Ausgabe 2 / 2007 Bibelarbeit von Ilona Helena Eisner

Heilige oder Hure?

Bibelarbeit zu Maria von Magdala

Von Ilona Helena Eisner

Seit über zwei Jahren arbeite ich in Frauen- und Gemeindekreisen über Maria von Magdala, und es erstaunt mich immer wieder, wie hartnäckig sich feste Vorstellungen halten. Was wissen Sie über Maria von Magdala? Nach kurzem Zögern kommt fast immer die Antwort: Das war doch die Sünderin, die Jesus die Füße gewaschen und mit ihren Haaren getrock net hat. Und wenn ich weiter wissen will, worin denn ihre Sünde bestand, dann war sie – eine Hure. Woher kommen diese Bilder, und was wird von ihr wirklich überliefert?

Ich will versuchen, dass eher verwirrende Bild, das sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelte, etwas zu klären. Vielleicht gelingt es mir, dabei etwas von meiner Faszination für diese Frauengestalt weiterzugeben.

Biblisches

Schauen wir zunächst in die Bibel als eine der Hauptquellen unseres Wissens über Maria von Magdala. Zunächst fällt auf, dass sie insgesamt an 14  Stellen namentlich erwähnt wird, fast immer in einer Aufzählung mit anderen Frauen, die aber wechseln. Nur Maria Magdalena ist durchgängig genannt und steht bei Mk, Mt und 
Lk in diesen Frauenlisten stets an erster Stelle. Außer Maria, der Mutter Jesu, wird keine andere Frau im NT so oft erwähnt. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Wichtigkeit Ihrer Person. Was erfahren wir aus den Textstellen?

Die aus Magdala
Wann immer Maria erwähnt wird, geschieht dies in Verbindung mit dem Ort, der offensichtlich ihre Herkunft anzeigt: Magdala. Zur Zeit Jesu ist Magdala ein blühendes Fischerstädtchen in Nordgaliläa. Nazareth liegt nur ca. 30 km entfernt – wir können also sagen, sie kommen aus derselben Gegend und sprechen dieselbe Sprache: aramäisch. 
Es fällt auf, dass sie nicht über einen männlichen Verwandten, also Ehemann, Vater oder Sohn definiert wird, vermutlich also allein stehend war. Weiter  können wir ablesen, dass sie sich nicht mehr in ihrer ursprünglichen sozialen und geographischen Umgebung aufhielt: „die aus Magdala“ wurde sie erst genannt, nachdem sie ihren Heimatort verlassen hatte.

Die Geheilte
Wovon Maria geheilt wurde, ist nicht ganz klar. Bei Lk heißt es „von sieben Dämonen“. Mit Dämonenbesessenheit wurden damals psychische Krankheiten oder auch Epilepsie umschrieben. Die Zahl „sieben“ steht symbolisch für eine absolute Besetztheit, die „Dämonen“ stehen für eine Macht, die der besessenen Person ihre Subjektivität raubt und sie vollständig von sich selbst entfremdet. So lässt sich schließen, dass Maria ganz von einer schweren Krankheit besetzt war und durch Jesus zu ihrer eigenen Identität befreit wurde.

Die Jüngerin
Maria von Magdala gehörte zu einer Frauengruppe, die – gemeinsam mit Männern – mit Jesus unterwegs war. Sie scheint eine sehr wichtige Frau in dieser Gruppe gewesen zu sein, da sie stets namentlich und, bis auf eine Ausnahme, an erster Stelle genannt wird. Zum  Jüngerin-Sein gehören das Nachfolgen, das Dienen und die Leidensgemeinschaft. Maria erfüllt alle diese Kriterien. Sie folgt Jesus von Galiläa bis Jerusalem, und sie bringt sich in die Gemeinschaft ein und dient ihr mit ihren Möglich keiten und Fähigkeiten und nach allen Kräften. Und sie steht unter Lebens gefahr unterm Kreuz, denn Anhängerinnen und Anhänger von politisch Verurteilten, zu denen Jesus gezählt wurde, mussten mit der eigenen Verurteilung und Kreuzigung rechnen.

Die Zeugin
Wenn von Maria überliefert ist, dass sie Jesus von Nazareth vom Anfang in Jerusalem bis zu seinem Tod am Kreuz nachfolgte, ist sie auch eine Zeugin der Kontinuität von Leben, Leiden und Tod Jesu. Da sie bei Mk und Joh auch zu den Empfängerinnen der Osterbotschaft zählt, ist sie sogar Zeugin von Leben, Tod und Auferstehung. Nach dem Gesamtbefund der Evangelien ist es allein Maria von Magdala, die für das Schicksal Jesu die Kontinuität gestorben – begraben – auferstanden bezeugen kann.

Die Empfängerin und Verkünderin der Osterbotschaft
Alle Evangelien nennen Maria von Magdala unter den ersten Zeuginnen der Auferstehung Jesu. Bei den Synoptikern erhält sie gemeinsam mit anderen den Auftrag, die Botschaft weiter zu sagen. Während bei Mk zu lesen ist, dass Maria und die Frauen niemandem etwas sagen, berichten Lk und Mt davon, dass sie die Botschaft bzw. „alles“ verkündigen. Bei Joh ist allein Maria die Zeugin der Osterbotschaft und wird vom Auferstandenen selbst beauftragt, diese zu verkündigen. Somit wird sie, eine Frau, zur Gesandten für die Apostel.

Kirchliches

Und das ist auch schon alles, was in der Bibel über Maria von Magdala geschrieben wird, und was wir, kurz gefasst, daraus lesen können. Wie aber kommt es zu dem doch ganz anderen Bild von ihr? Um die Entwicklung von der biblischen Frau aus Magdala zur Legende Maria Magdalena zu verstehen, ist ein Blick auf die Geschichte der Kirche nötig. In der Urkirche, in der die wichtigen Traditionslinien der Westlichen Kirche und der Ostkirche ihren Anfang nahmen, wird Maria von Magdala, die „Apostelgleiche“, mit dem Ehrentitel apostola apostolorum, Apostelin der Apostel bezeichnet.

In der westlichen Kirche geschieht die Vermischung der namenlosen Sünderin aus Lk 7,36-50 mit der in Lk 8,2 erstmals genannten Maria von Magdala, dazu kommen die Maria aus Betanien (die Schwester von Lazarus und Martha) und die historische Maria Aegyptiaca, eine ehemalige Prostituierte, die nach ihrer Bekehrung 40 Jahre in der Wüste lebt und Buße tut. Wahrscheinlich genügte die Namensgleichheit „Maria“, um die Magdalena mit diesen Frauen figuren gleich zu setzen.

Dieser Verschmelzungsprozess verläuft Schritt für Schritt. Erste schriftliche Niederschläge finden sich im 4. Jh. etwa bei Ambrosius. Am Ende verordnet Gregor der Große in seinen Magdalenenhomilien (wahrscheinlich im Jahre 591), dass Maria von Magdala, Maria von Betanien und die salbende Sünderin aus Lk 7 dieselbe Person seien. „Das bunte Bild, das da entstanden war, trug kaum noch Spuren der biblischen Maria von Magdala. Es zeichnete vielmehr das schillerndes Mosaik der Freundin Jesu, einer ehemaligen Prostituierten, die zur meditativen Schwester der aktiven  Martha von Betanien bekehrt wurde und ein zurückgezogenes Büßerinnen-Dasein lebte.“ (Susanne Ruschmann)

In der Ostkirche findet diese Verschmelzung nicht statt. Die biblische Maria von Magdala wird hier weiterhin als eine der „Salbträgerinnen“ des Ostermorgens, als Jüngerin und erste Osterzeugin verehrt. Bis heute wird in der Ostkirche am 2. Sonntag nach Ostern das Fest der „Myrophoren“ (Salbträgerinnen) und am 22. Juli das Fest der „Hl. Myrophorin und Apostelgleichen Maria von Magdala“ gefeiert. (1)

Im 9./10. Jh. verstärkt sich in der westlichen Kirche die Verehrung der Maria von Magdala als bereuende Sünderin und Büßerin. Predigten und bildliche Darstellungen treiben weitere Legendenbildungen voran, wobei ihr sündiges Leben im wahrsten Sinne des Wortes immer detaillierter ausgemalt wird. Im 11. Jh. wird sie vor allem in Südfrankreich verehrt, wo sie als Heiligenfigur mit ihrem Lehrer Maximus zahlreiche Wunder vollbringt. Der Grund für diese Verehrung ist wohl in der Grundfrage der mittelalterlichen Menschen zu suchen: Wie erlangt der sündige Mensch Vergebung und Heil? Und da bietet sie als ehemalige Sünderin, die es durch Buße geschafft hatte, eine Heilige zu werden, ein nachahmenswertes Vorbild.

Im Barock entstehen in Anlehnung an das Büßerinnen-Dasein der Maria von Magdala zahlreiche Magdalenenklausen, die sich der „gefallenen Mädchen“ annehmen und diese nach dem Vorbild ihrer Namensgeberin zum geistigen Leben in Reue und Buße führen wollen. Viele Maler wählen die büßende Magdalena als Lieblingsmotiv und tragen so zur Festschreibung der Legende auf ihre Weise bei.

Eine erste Entwirrung der verschiedenen Magdalenen-Traditionen nimmt Faber Stepulansis in der Mitte des 16. Jahrhunderts vor, scheitert jedoch an der Kirchenobrigkeit, die nach wie vor die reuige Sünderin braucht. Seine Arbeit beschäftigt die Exegeten der Folgezeit immer wieder, aber erst im 20. Jh. beginnt die ernsthafte Rehabilitation der biblischen Maria von Magdala, die 1978 durch die Berichtigung des römischen Breviers einen formellen Abschluss findet. Im allgemeinen Bewusstsein ist die Trennung der biblischen von der legendären Gestalt der Maria Magdalena aber noch immer nicht vollzogen.

Abschließend können wir also feststellen, dass es die biblische Hure Maria von Magdala nicht gegeben hat. Die biblische Maria von Magdala hilft uns nicht weiter, wenn wir eine Antwort auf die Frage suchen „Wie wird eine Hure zur Heiligen?“ – wohl aber umgekehrt: Wie wird eine Heilige zur Hure? Ohne Frauen, die sich aus Not prostituieren, oder Frauen, die den Beruf der Prostituierten freiwillig ausüben, zu beurteilen, geschweige denn zu verurteilen, finde ich in der Auseinandersetzung mit Maria von Magdala das Thema „Verleumdung – und wie gehen wir mit Richtigstellungen um?“ präsenter.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Das Ziel dieser Bibelarbeit ist die Entdeckung der biblischen Maria von Magdala. Eine Bearbeitung des Themas „Verleumdungen“ wäre erst in einer anschließend weiterführenden Runde zu bearbeiten, wozu aber hier keine Vorschläge gemacht werden.

Zeit: Je nachdem, wie tief die Gruppe sich auf die Thematik einlassen will, kann das Thema in anderthalb Stunden oder mehreren Treffen bearbeitet werden.

Ablauf:

Annäherung
Sehr geeignet für die Annäherung und das Abholen der Frauen aus ihren eigenen Vorstellungen ist die Arbeit mit  Bildern. Von Maria von Magdala gibt es tausende Darstellungen, die im Internet und in zahlreichen Kunstpublikationen zu finden sind. Das kostet etwas Zeit in der Vorarbeit, lohnt sich aber auf jeden Fall. Die Darstellungen aus verschiedenen Epochen zeigen verschiedenste Interpretationen der biblischen und legendären Maria von Magdala.

Legen Sie die Bilder aus, und bitten Sie die Frauen sich diese anzusehen. Bilden Sie Kleingruppen von 4-5 Frauen und geben sie jeder Kleingruppe 2-3 verschiedene Darstellungen. Bitten Sie die Frauen, sich darüber auszutauschen:
– Was ist auf dem Bild zu sehen?
– Welche Absicht verbirgt sich hinter der Darstellung?
– Was wird ausgesagt?
– Was fällt uns sonst noch auf?
Im Plenum stellen die Frauen ihre Ergebnisse vor. Schon an dieser Stelle wird die Unterschiedlichkeit der Facetten deutlich werden.

Vertiefung (kurze Variante)
Im Text oben finden Sie zahlreiche Informationen zum biblischen Bestand und zur Legendenbildung. Schreiben Sie Stichworte zum biblischen Bestand auf rote Zettel, Stichworte zur Legendenbildung und Historie auf grüne  Zettel. In der Mitte brauchen Sie einen großen leeren Tisch oder, besser noch, nutzen Sie den Boden. Während Sie Ihre Erläuterungen geben, legen Sie die Stichwortzettel auf den Boden und  breiten so eine „Lernstraße“ vor den Augen der Teilnehmerinnen aus.

Besonders anschaulich wird es, wenn Sie einen Stopp zwischen der biblischen Bestandsaufnahme und den Informa tionen zur Legendenbildung machen und die grünen Zettel anschließend auf die roten legen.

Am Ende eines ab schließenden Gespräches über die schrittweise Verdeckung von Ursprünglichem können die Informationen zu den Versuchen der  Entwirrung gegeben werden und der Hinweis, dass dies auch noch unsere Aufgabe ist.

Vertiefung (lange Variante)
Wenn Ihre Gruppe bereit ist, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen, lassen Sie die Frauen den biblischen Bestand selbst entdecken.
Dazu dienen folgende Textstellen:
– Die aus Magdala: Lk 8,2; Mk 16,9; Mt 27,56
– Die Geheilte: Lk 8,1-3; Mk 16,9
– Die Jüngerin: Mk 8,34; 10,45; 15,40; 
Lk 8,3; 23,49; Mt 27,55
– Die Zeugin von Leben, Tod und 
Auferstehung: Mk 15,40; 15,47; 
Mt 27, 55-56
und 61; Lk 23,49 und 55; Joh 19,25
– Die Empfängerin und Verkünderin der Osterbotschaft: Mk 16,6-10; 
Mt 28,1-7
und 10; Lk 24,2-6 und 
9-11; Joh 20,17

Für AbonnentInnen der ahzw ist eine Zusammenstellung der biblischen Text stellen unter dem Menupunkt „Service“ zum Herunterladen vorbereitet!

und folgende Aufgabenstellung:
– Was wird über Maria von Magdala ausgesagt?
– Was tut sie?
– Wie wird ihre Verbindung zu Jesus beschrieben?
– Was erfahren wir sonst noch aus dem Text?

Beim anschließenden Zusammentragen der Ergebnisse kann die Leiterin aus dem Text oben ergänzen. Es ist hilfreich, die Ergebnisse schriftlich festzuhalten. Dann können die Informationen zur Legendenbildung ähnlich wie in der kurzen Variante darüber gelegt werden.

Auseinandersetzung
Zur Auseinandersetzung mit der biblischen Maria von Magdala können Sie an den Aspekten der Bestandsaufnahme entlang gehen. Etwa könnte an drei Stationen je ein Aspekt besprochen werden:

– zur Geheilten: Was sind für mich  heute Dämonen oder böse Geister? Von was fühle ich mich gefangen oder besetzt? Wo und wie erfahre ich Heilung, was sind für mich heilsame Orte, wer heilsame Menschen?

– zur Jüngerin und Weggefährtin: Gibt es heute etwas, dem ich mich anschließen würde? Wofür würde ich mich auf den Weg machen, mich  einsetzen mit meiner ganzen Person? Was wären die Voraussetzungen für meinen „Aufbruch“? Wäre ich mit Jesus gegangen wenn ich damals gelebt hätte? Warum oder warum nicht?

– zur Oster- und Lebensbotin: Hätte ich diese Botschaft weitergesagt? Was hätte ich gesagt, und wie hätte ich es gesagt? Habe ich eine Botschaft – religiös, privat, beruflich – die ich weitersagen möchte oder muss? Was will ich weitergeben, wem und wo?

Da es auch noch unsere Aufgabe ist, Maria von Magdala zu rehabilitieren, wäre es denkbar, an dieser Stelle eine Art Selbstverpflichtung zu formulieren. Bitten Sie die Frauen, den Satz: „Maria von Magdala, ich werde / wir werden für dich …“ zu vervollständigen.

Abschlusssegen
Geht hin mit Maria, der Morgen erwacht.
Verzweiflung wird sich wandeln in Verstehen,
Traurigkeit wird sich wandeln in Mut und Angst in Liebe.
Tragt die Botschaft mit euch, die der auferstandene Christus
den ersten Zeuginnen und uns anvertraut hat.
Gott segne euch und stärke euch auf all eueren Wegen.
Amen
(Auszug aus einem Gottesdienst am 27. April 2003, Lutherische Kirche Genf)

Ilona Helena Eisner ist 40 Jahre alt und arbeitet als Referentin in der Frauenarbeit der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland. Im Vorstand der EFHiD ist sie verantwortlich für Publikationen und daher auch Mitglied in der Arbeitsgruppe ahzw.

Verwendete Literatur:
Susanne Ruschmann: Maria von Magdala, 
Katholisches Bibelwerk e.V., Stuttgart 2003
Dorothee Sölle, Luise Schottroff:  Jesus von 
Nazareth, München (dtv) 2004

Anmerkungen:
1
In den apokryphen Schriften, die nach Abschluss des Neuen Testamentes entstanden, finden sich noch weitere Entwicklungslinien des urkirchlichen Magdalenenbildes. Sie entstanden in sehr unterschiedlichen Strömungen und schreiben die Magdalenentraditionen demzufolge auch sehr verschieden weiter. Diese zu erläutern führte an dieser Stelle zu weit.

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