Ausgabe 1 / 2012 Editorial von Margot Papenheim

Heimat Europa

Von Margot Papenheim

„Freude, schöner Götterfunken, Tocher aus Elysium“ – wer hätte da nicht sofort die machtvoll aufbrausende, mitreißende Musik des letzten Satzes aus Beethovens 9. Symphonie in Herz und Ohren?

Fertiggestellt, im Auftrag der London Philharmonic Society, vom bereits tauben Bonner Komponisten in Wien, wird die letzte von Beethovens Symphonien 1924 dort uraufgeführt, in den Folgejahren erklingt sie erstmals auch in Paris, St. Petersburg, Leipzig und Budapest. 1972 nimmt der Europarat sie – ohne Text – als Europahymne an, 1985 wird sie auch die offizielle Hymne der EU. Seit Silvester 2006 ist die von Herbert von Karajan mit den Berliner Symphonikern eingespielte Version allabendlich nach der Nationalhymne zum Programmschluss von Deutschlandradio Kultur zu hören.

Reine, himmlische Freude über Europa: Wann hätten wir die jemals empfunden – außer vielleicht am Tag der „EU-Osterweiterung“ 2004, der Besiegelung des wieder vereinigten Europas? „Europa“ und „Heimat“ passen derzeit zusammen wie das schon sprichwörtliche Gespann aus Fisch und Fahrrad. Heimat, das ist Vertrautheit, Zuhause, Geborgenheit. Europa, das scheint für Willkür aufgeblähter Behörden, für Regelungswahn und Krise ohne Ende zu stehen. Eben gut genug für aussortierte PolitikerInnen und Stammtischparolen zum Krümmungsgrad von Gurken.
Also zurück und alles wieder auf Anfang? 2000 Jahre europäischer Geschichte,
das sind zwei Jahrtausende Kriegs- und Katastrophengeschichte – vom Imperium Romanum über das Heilige Römische Reich deutscher Nation, 30jährigen Krieg und Napoleonische Kriege bis zum 1. und 2. Weltkrieg. Das sind aber auch zwei Jahrtausende Einigungsgeschichte. Immer neue Versuche, das Miteinander der vielen Völker auf diesem kleinen Kontinent friedlich zu gestalten, und sei es durch das fragile Gleichgewicht der zerstörerischen Kräfte. Kleiner geworden sind die Probleme im Zeitalter der Globalisierung und bei gleichzeitigem Wiedererstarken nationalistischer Kräfte nicht. Komplexe wirtschaftliche und politische Probleme brauchen komplexe Lösungsansätze, die sich nicht von heute auf morgen realisieren lassen. Die im Einzelnen zu bewerten, ist nicht das Thema dieser ahzw. Was dann?

Damit europäische Einigungspolitik erfolgreich sein kann, braucht es vor allem eins: den Willen der Menschen, Europa zu ihrer Heimat zu machen. Um es mit den Kölner Höhnern zu sagen: „Hey Europa, du bese Jeföhl!“ Solches Gefühl fällt nicht vom Himmel, es setzt entschlossene Beziehungsarbeit voraus. Daran beteiligt sich EFiD – zuletzt mit dem Projekt „Heimat Europa“, dessen Ergebnisse in diese ahzw eingeflossen sind.

„Nehmt den Griechen den Euro weg“, hetzt BILD am 3. November 2011. Es brächte uns der Vision von der Einheit Europas ein ganzes Stück näher, würden wir uns – mit heißem Herzen und kühlem Verstand – dem Baritonsolo „O Freunde, nicht diese Töne!“ anschließen. Erst dann setzt nämlich der Chor zur Ode an die Freude ein.

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