engagiert(e) sie sich in Deutschland und in internationalen Zusammenhängen in der Lobbyarbeit für Frauen, u.a. als Vorsitzende des Deutschen Frauenrates und im Vorstand der European Women's Lobby.

Anmerkungen:
1 Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellt vom Sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsinstitut der Kontaktstelle praxisorientierte Forschung e.V. Freiburg
2 Emilja Mitrovic: Arbeitspaltz Prostitution, Der Bericht über die Feldstudie „Der gesellschaftliche Wandel im Umgang mit Prostitution seit Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung am 1.1.2002″, Berlin 2004
3 AG Recht c/o Kassandra e.V., Nürnberg
4 BGB § 138 (1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen.
5 Studie im Rahmen einer Untersuchung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes S. 277
6 u.a.. die Zeitschrift Emma 1/2007; der Verein Solwodi
7 OwiG §119 und §120
8 Studie im Rahmen einer Untersuchung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, S. 113ff
9 Kirsten Reinert: Frauen und Sexualreform 1897-1933; Herbolzheim 2000, S. 23
10 ebd. S. 26 

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