Ausgabe 1 / 2008 Material von Lily Braun

Haushaltungsgenossenschaft

Von Lily Braun


„Vielleicht sprechen Sie auch bei uns?“ fragte die Vorsitzende des Arbeiterinnenbildungsvereins; „es müsste freilich ein anderes Thema sein.“ „Gern!“ antwortete ich und war entschlossen, die Frage der Haushaltungsgenossenschaft bei der Gelegenheit zur Erörterung zu bringen.

Ich fühlte die wachsende Erregung, die sich der Zuhörerschaft bemächtigte. Es war das Zentrum der Interessensphäre der meisten, in das ich getroffen hatte. Aber auf den Sturm, der sich erhob, war ich doch nicht gefasst gewesen. Nur wenige unterstützten mich. Die Frauenrechtlerinnen schwiegen. Bereits am nächsten Morgen ging mein Vortrag durch die Presse, entstellt, verspottet, beschimpft. In den „Sprechsälen“ und „Frauenecken“ zeterten die guten Hausfrauen, deren einziges Zepter der Kochlöffel war. Der Kochherd war wirklich nicht nur der Inhalt, sondern die Grundlage ihres Familienlebens. „Die Männer werden überhaupt nicht mehr heiraten, wenn sie keine Hausfrau brauchen“, jammerte eine ehrliche Naive. Ich wartete vergebens auf die Unterstützung der Frauen, die mir ihre Not oft selbst geklagt hatten: der Schriftstellerinnen, Ärztinnen, Künstlerinnen. „Nur ein Jahr lang sollten unsere männlichen Kollegen Suppe kochen und Strümpfe stopfen“, hatte einmal eine von ihnen ausgerufen, „und wir würden an dem Fehlen großer Leistungen ihre geistige Minderwertigkeit beweisen können!“

Keine der Führerinnen der Frauenbewegung begriff, dass die Befreiung der erwerbstätigen Frau von der Sklaverei der Küche eine ihrer Programmforderungen sein müsste. Nur eine kleine Gruppe Menschen, die in der Öffentlichkeit unbekannt waren, schloss sich mir allmählich an, und ein paar Baumeister meldeten sich, die den Mut gehabt hätten, ein Haus nach meinem Plan aufzuführen – mit abgeschlossenen kleinen Wohnungen und Speiseaufzügen aus der Zentralküche. Wir waren überzeugt, nur ein lebendiges Beispiel würde genügt haben, um die Bewegung in Fluss zu bringen. Aber wir waren zu wenige, um das Bestehen des Hauses zu sichern, und mein Name, – der der Sozialdemokratin – schreckte viele ab. Sie fürchteten den kommunistischen Zukunftsstaat im Kleinen.


aus:
Memoiren einer Sozialistin
Gesammelte Werke
Band 3
Berlin 1922

Quelle:www.zeno.org

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